Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
„Du brauchst mich gar nicht so anzuschauen.“, säuselte Tamar auf seinem Thron. Er hatte die Beine überschlagen, klopfte mit den krallenartigen Fingernägeln auf die Armlehne und glimmte seinen Sohn aus blassen Augen an. „Du wusstest der Tag würde kommen.“, fuhr er fort.
Asaiah stand wie gebannt vor ihm. Er starrte auf die spitze Krone, die auf Tamar’s Haupt balancierte und irgendwann mal ihm gehören sollte.
„Bitte verlang’ das nicht von mir.“, flehte er.
„Zeig’ ein wenig Stärke als Thronfolger.“, spuckte Tamar aus. „Und jetzt los mit dir in die Wälder. Ich gebe dir drei Tage. Länger sollte es wohl nicht dauern, sie zu mir zu bringen.“, fügte er dunkel hinzu und ein hämisches Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.
Asaiah’s Blick verfinsterte sich. „Hast du nicht schon genug Leben auf dem Gewissen?“, schrie er.
„Aber sie schmecken doch so gut.“, antwortete sein Vater mit unschuldiger Miene. „Und sieh’ doch.“, trällerte er, erhob sich von seinem Thron und stolzierte durch die weiße Marmorhalle. „Ihre Herzen machen sich so wunderbar als Wanddekoration.“
Stolz deutete er auf die kleinen gläsernen Kästen, die an der Wand angebracht waren und allesamt mit Herzen toter Körper gefüllt waren.
„Eine Nachtwandlerin fehlt mir in meinen Reihen.“, säuselte er.
Asaiah’s Zorn wuchs ins Unermessliche. Er ballte die Hände zu Fäusten, zwang sich, die Beherrschung nicht zu verlieren. War es doch genau jenes, was sein Vater von ihm erwartete.
Wortlos drehte er sich um und marschierte Richtung TĂĽr.
Drei Tage hatte er. Drei Tage, um seinen Vater zu besiegen.
Asaiah hatte keine Zeit zu verlieren. Er begab sich auf schnellstem Wege zu den Stallungen, wo sein schwarzer Hengst Lumino bereits auf ihn wartete. Er zog sich den weißen Reitmantel über und ritt los in die Wälder.
Der Wind peitschte ihm und Lumino um die Ohren. Das schwarze Pferd mit seinem weißen Reiter, wie ein Gemälde aus verschwommenen Farben.
Es war bereits dunkel, der gleißende Mond schien am Himmel und drückte durch die dichte Blätterdecke der raschelnden Bäume. Säuselnde Geräusche, Flüstern und Murmeln übermannte die drückende Stille der endlosen Weite.
Lumino preschte durch das Dickicht, so schnell er konnte, bis seine Hufe brannten und sie endlich am Ziel waren. Asaiah schwang vom RĂĽcken des Tieres und klopfte ihm den Hals.
Das Knacken eines Astes lieĂź Asaiah aufhorchen.
„Bist du es?“, fragte er in die Dunkelheit hinein.
„Ich wollte mich doch anschleichen.“, antworte ihm eine vergnügte Stimme. Ein Mädchen kam schüchtern näher. Sie trug ein bodenlanges Kleid aus dünner Seide getränkt in Opalinrosa. Ihr Haar fiel ihr in blonden Wellen bis zur Taille hinab.
Sie blieb direkt vor Asaiah stehen und blinzelte ihn aus ihren schwarzen Augen an. „Was ist mit dir?“, fragte sie besorgt und strich ihm über die Wange.
Asaiah zog sie rasch an sich und vergrub seinen Kopf in ihrer Schulterbeuge. „Ich habe dich so vermisst, Sayo.“, raunte er und Schmerz schwang in seiner Stimme mit.
Sayo gluckste und schmiegte sich in seine Arme. „Du zitterst ja.“, bemerkte sie. Sie war sich sicher etwas stimmte nicht, hatte es schon gespürt, als sie wusste, er war wieder auf dem Weg zu ihr.
Nervös schaute Asaiah zu Boden, ehe er den Blick wieder hob und Sayo mit ernster Miene ansah. Langsam ging er auf die Knie, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen.
„Asaiah!“, flüsterte sie, als er vor ihr kniete und sie auf seinen weißblonden Schopf hinabsah.
„Sayo, willst du mich, Asaiah, Prinz von Ater, zum Mann nehmen?“, brachte er mit starker Stimme hervor.
Einige Augenblicke verstrichen, in denen Asaiah angespannt auf ihre Antwort wartete. Plötzlich bildeten sich Tränen in ihren Augen und sie nickte heftig, unfähig auch nur ein Wort hervorzubringen.
Erleichterung übermannte Asaiha’s Gesicht. „Ist das ein ja?“, fragte er, nach ihrer Bestätigung suchend, woraufhin Sayo erneut nickte. Sie zog ihn zu sich hoch, drängte sich an ihn und genoss seinen wohlig warmen Duft.
„Die nächsten Tage sollen nur uns gehören.“, sagte er. „Und danach gehen wir zu meinem Vater.“
„Bist du dir sicher?“, fragte Sayo zögernd. Es gab nichts Schöneres, als Asaiah endlich voll und ganz für sich zu haben. Doch wusste sie, dass Tamar sie keinesfalls akzeptieren würde, sobald er wusste, dass sie ihm als Nachtwandlerin, als Unsterbliche, keinen Thronfolger gebären konnte. Zumal sie sein wahres Verlangen kannte.
„Der Mond hat sich schon so oft auf meine Seite geschlagen, ich bekomme bald den Eindruck er wäre tatsächlich mein Verbündeter.“, sagte Asaiah. Er lag auf einem gemütlichen Bett, in einem kleinen Häuschen mitten im verzauberten Wald, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.
„Das ist er doch auch, mein Liebster.“, antwortete Sayo. Sie schaute zum Mond hinauf, der durch die fehlende Decke des Hauses sichtbar war.
„Bald haben wir ein richtiges Zuhause, nicht diese armselige Hütte.“
„Du machst dir zu viele Sorgen.“, erwiderte Sayo flüsternd und fuhr mit ihrem Daumen über die Sorgenfalten, die sich auf Asaiah’s Stirn abzeichneten.
„Ich möchte doch nur, dass alles perfekt ist.“, meinte er und suchte ihren Blick.
„Es ist schon alles perfekt. Wir haben einander. Nach mehr sollten wir nicht fragen.“
„Da spricht wohl der Herrschersohn aus mir, der immer hoch hinaus will.“, seufzte Asaiah. Er nahm Sayo’s Hand und küsste sanft ihre Finger.
„Ruh’ dich aus, mein Prinz. Und erzähl’ mir deine wahren Absichten.“
Asaiah riss die Augen auf und starrte sie ĂĽberrascht an.
„Du weißt doch, ich kann es fühlen.“, sagte Sayo und neigte den Kopf schief. Sie wunderte sich, warum Asaiah nach der langen Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, noch immer glaubte, etwas vor ihr verbergen zu können.
„Und dennoch wünschte ich, du könntest es nicht.“, sagte er und gab sich damit geschlagen.
„Dann hättest du dir ja eine Andere zur Frau nehmen können.“, scherzte sie. Doch Asaiah’s Miene versteifte sich. „Scherze über so etwas nicht.“, sagte er erschrocken.
„Was ist es, was dich so aus dem Gleichgewicht bringt?“, wollte Sayo fordernd wissen.
„Mein Vater.“, sagte Asaiah trocken. „Ich brauche drei Schläflingskinder.“
„Schläflingskinder?“
Asaiah nickte. „Ich denke es ist der einzige Weg ihn zu besänftigen.“, gab er zu. In der Tat hatte er alle möglichen Optionen auf dem Ritt durchgespielt. Doch im Grunde schienen sie alle kein Ausweg zu sein. Er musste alles versuchen, um Sayo am Leben zu halten.
„Was, wenn er mich trotzdem will?“, fragte Sayo zaghaft.
Asaiah zeufzte. „Dann haben wir wohl keine andere Wahl, als seine Unwissenheit über dich auszunutzen.“
Traurigkeit schlich sich wie ein Schatten auf Sayo’s Gesicht und sie fuhr ihrem Verlobten durch das blasse Haar, welches durch den Schein des Mondes silbern schillerte.
Drei Tage und drei Nächte waren vergangen. Unsagbar kostbare Zeit.
Asaiah schaute den Palast empor, atmete noch einmal tief ein und marschierte los zu seinem Vater, der im Thronsaal auf seine Beute wartete.
„Da bist du ja endlich. Beinah hätte ich geglaubt du wärst davon gelaufen.“, grinste Tamar und entblößte seine spitzen Zähne.
Asaiah schleifte einen Sack über den Boden, der sofort Tamar’s Aufmerksamkeit fing.
„Ist sie das? Ganz schön kaltherzig, wenn du mich fragst.“, glimmte er und stand von seinem Thron auf, um den Sack näher zu betrachten. Mit einer Handbewegung forderte er eine Wache dazu auf, den Sack zu öffnen.
„Schläflingskinder?“, fragte er und gierte wie eine Schlange durch den Saal.
„Lebend. Damit du noch deinen Spaß mit ihnen haben kannst, bevor du ihnen ihre Herzen stiehlst.“, hallte Sayo’s Stimme.
„Sayo.“, zischte Tamar. „Hat mich Asaiah also doch nicht enttäuscht.“
„Nimm’ die Schläflingskinder und verschone Sayo.“, forderte Asaiah.
„Und warum glaubst du, sind diese drei Kinder auch nur ansatzweise so viel wert, wie eine Nachtwandlerin?“, summte Tamar und riss seine Augen weit auf.
„Vater!“, bellte Asaiah. „Ich werde Sayo zur Frau nehmen. Sie wird an meiner Seite deine Erbin sein. Also geb' deine Jagd auf und lass Sayo leben.“
„Lächerlich.“, prustete Tamar. „Ergreift sie!“, befahl er mit donnernder Stimme, woraufhin zwei Wachen auf das Mädchen zustürmten.
„Wenn du ihr Leben willst, musst du auch meins nehmen.“, schrie Asaiah und stierte seinen Vater bitterböse an.
Ein düsterer Schatten legte sich auf Tamar’s Gesicht. Gewandt wie er war, wirbelte er durch den Saal und zwang Sayo in seinen Besitz.
„Es war sehr unklug von dir, dich gegen mich zu richten. Aber da du mir das Mädchen gebracht hast, werde ich dir noch einmal vergeben können. Merke aber, dass immer ein Platz in meiner Sammlung für dich bereit steht. Ruf’ nicht zu laut nach dem Tod.“, sagte er und presste die Kiefer aufeinander. Sayo hatte Tränen in den Augen, als sie ihrem Verlobten zum vermeintlich letzten Mal in die Augen sah.
„Ist das nicht rührend?“, lachte Tamar und packte Sayo an den Haaren, um sie seinem Sohn zu präsentieren. „Es war alles umsonst. Dein Plan ihr Herz zu retten, indem du sie zur Frau nimmst, ist gescheitert.“, sagte er mit gespielter Anteilnahme. „Sag’ Lebewohl. Oder Sterbewohl.“
Sein Grinsen erstarb und mit einem Ruck brach er Sayo das Genick.
Asaiah verzog keine Miene. Er durchbohrte seinen Vater mit seinem Blick und atmete ruhig ein und aus.
Plötzlich zuckte Tamar zusammen. „Was ist das?“, keuchte er panisch. Eine Welle durchfuhr seinen Körper und schien ihm die Kraft zu rauben. Er schaute zu Boden, wo Sayo seinen Knöchel gepackt hatte. „Du?“, keuchte er und rang nach Luft, verstand nicht, warum sie noch am Leben war. „Aber wie?“
„Ich bin unsterblich, du Narr. Du hättest mir das Herz schon direkt aus der Brust reißen müssen.“, grinste Sayo böse.
Auch auf Asaiah’s Gesicht hatte sich ein hämisches Lächeln geschlichen, als er dabei zusah, wie Sayo seinem Vater die Lebenskraft aussaugte und er immer schwächer wurde bis er schließlich zusammen sackte.
„Wie du es mir beigebracht hast, Vater. Für die, die man liebt, opfert man alles.“, raunte er.
Letzte Aktualisierung: 24.05.2016 - 21.42 Uhr Dieser Text enthält 10235 Zeichen.