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Das Salz in der Suppe | April 2016

Salzkörner
von Helga Rougui

Die Suppe im Salz?
Nee nee, der Fisch in der Salzkruste muß das heißen, genauer gesagt, der Loup de Mer in der Meersalzkruste, die wird dann aufgehämmert, und der weiße, zarte Fisch liegt in voller Pracht duftend auf dem Teller. Aber doch, auch die Suppe kann im Salzgefäß zubereitet werden, da heißt es dann etwas schneller essen, sonst hat man sich selber die Suppe versalzen,

Es gibt ein Kochbuch, ein Standardwerk, herausgegeben von Henriette Davidis um die vorige Jahrhundertwende, meine Ausgabe ist von 1905, das war der guten Hausfrau Ratgeber, Brevier und inspirierende Lektüre in einem, und die Hausfrau widmete sich dieser Lektüre nach getanem Hausfrauentagwerk in der Muße der bürgerlichen Abendstunden.
In diesem Buch gibt es ein Kapitel, das sich mit der Kost der Kranken befaßt. Es sind Suppen aufgelistet, deren übereinstimmendes Merkmal es ist, kein Salz und somit keinen Geschmack zu beinhalten, weil Salz schlecht für die Gesundheit sei, wenn nicht sogar per se et eo ipso böse und des Teufels, also ist es von der Liste der rekonvaleszenzunterstützenden Genüsse schon mal grundsätzlich ausgeschlossen, und wenn all diese Suppen auch nach nichts schmecken, so ist das doch egal angesichts des immensen gesundheitlichen Gewinns, den man davonträgt, indem man sich auf diese Rezepte beschränkt.
Was nicht heißt, daß sich in diesem Kochbuch keine salzhaltigen Rezepte finden, man nehme nur das Rezept, Schnecken zuzubereiten.
Schnecken. Sie müssen ausschleimen, die armen Schnecken, damit man sie essen kann, und das tun sie nur, indem man sie überreichich mit Salz bestreut. Ob das den Schnecken gefällt, ist fraglich, aber dem wackeren Esser gefällt es sicherlich.
Was zeigt – Salz ist für die einen gefährlich, für die anderen unverzichtbar.

Wie wichtig Salz ist, habe ich als Kind durchs Lesen erfahren. „Die Höhlenkinder“ hieß der Romanzyklus, und die beiden Protagonisten, Eva und Peter, waren so lange unglücklich, wie ihre Nahrung salzlos war. Eines Tages fand der Junge – oder der junge Mann – eine Salzlecke, die vom Wild benutzt wurde, er brach ein Stück vom Salz ab und brachte es nach Hause zu Eva, die das Jagdfleisch damit einrieb, und sie brieten es über der Glut – eine Art jungsteinzeitliches Slow-Cooking sozusagen, und etwas, von dem sie nicht gewußt hatten, daß es ihnen fehlte, war plötzlich da und rundete das Dasein ab und die Geschmacksnerven auf.
Salz ist wichtig, Überlebenswichtig. Ohne Salz hätten sich die Höhlenkinder gegenseitig totgeschlagen.

Auch in menschlichen Beziehungen darf das Salz nicht fehlen.
Das kann sein das Salz auf der Haut, wenn man mit seinem Geliebten am Atlantik spazierengeht und bein Küssen merkt, daß er das Salz der blauen Meereswolken auf seinen Lippen trägt – das kann sein, daß der Drang übermächtig wird, mit diesem einen Menschen und keinem anderen zusammensein zu wollen - das ist das Salz in der Suppe der menschlichen Beziehungen, das sich gemeinhin Verliebtheit nennt, das kann anhalten und kann auch schnell vorbei sein, aber solange es dauert, ist es gar köstlich und wunderbar.

Salz muß sein. Ohne Salz schmeckt uns die Lebenssuppe nicht.

Letzte Aktualisierung: 22.04.2016 - 23.10 Uhr
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