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Der verzauberte Wald | Mai 2016

Fünf Monde Strafe. Zunächst.
von Anne Zeisig

Zehra hastete über die Steppe. Der Korb mit den Kräutern auf ihrem Rücken stieß wiederholt unsanft gegen ihren Rücken. Die Sonne stand bereits sehr hoch, also musste sie sich beeilen, damit die Kräuter für das Mittagsmahl rechtzeitig im Dorf ankamen. Viel war es ohnehin nicht, was die Dürre hergegeben hatte. Endlich sah sie das erste Haus des Dorfes. Es gehörte der Köchin und Dorfältesten Sumin.
“Wo bleibst du denn?” Ihr rundliches Gesicht glühte vor dem offenen Feuer, über dem ein großer Topf hing, aus dem es dampfte. Sie nahm der jungen Frau den Korb ab und blickte hinein: “Hoffentlich haben die Männer Glück bei der Jagd, sonst wird es ein karges Mahl.” Sie rührte den Dinkelsud mit einer Holzkelle durch.
Zehra hockte sich keuchend hin. “Ist dir noch nie aufgefallen, dass die Männer seit einiger Zeit sehr frohgestimmt von der Jagd aus dem Wald heimkehren, obwohl sie keine Beute gemacht haben?”
Sumin streute die Kräuter in den Sud. “Wird das Jagdergebnis besser, wenn sie sich knurrend und murrend geben?”
Die junge Frau schüttelte ihren Kopf. “Aber noch bis vor fünf Monden waren sie unerträglich, wenn sie nichts Essbares mitbrachten.”
Die Ältere wuselte ihr durch das Haar. “Wenn du so eine lange Zeit mit einem Mann das Lager geteilt hast wie ich, dann freust du dich über einen, der frohen Mutes ist.”
“Aber das ist sonderbar.”
“Wir sollten die Harmonie genießen.”
“Und doch bin ich misstrauisch, Sumin.”
“Du bist jung und unerfahren, das ist es. Man muss gute Seelenzeiten im Leben nicht hinterfragen, das säht Missgunst.” Sie blickte sorgenvoll in den blauen Himmel, weil sich nicht eine Regenwolke zeigte. Viel Getreide- und Gemüsevorräte gab es nicht mehr.
Zehra unterbracht ihre Gedanken:
“Wir könnten heute Abend auf der weiblichen Dorfzusammenkunft darüber sprechen, wie es die anderen Frauen empfinden.”
Sumin seufzte. “Meinetwegen.”
Zehra riss ihre Augen weit auf. “Danke!”
`Die karge Kost scheint allen aufs Gemüt zu schlagen, das mag wohl eine Eigenart der weiblichen Natur sein´, dachte Sumin und ermahnte ihre Gehilfin, endlich den Hirsebrei für die Kinder zuzubereiten.
Zehra küsste sie auf die Wange.

* * *

Als das Tagwerk vollbracht war, versammelten sich die Frauen auf dem Festplatz in der Nähe des Dorfes, jedoch entfernt genug, dass sie ungestört waren.
Sie saßen im Kreis auf Baumstümpfen und hatten sich zum Schutz vor der Kühle ihre selbstgewebten Leinenstolas umgehängt. In der Mitte loderte das Lagerfeuer.
“Bitte!, rief Sumin in die Runde, “ihr könnt euch nicht wie gackernde Hühner aufführen! Eine nach der anderen möge ihre Stimme erheben!”
“Mein Mann Darken rührt mich nicht mehr an, seit er frohen Mutes aus dem Wald heimkehrt! Meine Verführungen prallen an ihm ab! Seit fünf Monden gibt es das Übel!”
Zehra rief: “Wie bei mir!”
Sumin schaute sie strafend an. “Lass uns achtsam reden!”
“Und meiner”, meldete sich eine ältere Bewohnerin zu Wort, “ist wegen seines Alters längst von der Jagd befreit, trottet aber den Jungen hinterher.”
“Verboten ist das nicht”, klärte Sumin sie auf, “und Beischlaf kann man nicht erzwingen.”
“Der Wald hat sie verhext!”, rief eine in die Runde.
“Großtier jagen sie überhaupt nicht mehr, nur noch kleine Beute bringen sie mit.”
“Wenn überhaupt!”
Mehrere kicherten: “Gestern haben sie Pilze mitgebracht! Ist das männlich?”
“Die Pilzsuppe hat allen gemundet!”, sagte Sumin ärgerlich.
Alle nickten.
Eine weinte: “So kann es nicht weitergehen. Cartor summt vor sich hin, wenn er Blätter zum Rauchen rollt. Er schimpft nicht mehr mit mir, wenn ich sie ihm nicht vorbereitet habe!”
“Sei doch froh!” Sumin verstand diese Sorge nicht.
Sie stampfte mit den Füßen derart auf den Boden, dass viel Staub aufgewirbelt wurde,
“Ich will meinen Mann mit gewohnter Natur, weil er sich mit mir nach seinem Zorn stets versöhnt hat!” Ihr Gesicht wurde von einer leichten Röte überzogen. “Jetzt ist er kein starker Stier, sondern ein lahmes Ross”, flüsterte sie.
“Ohne Manneskraft beim Weibe, aber frohen Mutes!”, merkte Zehra an, “das passt nicht zusammen!”
Die Runde stimmte ihr zu.

Sumin stöhnte. Ihre Generation war mit dem Aufziehen der Kinder und dem Tagwerk beschäftigt. Da war es oft ein Segen, wenn der Ehemann müde und abgespannt von der Jagd einschlief, ohne die eheliche Pflicht einzufordern. Seit die Feldarbeit durch die Gäule erleichtert worden war, schien die Weiblichkeit nicht mehr ausgelastet zu sein, wurde von unkeuschen Gedanken geplagt.
“Da ich ja nun sehr betagt bin, ist es endlich an der Zeit, dass ich ausser Zehra noch vier weitere Gehilfinnen in die Kochkunst einweisen muss. Meine Schultern sind lahm und schmerzen vom vielen Rühren in den Töpfen.”
Erstaunt blickten die Weiber sie an.
“Und wer macht die Arbeit auf dem Feld?”
“Die Zahlreichen, die immerhin Rösser zur Arbeitserleichterung an ihrer Seite haben! Und weitere sind abkömmlich und können die Weberinnen unterstützen. Natürlich berücksichtigen wir Neigung und Alter der Frauen.”
“Sumin, du weichst vom Thema ab!”
“Was gedenkt ihr zu tun?”, fragte sie müde.
Zehra stellte sich in die Mitte zum Feuer. “Wir werden eine Nachhut bilden und schauen, was es ist, das die Mannen verhext.”
“Ich betrete den verhexten Wald nicht!”
“Es gibt dort wilde Tiere!”
“Und Giftpflanzen!”
“Man sagt, eine Hexe teibe dort ihr Unwesen, mit tausend Gehilfinnen an ihrer Seite!”
“Es sind die giftgrünen Gnome, die ihre Pfeile abschießen auf alles, was nicht in den Wald gehört!”
“Und Frauen gehören nicht in den Wald!”, erboste sich Sumin. “Das war immer so!”
Sie gingen an diesem Abend uneinig auseinander.

* * *

Antri, die Frau von Darken; und Lubel, das Weib von Cartor, sowie Zehra hatten sich dunkel gekleidet und waren noch vor Sonnenaufgang zum Waldrand gegangen. Sie hatten sich eng untergehakt und hockten in einer Senke.
“Und wenn wir verzaubert werden?”, fragte Antri ängstlich.
“Dann bist du ebenso frohen Mutes wie Darken”, kicherte Lubel, “das mag von Nachteil nicht sein.”
Antri wandte sich ab: “Wenn ich verhext werde, bin ich unfruchtbar.”
Zehra hatte ein langes Messer unter ihrem Rock versteckt. Aber das mussten die anderen nicht wissen, es würde sie zu sehr ängstigen.
“Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil wir ohne Sumins Zustimmung gegangen sind”, wisperte Lubel.
Zehra wischte die trüben Gedanken beiseite. “Sumin ist alt. Wie soll sie uns verstehen?”
“Stimmt”, pflichtete ihr Lubel bei, “die Zeiten ändern sich.”
Alle nickten sich mutmachend zu und in der Ferne hörten sie bereites die lauten, dunklen Stimmen der Mannen, die sich dem Waldrand näherten. Sie gröhlten und lachten, wie sie es seit einiger Zeit immer taten.
Zehra legte ihren Zeigefinger auf den Mund, sie duckten sich noch flacher auf das nasse Moos und warteten, bis die Männer den Waldsaum verlassen hatten.
“Sie sind so laut, kein Wunder, dass sie nichts jagen. Verscheuchen jegliches Getier”, meinte Antri.
“Ist gut so”, säuselte Lubel, “damit halten sie uns die Bestien vom Leibe.”
Sie folgten den Männern tief und tiefer in den Wald hinein. Die Frauen hielten sich fest an den Händen, stolperten mehr, denn sie gingen, durch das unwegsame Gelände, bemüht, keinen Furchtlaut auszustoßen, wenn sie unheimliche Geräusche vernahmen.
“Jetzt verstehe ich, warum Frauen im Wald nichts zu suchen haben”, meinte Zehra, die nun auch von ihrem Mut verlassen wurde. In der Ferne hörten sie immer noch die Männer.

Auf einmal war es still.
“Bleibt stehen!”, befahlt Zehra. “Hört ihr es auch?” Sie zitterte am ganzen Leib.
“Ich höre die Männer nicht mehr! Lasst uns umkehren!”
Aber Lubel zeigte in die Dunkelheit hinein. “Da hinten! Ein Licht blitzt durch das Gehölz!”
Jetzt sahen es auch die anderen. Sie schlichen sich bedächtig in diese Richtung und endlich war zu sehen, dass es sich um eine alte Holzhütte handelte, aus der das Licht schimmerte.
Man hörte Weibergekreische und Lachen, unterbrochen vom wohligen Grunzen der Männer.
Vorsichtig tasteten sie sich heran und blickten durch eines der Fenster.
Antri hielt sich die Augen zu. “Das will ich nicht sehen.”
Lubel zischte. “Mein Mann sitzt auf dem Schoß einer Barbusigen.”
“Und meiner wälzt sich mit einer vor dem Kamin”, sagte Zehra tonlos aus blassen Lippen, “und auf dem Tisch steht ein Wildschweinbraten.”
Sie liefen geschwind ins Dorf.


“Sie huren und fressen sich den Wanst voll!”
“Aber es gibt seit Generationen ein Gesetz, welches Hurerei verbietet.”, erklärte Sumin.
Zehra lächelte bitter. “Aber wenn dieses Gesetz von den Mannen überwacht wird, so können wir es gleich außer Kraft setzen!”

Noch am selben Tag gingen die Dorffrauen mit Pechfackeln in den Wald, brannten die Hurenhütte ab, nachdem sie die Liebesdienerinnen mit Mistgabeln, Hohn und Spott verjagt hatten.
Fortan jagten die Frauen erfolgreich im Wald und ihre Männer ackerten auf dem Feld, lernten kochen und wuschen die Wäsche.
Fünf Monde lang. Zur Strafe.
Zunächst.

ENDversion

Letzte Aktualisierung: 24.05.2016 - 22.58 Uhr
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