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Heimat | Februar 2016

Heimat
von Susanne Rzymbowski

Es war ein ganz geselliger Abend. Wir saßen in einem Cafe am Montmatre und plauderten ausgelassen über dies und jenes bei dem ein oder anderen Glas guten Weins, der uns immer redseliger werden ließ. Wir waren ein zusammen gewürfelter Haufen von Urlaubern aus aller Herren Länder, die von einer Stadtführung übrig geblieben waren und sich zum Ausklang des Tages noch einen guten Tropfen in gediegener Umgebung gönnen wollten. Ich war prächtigster Stimmung und zuckte doch wie ein angeschossenes Tier zusammen, als Maurice mich völlig unerwartet fragte: „Und was ist deine Heimat ?“ Hätte er gesagt: „Und wo kommst du denn eigentlich her?“, hätte ich wie aus der Pistole geschossen antworten können und ihm direkt ein paar Episoden aus unserem Dörfchen erzählen können. Aber so versagte mir mit einem Mal die Stimme. Eher stotternd antwortete ich, mich über mich selbst wundernd, verhältnismäßig kühl: „Deutschland“. Glücklicherweise bohrte Maurice nicht weiter nach und wendete sich fröhlich Chantal zu, so das er meine jähe stocksteif gewordene Haltung völlig übersah. Ich konnte es mir auch nicht erklären, doch fühlte ich mich mit einem Mal wie in eine Schraubzwinge gedreht. Völlig überstürzt, das Geld für meine Getränke auf den Tisch donnernd mit dem kurzen Satz: „Entschuldigt, mir ist es übel geworden!“ verließ ich mit wehenden Haaren in stapfendem Schritt unsere gemütliche Runde und erntete ungläubige Blicke. Es war mir egal – ich war innerlich aufgewühlt. Vielleicht hatte ich doch zuviel getrunken? Warum hat mich dieser blöde Satz bloß so aus der Fassung gebracht? Wie eine nicht enden wollende Spirale drehte sich die Frage in meinem Kopf. „Was ist meine Heimat?“ – Ich wusste es einfach nicht! War es mein Geburtsland? Mein Dorf? Meine Familie? Meine Freunde? Wie bei einem kräftigen Gewitter, blitzten ganze Bilderfluten vor meinem inneren Auge auf, durchströmten mich mit einer Wucht, von der ich noch nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Völlig aufgelöst setzte ich mich auf eine Bank in einem Park, in den es mich unwissentlich getrieben hatte. Ich versuchte Luft zu holen und zwang mich tief durchzuatmen. Ein Eichhörnchen, das über die Wiese hopste, machte mich ruhiger. Auch sah ich ein Liebespaar, das eng umschlungen daherschlenderte. Einen Hund der einer Frisbyscheibe nachjagde, einen älteren Herrn, der in einer Zeitung blätterte. Ich wurde gelassener und schloss die Augen – und da war sie – meine Heimat! Sie ist eher ein vages Bild, das ständig in Bewegung ist, die Formen und Farben wechselnd, die manchmal matt und dann wieder glänzend erscheinen. Meine Heimat ist vielmehr ein gefühltes Bild, das sich langsam in mir ausbreitete, mich beruhigte und sich im Takt meines Pulsschlags wie von selbst malte. Eindrücke und Erinnerungen aus meinem bisherigen Leben schienen sich mit farbenfrohen Pinselstrichen zu zeichnen – und ein Gemälde entstand, das ich nicht halten konnte. Doch das Empfinden von Heimat verließ mich auch nicht, als ich die Augen wieder öffnete und mich offenen Herzens in der Welt umschaute.
Heimat ist da wo du bist.

Letzte Aktualisierung: 20.02.2016 - 00.40 Uhr
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