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Die rosarote Brille | März 2016

Maja
von Sabine Esser

„Mammi! Guck‘ mal! Ist der nicht niedlich!“ rufen die Kinder begeistert. Susanne wirft einen flüchtigen Blick auf den Bildschirm: Hundefutterwerbung – wieder mal. „Wir haben wirklich zu wenig Zeit für die Kinder“ denkt sie schuldbewusst und legt weiter Wäsche zusammen. Susanne hat sehr genaue Vorstellungen von einer intakten, harmonischen Familie. Dass es Fernsehwerbung ist, weiß sie nicht.

In einer Stunde kommt Achim von der Arbeit. Susanne schält Kartoffeln, rührt eine „Sauce Hollandaise“ aus der Tüte an, den Blumenkohl muss sie nur aufwärmen, die drei Scheiben Schinken machen keine Arbeit. „Wenigstens eine warme Mahlzeit am Tag braucht ein Mann“ war das Credo ihrer Mutter.

Es ist achtzehn Uhr: Susanne hört den Schlüssel, hört Achims schwere Schritte, hört, wie er seine Jacke aufhängt, die Tasche hinstellt, ins Bad geht. Lisa und Philipp zucken nur kurz, dann sehen sie weiter fern. Sie stellt Achim das Essen auf den Tisch. „Na, was habt ihr getrieben den ganzen Tag?“ begrüßt er die Kinder wie jeden Abend und setzt sich. Die Kinder trennen sich ungern vom Bildschirm. Der Fernseher läuft weiter. „Wie war’s denn heute?“ fragt sie, er antwortet „Wie immer. Anstrengend.“

Achim kaut noch, Lisa schmust sich an ihn heran: „Papi? Können wir nicht einen Hund haben? Nur einen ganz kleinen?“ Philipp: „Au ja, bitte!“ Susanne schaltet sich sofort ein: „Und wer soll sich um den kümmern?“ „Wir! Wir spielen mit ihm, gehen mit ihm aus, füttern ihn, wir machen alles“ tönt es. Susanne bleibt hart: „Das geht nicht. So ein Hund kostet viel Geld und noch mehr Zeit.“ „Ach Papi, bitte. So ein klitzekleiner Hund frisst doch nicht viel.“ Achim trinkt sein Verdauungsbier. „Na ja, die Kinder könnten Verantwortung lernen und kämen mehr an die frische Luft“. Lisa wühlt sich auf Achims Schoß und kuschelt ihr Köpfchen in seine Halsbeuge. „So ein ganz kleiner Hund, mit dem könnte ich reden. Mit Philipp geht das nicht! Der ist zu blöd. Und ihr seid ja nie da. Und wenn ihr da seid, habt ihr keine Zeit.“ Achim wirft einen hilflosen Blick zu Susanne, die entnervt die Augenbrauen hochzieht und ihm ein kompromissloses „Nein“ signalisiert. Philipp klammert sich an ihr Bein und wimmert „Bitte, bitte“. Susanne bleibt hart: „Wir haben nicht das Geld und nicht die Zeit für einen Hund.“ Achim schickt die Kinder mit den Worten ins Bett: „Na ja, wir können ja mal darüber nachdenken.“ Susanne räumt schweigend den Tisch ab. Wortlos guckt sie mit Achim fern.

Vier Wochen später. Die Familie holt eine kleine Katze aus dem Tierheim. Susanne hat lange mit sich gerungen und endlich nachgegeben: „Ein Tier tut den Kindern sicherlich gut. Katzen strahlen Ruhe aus. Sie müssen nicht Gassigeführt werden, sind leise, klein, sauber und sehr verschmust. Außerdem kosten sie nicht so viel wie Hunde.“

„Die heißt aber Lilly wie Lillyfee“ kreischt Lisa. „Nein“ heult Philipp „die heißt Manga“. Das Kätzchen ist erschreckt unter den Kleiderschrank geflüchtet. Susanne schaltet sich ein: „Sie kann ja auch „Maja“ heißen, weil sie so gestromt ist wie die Biene Maja.“ Die Kinder liegen vor dem Kleiderschrank und locken „Maja, Maja“. Das Tierchen drückt sich verängstigt an die Wand und faucht.

Lisa und Philipp liegen längst im Bett, Achim schläft auch schon. Susanne ruft sanft nach Maja, die sich endlich unter dem Schrank hervortraut. Nach leisem Zureden frisst das Kätzlein sogar und lernt, wo das Katzenklo steht. Es beginnt vorsichtig, die Wohnung zu erkunden. Susanne zeigt ihr das kuschelige Körbchen, das als Schlafstatt gedacht ist. Maja wimmert leise und weicht Susanne nicht von den Füßen. „Na ja, sie ist ja noch so klein und ganz neu hier“, also darf Maja bei Susanne schlafen. Susanne genießt das vertrauensvolle Schnurren des Katzenbabies zwischen Brust und Arm und schläft richtig gut.

Der Weckel schrillt, Maja hastet ensetzt aus dem Bett unter den Schrank. Susanne steht auf, weckt Achim, kocht Kaffee, bereitet Frühstück vor. Auch ein Näpfchen Futter für ihre Kleine. Achim ist schon auf dem Weg zur Arbeit, als sich die Kinder nach nochmaligem Wecken aus den Federn wühlen. Zank und Gekreisch im Bad, Genörgel am Küchentisch. Die von Susanne liebevoll vorbereiteten Pausenboxen werden achtlos in die Rucksäcke gestopft.

Endlich sind alle aus dem Haus. Genüsslich trinkt Susanne in aller Ruhe einen Becher Kaffee, ohne an Putzen, Waschen, Einkaufen zu denken. „Brrrrr, Brrrrr“ schnurrend nähert sich ihr das winzige Kätzlein vorsichtig, um ganz schnell auf ihren Schoß zu springen. Susanne liebkost vorsichtig mit einem Finger das zarte Wesen. Maja dreht sich auf den Rücken und lässt sich das rosig pralle Bäuchlein streicheln, pfotelt selig in der Luft. Ganz zart tippen Susannes Fingerspitzen gegen die weichen Ballen von Majas Pfötchen. Maja tippt ebenso zart zurück. Susanne ist überzeugt, das Kätzlein lächelt sie an. Susanne lächelt auch, ihre Wangen schmerzen und zittern unkontrollierbar.

Vier Wochen später. „Schläft das Vieh etwa bei uns im Bett“ knurrt Achim, als er im Schlaf versehentlich auf Majas Seite rollte und zarte Krallenabwehr zu spüren bekam. „Nein, das kann gar nicht sein“ beruhigt ihn Susanne und dreht sich schlaftrunken um, die schnurrende Katze schützend am Busen.

„Bleib liegen, meine Süße“ flüstert sie unhörbar und geht in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Natürlich ist Maja sofort zur Stelle und möchte jetzt gleich und sofort und vor allen anderen ihr Frühstück. Dann kann sie sich dem üblichen Lärm entziehen. Sie weiss, daß der Mann laut und desinteressiert ist: Er kommt und geht und isst und schläft. Den schrillen Zudringlichkeiten der Kinder hat sie mit wenigen wohlgezielten Tatzenhieben Einhalt geboten. Susanne hat nicht mit ihr geschimpft.

Susanne genießt die Zeit, die sie ungestört mit Maja verbringen kann. Maja spürt, dass Susanne lächeln muss. Nur für sie macht sie die tollsten Kapriolen, wagt den halsbrecherischen Sprung von der Gardinenstange auf Susannes Schulter, um ihr voller Stolz ins Ohr zu schnurren. Sogar Wäschewaschen ist ein Spiel, bei dem der riesige Tiger im Bettbezug lauert, um gründlich durchgekitzelt zu werden. Ja, tatsächlich, Susanne lacht wie ein kleines Kind, Maja beisst vor Vergnügen sanft in ihre Finger und strampelt mit allen Vieren. Susanne lacht mit Tränen in den Augen.

Ein halbes Jahr später. „Wieso sind die Schuhe nass?“ beschweren sich Lisa und Philipp. Susanne prüft und findet, ja, sie sind feucht. Und sie riechen unangenehm. Achim hatte auch schon darüber geschimpft, aber er hat starken Fußgeruch, da fällt Mehr oder Weniger nicht auf. „Ihr habt wahrscheinlich nasse Socken gehabt. Zieht halt andere an, ich wasche die Schuhe.“ Maja sitzt auf dem Wohnzimmerschrank, schaut aufmerksam zu, kaum sichtbar peitscht ihre Schwanzspitze.

„Na komm, meine Süße. Die Störenfriede sind weg. Jetzt trinken wir erst mal in Ruhe einen Kaffee, dann muss ich einkaufen. Und ich bringe Dir auch ganz bestimmt etwas Schönes mit.“ Maja schnurrt begeistert auf Susannes Schoß. „Ach, Du bist doch die Einzige, die mich versteht, mein Herzblatt bist Du.“ Maja aalt sich, wird immer länger und streckt wohlig die Pfötlein aus. Gleich rutscht sie vom Schoß. Keine Gefahr: Susanne wird sie auffangen. „Ja, mein Süßi, Du bist wirklich die Einzige.“ Majas Augen glühen tiefgrün vor Liebe.

Achim schreit: „Das kann doch nicht wahr sein! Das Vieh pisst in unsere Schuhe, nur in Deine nicht! Die Scheisskatze muß weg! Ich hab‘ sowieso nie Tiere in der Wohnung haben wollen! Jetzt gleich bring‘ ich die ins Tierheim!“ Lisa und Philipp protestieren nicht, stellen nur gleichgültig fest: „Maja ist doof. Nie spielt die mit uns. Ey, gib‘ die Fernbedienung her!“

Susanne holt tief Luft, will erklären, weiß, dass es hoffnungslos ist. Wie soll sie ihren mörderischen Egoisten erkären, dass sie sich ihre Familie ganz anders vorgestellt hatte. Schweigend verläßt sie den Raum und schließt die Tür. Nur stoßweise kann sie atmen. Im Bad schließt sie sich ein, sie kann gar nicht aufhören, zu duschen.

Kein kitzliger Tiger in der Bettwäsche, keine Kunststücke an der Gardinenstange, vor allem aber: Keine forderungsfreie Liebe mehr. Nachts, wenn Achim schnarcht, rinnen Susanne lautlos Tränen aus den Augen, sie klemmt das Kopfkissen in die leere Armbeuge, beißt hinein, um nicht zu schreien.

Wieder einmal schrillt der Wecker. Susanne sitzt aufrecht, heftig atmend und schweißnass im Bett: „Das ist nicht mein Leben! Ich such‘ mir einen Job und lass‘ mich scheiden. Die Kinder müssen lernen, dass nicht Alles nach ihren Launen geht. Ich bin nicht ihre Dienstmagd! Und Achim? Soll er doch verschlafen. Ich bin nicht sein Wecker!“ Wie in Trance steht sie leise auf, zieht sich an, schließt die Wohnungstür und geht in ein Frühstückscafé.

Zwei Stunden später kehrt sie in die Wohnung zurück, packt alles, was ihr wichtig ist, in zwei Koffer, wirft den Schlüssel in den Briefkasten und fährt mit einem Taxi zum Tierheim. „Das hätten Sie sich eher überlegen müssen. Die Katze ist schon vermittelt“ wird ihr lapidar geantwortet. Damit hatte Susanne nicht gerechnet, sie muss sich setzen. „Ist Ihnen nicht gut“ fragt viel freundlicher die Tierpflegerin. „Nein, nein. Alles in Ordnung.“ „Wirklich? Sie sehen nicht so aus.“ „Doch. Alles ok. Können Sie mir bitte ein Taxi rufen?“ Es fällt ihr schwer, sich zu erheben. Sie fühlt sich wie betäubt und unendlich schwer.

Der Taxifahrer wird ungeduldig, ganz plötzlich ordert Susanne „Zum Bahnhof bitte“. Vor der Anzeigentafel der abfahrenden Züge schließt sie die Augen, tippt mit dem Finger auf den Fahrplan. Itzehoe. Wo mag das liegen?

Sie steigt in den Zug und lächelt.

Letzte Aktualisierung: 18.03.2016 - 06.05 Uhr
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