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Die rosarote Brille | März 2016

Valor of the Fool
von Klaus Freise

Die H.M.S. Cornwall kroch durch den dichten Nebel, wie eine Made durch zĂ€hes Fleisch. Überzogen von feinem Tau und mit einer angespannten Crew die auf jedes GerĂ€usch lauschte, glitt das Schiff durch die leichte DĂŒnung des Kanals.
Plötzlich ließ der Mann im Ausguck einen nassen Lappen aufs Deck klatschen und deutete mit ausgestrecktem Arm zum Bug. Sofort spĂ€hten alle Offiziere durch ihre GlĂ€ser. Die Mannschaften hielten Taue und Seile in den HĂ€nden, um sofort die Takelung Ă€ndern zu können. Niemand sprach, alle lauschten, ob sie ein paar Worte auf dem Vordeck mitbekommen wĂŒrden.
Captain Haywood schob sein Fernrohr zusammen, klopfte mit der flachen Hand auf die Reling und sagte:
"Meine Herren, es sieht so aus, als hÀtten wir einen Franzmann mit runtergelassenen Hosen erwischt."
Sein erster Offizier Leutnant Barnes hielt sein Glas noch am Auge und murmelte zweifelnd:
"In dem Nebel kann man kaum etwas erkennen, aber es scheint mir ein französisches Linienschiff zu sein. Ich verstehe nicht, warum die keine Segel gesetzt haben. Sieht aus, als hÀtten sie in einem Sturm den Hauptmast verloren. Wir sollten unsere Flotte informieren, solange die uns noch nicht gesehen haben."
Auch Steuermann Leutnant Pike schaute angespannt durch den Nebel auf das gegnerische Schiff, dass kaum mehr als ein Schatten im grauen Dunst war. Er wischte den Tau von der Linse seines Fernrohrs und spÀhte wieder hindurch, dann bemerkte er:
"Es ist die Fregatte "Le Force", man kann den goldenen Schriftzug am Heck erkennen, wir sollten schleunigst ..." In diesem Moment trat Captain Haywood energisch von der Reling zurĂŒck und fauchte:
"Was sind Sie nur fĂŒr Offiziere. Vor Ihnen liegt ein feindliches, ahnungsloses Schiff und anstatt das Überraschungsmoment zu nutzen, wollen Sie zur Flotte zurĂŒck und Meldung machen. Ich bin enttĂ€uscht von Ihnen, meine Herren." Er verschrĂ€nkte die Arme hinter dem RĂŒcken, wippte auf den Fußballen und fĂŒgte mit Inbrunst hinzu:
"Dies ist ein historischer Moment, meine Herren. Vor Ihnen liegt möglicherweise ein Moment der in die GeschichtsbĂŒcher eingehen wird." Er streckte die Hand aus und ballte sie zur Faust, als er fortfuhr:
"Ein Moment, der eine der grĂ¶ĂŸten Seeschlachten in der Geschichte unseres geliebten Empires auslösen könnte. In dem Sie, meine Herren, nun die Hauptrolle spielen. Denken Sie an die Worte Admiral Nelsons: Macht die Welt zu England. Wir sind die Vorhut, wir sind seine Augen und Ihren Ohren. Aber das bedeutet nicht, dass wir uns eine ruhmreiche Chance ungenutzt lassen, meine Herren."
Dann klopfte er den Steuermann fast kameradschaftlich auf den Arm und sagte:
"Mister Pike, Sie wollen sich doch hier nicht als Hasenfuß einfach davon machen, was?" Dabei legte er den Kopf in den Nacken und lachte. Der Steuermann lief rot an und schnappte nach Luft. Nur mit MĂŒhe drĂŒckte er seinen RĂŒcken durch und presste hervor:
"NatĂŒrlich nicht, Sir, aber unsere Brigg verfĂŒgt nur ĂŒber 26 Kanonen und der Franzose hier hat grĂ¶ĂŸere Kaliber und dreimal so viel davon. Bei allem Respekt, Sir, aber..."
Doch Haywood winkte ab.
„Genau, Mister Pike, Respekt. Respekt und Disziplin sind die Grundpfeiler der Seefahrt. Die Grundpfeiler unseres Empires, wie Lord Nelson selbst bemerkte. Wo bleibt ihr Kampfgeist, ihr Siegeswille den Feind dort zu schlagen wo man ihn antrifft." Dabei hob er den Zeigefinger und pendelte auf den Ballen vor und zurĂŒck. "Seine Worte, meine Herren. Lord Nelson persönlich sprach diese Worte zu mir. Nun, Leutnant Barnes, lassen sie die Mannschaften auf Gefechtsstation rufen, beide Breitseiten laden, aber noch nicht ausrennen. Wir kreuzen an ihrem Heck vorbei und zerschießen ihr Ruder. Das dĂŒrfte den Franzosen fĂŒr diese Schlacht außer Gefecht setzen. Mit der "Le Force" als Prise haben wir alle ausgesorgt. Und jetzt fĂŒhren Sie meine Befehle aus."

Der verdutzte Barnes salutierte und stammelte: „Aye, Captain.“ Dann stĂŒrzte er davon und instruierte die Mannschaft. Haywood hatte sich wieder ĂŒber die Reling gebeugt.
„Leutnant Pike, gehen Sie ans Ruder, folgen Sie meinen Handzeichen. Ich behalte den Franzmann im Auge.“ Der Leutnant schob klackend sein Fernrohr zusammen und schnaubte: "Aye, Sir."
Als die Mannschaft zu tuscheln anfing und sich Gemurmel erhob, drehte der Captain sich um. „Leise dahinten. Lebhaft, aber leise.“ Dann hob er den Zeigefinger. „Wir befinden uns im Gefecht, meine Herren.“
Da die MÀnner das französische Schiff noch gar nicht sehen konnten, gingen sie wieder ihrer Arbeit nach.

Captain Haywood atmete gepresst und dort wo er das Glas ans Auge drĂŒckte schmerzte ihm die Augenbraue. Jetzt sah er die „Le Force“ deutlicher. Auf deren Vordeck liefen MĂ€nner durcheinander und ein schweres Tau spannte sich in den Nebel hinein.
Haywood gab Handzeichen ohne sich umzusehen. „Kurs halten. Noch dreihundert Yards.“
Sein erster Offizier war wieder neben ihn getreten und sah auch durch sein Fernrohr.
„Auf deren Achterdeck, Sir, der Kerl in der bunten Uniform, er sieht in unsere Richtung, vermutlich der Captain“, sagte Barnes. „Sie drehen, aber wie ohne Segel, Sir? Und was ist das fĂŒr ein Tau?“
Haywood antwortete, ohne auf zu sehen: „Ja, ja ich weiß, vermutlich holen sie den Anker ein.“ In diesem Augenblick wurden auf dem französischen Schiff die Kanonen aus dem Achterkastell ausgefahren.
Barnes richtete sich mit einem Ruck auf. „Anker, Sir? Das ist kein Ankertau, die „Le Force“ wird geschleppt, Sir. Sie werden gleich mit den beiden Heckkanonen feuern." Er starrte seinen Captain an, der zog die Luft durch die ZĂ€hne und seine HĂ€nde zitterten.
Jetzt schĂ€lte sich vor dem Franzosen eine große SegelflĂ€che aus dem Nebel. Auf dem Vorschiff der „Le Force“ wurden hektische Flaggensignale gegeben.
Haywood war leichenblass geworden, als er sprach: „Lassen Sie die StĂŒcke ausrennen, Mister Barnes.“
„Sir, es sind zwei Linienschiffe. Sir, wenn wir nach Steuerbord abdrehen, könnten wir ihnen vielleicht noch
“
„Sie haben meinen Befehl gehört, Leutnant, lassen Sie ausrennen.“ Gleich darauf bildeten sich am Heck der "Le Force" zwei Rauchringe, Sekunden spĂ€ter hörten sie den Kanonendonner und das Fauchen der Kugeln. Eine Klatschte durch ein Vorsegel, die andere zerschlug Rollen und Blöcke in der Takelage. Von Splittern verwundet schrien die MĂ€nner auf.
Barnes hob das Fernrohr. „Es ist auch ein Linienschiff, die „Avantage“ und sie dreht, Sir. Es sind noch zweihundert Yards und sie drehen uns ihre Breitseite zu.“ Seine Hand ballte sich um das Glas. Die Knöchel traten weiß hervor.
"Ich werde die weiße Fahne hießen, Sir."
Haywood packte ihn am Aufschlag seiner Jacke.
"Aufgeben? Ergeben? Nelson hÀtte dies nicht einmal in ErwÀgung gezogen, Sie erbÀrmlicher Feigling."
Bei diesen Worten funkelten seine Augen und Speicheltropfen flogen Barnes ins Gesicht. Der umgriff aber ruhig die Handgelenke seines Captains und zog sie von seiner Uniform.
Ruhig sagte er:
"Sie haben ihn nie gesehen, Nelson meine ich. Sie sind ihm nie begegnet, habe ich recht, Sir? Nein, Sie sind nicht Nelson. Sie sind nur ein verdammter Narr."

Die komplette Mannschaft hatte alles fallen gelassen und starrte jetzt auf zwei französische Linienschiffe, die zusammen vierundsiebzig Kanonen auf sie richteten.

Einen Tag spÀter traf die Englische Flotte unter Lord Nelson auf die spanisch-französische Flotte. Die Seeschlacht ging in die Geschichte ein. Der Verlust der H.M.S. Cornwall unter Captain Haywood wurden nicht erwÀhnt.




Version 2

Letzte Aktualisierung: 23.03.2016 - 18.43 Uhr
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