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Das Salz in der Suppe | April 2016
KĂŒnstlergage
von Christiane Borchers

Solange er denken kann, will er singen. Er trĂ€umt davon, ein berĂŒhmter SĂ€nger zu werden. Singen ist sein Leben. Der Lehrer in der Schule findet schnell heraus, dass Alfonso eine gute Stimme hat. „Du kannst so schön singen, Alfonso, singe uns etwas vor.“ Stolz erhebt sich von Alfonso von seinem Platz und singt der Klasse ein Lied. Vielleicht geht eines Tages sein Traum in ErfĂŒllung, ein großer SĂ€nger zu werden.

Alfonso schlĂ€gt sich durch, schafft es irgendwie zu ĂŒberleben. Von zu Hause ist er weggelau-fen. Er hat es nicht mehr ausgehalten. Sein Vater und seine Mutter sind meistens betrunken, der Vater ist gewalttĂ€tig und aggressiv. Zuerst lebt Alfonso auf der Straße, dann bei seiner Tante Isabella. „Alfonso, du kannst nicht auf der Straße leben. Geh zurĂŒck zu deinen Eltern.“ „Nein, ich gehe nicht zurĂŒck, nicht in diese Hölle.“ Als er sich absolut nicht ĂŒberreden lĂ€sst, wieder nach Hause zu gehen, nimmt sie ihn bei sich auf.

Morgens besucht Alfonso die Schule, am Nachmittag versucht er sein GlĂŒck mit Gelegen-heitsjobs, am Abend treibt er sich in Kneipen herum. Die GĂ€ste heuern ihn an, ihnen vorzu-singen. Sie mögen seinen Gesang. Auch wenn sie betrunken sind, oder gerade, wenn sie be-trunken sind, wollen sie seine Lieder hören. Manche bezahlen, manche jagen ihn davon, manche zahlen wenigstens ein bisschen. Das kennt er schon. Vor den Leuten muss er sich in Acht nehmen und immer auf der Hut sein.

Das Singen ist das Schönste, auch wenn Alfonso auf keiner großen BĂŒhne gastiert und das Publikum zweifelhaft ist. Eines Abends hat er ein besonderes Erlebnis. Mal wieder wird er in einer Kneipe fĂŒr seinen Gesang von einem Mann schlecht bezahlt, obwohl dieser Gast be-stimmt Geld hat. Er ist gut gekleidet, trĂ€gt Schlips und Anzug, hat sich wohl in dieser Spelun-ke verirrt. Der Mann in Schlips und Anzug hat ihm Geld gegeben, aber viel zu wenig. „Das ist nicht genug“, unternimmt Alfonso einen zaghaften Versuch und zupft ihn am Ärmel. „Scher dich weg“, knurrt der ihn an, schĂŒttelt ihn ab wie eine lĂ€stige Klette, nimmt einen krĂ€ftigen Schluck aus seinem Glas Bier und wendet sich seinem Freund zu, der ebenso gekleidet ist wie er. Entmutigt lĂ€sst Alfonso den Ärmel des Unbekannten los, den Kopf gesenkt, bereit zu ge-hen. Was kann er schon ausrichten?!

„Bezahlen Sie den KĂŒnstler!“, ruft eine ruhige, sichere Stimme aus dem Hintergrund. Alfonso dreht sich um. „Spricht er von mir?“, schießt es ihm durch den Kopf. „Nennt er mich einen KĂŒnstler?“ Dann geht alles ganz schnell. Aus dem Dunkel der hinteren Ecke erhebt sich ein Mann von seinem Platz. Mit schweren Schritten geht er bedrohlich langsam auf den Gast zu, der Alfonso das Geld nicht geben will. „Bezahlen Sie den KĂŒnstler!“, fordert er ihn erneut auf. „Was geht dich das an?“, schimpft der Gast unerschrocken. Der Mann ballt die Faust, hĂ€lt sie dem Gast dicht vor die Nase. Angst steigt in ihm auf. Jetzt schlottern ihm die Knie. Sein GegenĂŒber meint es ernst, sehr ernst. Er ist ein SchlĂ€gertyp. „Geben Sie dem KĂŒnstler, was er verlangt!“ Panisch greift der Gast in seine Hosentasche, zĂŒckt sein Portemonnaie und wirft Alfonso hastig ein paar Scheine hin. Er hat es plötzlich sehr eilig. Hals ĂŒber Kopf ver-lĂ€sst er die Kneipe. Sein Freund folgt ihm auf dem Fuße.

„Eduardo, dem haste aber gehörig die Suppe versalzen“, nickt der Wirt hinter der Theke dem Stammgast zu und pfeift anerkennend durch die ZĂ€hne. „Das wĂ€r‘ ja noch schöner, wenn so ein SchlipstrĂ€ger sich einbildet, er hat hier das Sagen und kann machen, was er will. Und außerdem: Ich bin ja kein Unmensch“, antwortet Eduardo. Zu Alfonso gewandt: „Komm mal her, mein Junge.“ Alfonso geht - noch etwas benommen - auf seinen unerwarteten Hel-fer zu. „Hier“, sagt Eduardo und drĂŒckt ihm ein paar Scheine in die Hand. „Die hast du dir verdient.“ UnglĂ€ubig nimmt Alfonso das Geld, bedankt sich ĂŒberschwĂ€nglich und macht sich auf den Heimweg.

Eduardo fĂŒhlt sich gut. Vielleicht sollte er hĂ€ufiger bestimmen Typen die Suppe versalzen. Manche Leute haben es wirklich verdient.

Letzte Aktualisierung: 22.04.2016 - 23.09 Uhr
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