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Das Salz in der Suppe | April 2016

Ehegericht
von Anne Zeisig

Karsten füllte Koriander, Kreuzkümmel, Cubeben-Pfeffer, Nelken, Kardamom und Zimt in den Mörser und zerstieß die Gewürze vorsichtig. Er beugte sich hinunter und inhalierte den würzigen Duft. Eine gewisse innere Anspannung, ja, eine Erregung, war nicht zu leugnen. Sein Gesicht brannte heiß, sein Puls raste.
Es war ihm, als würden ganze Ameisenvölker seine Wirbelsäule hinauf und hinunter krabbeln.
Nun musste er noch die Paprika, Chilis und Schalotten sehr klein schneiden. Karsten hielt das Damastmesser in die Küchenbeleuchtung, es blitzte makellos und war im wahrsten Sinne des Wortes messerscharf. Deshalb verbarg er es auch vor Sabrina in eine der untersten Schubladen. Zwar war sie eine bezaubernde Ehefrau, grazil und sexy, aber eine schlechte Köchin. Nicht auszudenken, wenn sie sich verletzen würde.
Außerdem war es gut, dass sie keine Küchenambitionen hatte, schließlich war er der Perfektionist in der Küche und da würde sie nur stören, deshalb schaute auch nur kurz ihr Kopf mit der roten Mähne durch den schmalen Spalt in der Küchentür: “Willst du wieder den gesamten Abend mit Kochen zubringen? Ich möchte gerne mit Dir gemütlich einen Film anschauen.” Sie spitzte ihre Lippen zu einem Schmollmund.
“Dauert nicht mehr lange”, antwortete er, fügte die Zutaten ineinander, dann zupfte er den Römersalat in eine Schüssel und blickte kurz in den Dampfgarer zum Rinderfilet.
“Das südamerikanische ist das Beste.” Es war gleichmäßig gebräunt und glänzte wegen der Honigkruste.
“Urlaub in Südamerika? Nein, keine Lust. Du gehst ja doch wieder den Hotelköchen auf die Nerven mit Deiner Fachsimpelei und Neugierde.”
“Ich meine das Rind aus Südamerika. Und bis jetzt hat sich noch jeder Koch über mein Interesse gefreut.”
Und just war Sabrina verschwunden.

Karsten gab eine Knoblauchzehe in die Presse und drückte sie über die Schüssel aus, dann goss er das Dressing hinzu, schmeckte es mit Kapern und Worcestershiresauce ab, schälte und entkernte einen Apfel und schnitt den Fenchel.
Seine zartgliedrigen Finger begannen leicht zu zittern. Er atmete dreimal tief ein und aus, holte das Rind aus dem Ofen und wickelte es in Alufolie zum Ruhen.
Zu heiß durfte es heute auf keinen Fall sein!
“Karsten!”, rief sie aus dem Wohnzimmer, “der Film hat angefangen! Aber du verschanzt dich mal wieder in der Küche!”
“Bin gleich so weit!”, rief er, ging zum Weinschrank und schwankte zwischen einem Chateau Grand Mazerolles und einem Valpolicella Ripasso. Oder doch lieber ein Chateau La Croix Bonnelle?
Diese Entscheidung hatte Zeit.
Er sah im Kühlfach nach, ob das Minz-Prosecco-Gelee fest geworden war.
Auf keinen Fall durfte es heute zu glibberig sein!
Er nahm die Schale mit den Erdbeeren heraus, mahlte Muntok-Pfeffer darüber und beträufelte sie mit Kürbiskernöl.
Karsten wischte sich mit dem Küchentuch den Schweiß von der Stirn.
Heute würde er Sabrina beweisen, dass seine Zeit in der Küche keine verlorene war. Sie aß leider immer nur Spatzenportionen wegen ihrer Figur und erschien seit einiger Zeit kaum zum Essen, weil es in der Firma turbulent zuging, denn die Managerriege war ausgewechselt worden.
Aber nun würde sich das ändern!
So konnte es jedenfalls nicht weitergehen.
Wie blass und bleich sie immer heim kam.
“Wieder nur ein schnelles Sandwich gegessen?”
Sie nickte, vergrub sich unter der Bettdecke und schlief ein. Wenn nicht im Bett, dann vor dem Fernseher.
Heute nicht!

Nun war es Zeit, anzurichten.
Karsten fügte das Dressing zum Salat, wickelte langsam das Rinderfilet aus, schnitt es in Streifen und setzte eine Garnitur aus Apfel und Fenchel obenauf, trug die Platte ins Schlafzimmer und stellte sie mit den Vorlegegabeln auf die Kommode.
Es folgte der Rest. Das Dessert und der Wein, die Gläser, welche er penibel poliert hatte.
“Was soll das werden?”, fragte Sabrina, die wieder nur ihren Kopf in den Spalt der Schlafzimmertür gereckt hat.
Er ging auf sie zu, nahm ihre Hand und zog sie in den Raum. “Wir essen hier.”
“Hier?” Ihre Pupille, die von azurblauen Augen umgeben war, blickte unruhig umher.
Karsten umschloss sie mit seinen Armen und vergrub das Gesicht in ihrem Haar, das nach Zimt und Kardamom duftete.
“Die Steakstreifen auf dem Caesar Salad werde ich auf deiner nackten Haut anrichten und es wird mir köstlich schmecken. Und das Minz-Prosecco-Gelee darfst du mir vom Leib schleckern”, sagte er leise, fast ängstlich, als befürchte er Ablehnung.
Karsten räusperte sich.
Sie wich von ihm ab. “Was?” Über ihrer Nasenwurzel bildete sich eine Falte.
Karsten nahm sie sanft, aber bestimmt und drückte seine Frau auf das Bett. “Den Wein genießen wir danach gemeinsam.” Er begann, sie zu kitzeln und entlockte ihr ein helles Lachen.
Die Anspannung war endlich gebrochen!
“Du bist verrückt”, prustete sie und hechelte atemlos, “wie früher. Nur, dass es damals simple Spiegeleier waren.”
Karsten zog ihr das Shirt über den Kopf, er war ausgehungert nach Sabrina und doch müsste er nachher mit ihr darüber sprechen, wer dieser Michael ist, der ihr tausend Küsse gepostet hat.
Zufall heute Abend, dass er diese mail geöffnet hat.

Wo hatte er eigentlich das Messer hingelegt, nachdem er in der Küche fertig war?
“Ich will dich nicht verlieren”, flüsterte er, knabberte an ihren Ohrläppchen, hangelte zum Teller und schob ihr eine dunkelrote Erdbeere zwischen ihre feuchten Lippen.


END Version


Letzte Aktualisierung: 27.04.2016 - 19.05 Uhr
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