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Der verzauberte Wald | Mai 2016

Der Märchenwald
von Susanne Weinsanto

Heute wachte Anna, wie jeden Tag, genau um 06:23 Uhr auf. Mittlerweile musste sie sich dafür nicht einmal mehr den Wecker stellen. Ihr Körper hatte sich an diese immer gleiche Uhrzeit gewöhnt. Anna stand daher auch am Wochenende exakt um 06:23 Uhr auf, auch wenn sie manchmal lieber länger liegen geblieben wäre
Heute war ein schöner, sonniger Tag im Mai. Da es Sonntag war, musste Anna nicht arbeiten. Sie überlegte sich, auf was sie heute Lust hatte. Nachdem sie einige Zeit überlegt hatte, entschloss sie sich, einen Spaziergang zu machen. Sie war erst vor kurzem in diese Gegend gezogen und sie hatte gehört, dass am anderen Ende des Dorfes ein ganz besonderer Wald sein sollte. Jedes mal wenn sie nachfragte, was denn an diesem Wald so besonders sei, bekam sie keine Antwort. Niemand wollte es verraten. Der dunkle Wald musste also ein Geheimnis haben. Anna liebte Geheimnisse und diesem Geheimnis wollte sie schnellstmöglich auf die Spur kommen. Sie packte ihr Handy, ihren Geldbeutel, etwas zu trinken und ihren Fotoapparat in einen kleinen Rucksack. Sie liebte das Fotografieren. Was sollte es Schöneres geben als in einem Wald, der offensichtlich ein Geheimnis verbarg, zu fotografieren. Vielleicht würden ihre Bilder ja bekannt werden, wenn es ihr tatsächlich gelang, das Geheimnis zu lüften. Anna hatte gute Laune, und fühlte sich fit. Sie ging aus dem Haus und lief immer geradeaus, bis sie nach ungefähr 20 Minuten, ein letztes Mal eine Straße überquerte. Auf der anderen Seite dieser Strasse sah sie den dunklen Wald. Jetzt wo sie diese Dunkelheit sah, die von dem Wald ausging, in dem es noch nicht einmal richtige Wege gab, da gruselte es sie dann doch ein wenig. Einen kurzen Moment setzte sie sich auf eine Baumstumpf der direkt vor dem dunklen Wald stand. Sie dachte nach und überlegte sich: „Soll ich heir wirklich rein?“ „Was mag dieser Wald für ein Geheimnis haben?“ „Was wenn mich der Wald verschlingt und ich nie mehr nach Hause komme?“ Da merkte sie, dass das meiste, was sie gerade gedacht hatte, Unsinn war, und nur aus ihrer Angst heraus entstanden war.
Sie stand auf und lief langsam, immer einen Fuß vor den anderen setzend in den Wald hinein. Nach jedem Schritt hörte sie in den Wald hinein ob irgendwelche Geräusche oder stimmen zu hören waren. Bis sie tief, sehr tief, im Wald war, hörte sie nichts. Dann aber hörte sie es. Da rief irgendjemand „Heute back ich, morgen brau ich, und übermorgen hol ich mir der Königin ihr Kind“
Anna wusste, diesen Text kannte sie von irgendwo, vor lauter Aufregung fiel ihr aber nicht ein woher. Während sie weiter langsam durch den Wald lief, grübelte sie darüber nach woher sie diesen Text kannte. Sie kam nicht drauf. Plötzlich schoss eine wunderschöne Kutsche an ihr vorbei, bei der sich genau in dem Moment als sie an Anna vorbeifuhr, die Pferde in Mäuse verwandelten. Auch das kannte sie, aber auch hier fiel ihr nicht ein woher. Noch einmal lief sie weiter in diesen dunklen, ziemlich grusligen Wald. Da sah sie, dass ein wunderschönes Pferd ihr entgegenkam, auf dem ein Mann sass, der wie ein Prinz aussah. Direkt vor Anna blieb er stehen und fragte sie: „Oh holde Maid, wisst ihr, wo es zum Schlosse geht, in dem Dornröschen schläft?“ Das wusste Anna zwar nicht, aber jetzt fiel ihr wieder ein wo sie diese Kutsche schon einmal gesehen, und den Text schon gehört hatte. Das waren alles Dinge aus Märchen.
Sie sagte zu dem Prinz: „Oh mein edler Prinz, wo Dornröschens Schloss weiss ich nicht, doch ich würde gerne bei Euch bleiben.“ Der Prinz machte Anna klar, dass das nicht geht, dass es in diesem Wald aber noch genügend Prinzen gab, die ihre Prinzessin noch nicht gefunden hatten. Der Prinz verabschiedete sich und Anna suchte weiter. Bald schon hatte Anna einen Prinzen gefunden, der immer noch nach seiner Prinzessin suchte. Anna folgte dem Prinzen auf das Schloss, und sie war so verzaubert von ihm, dass sie nie wieder in ihr Dorf zurückkehrte, und für immer als Prinzessin in diesem verzauberten Wald lebte. Die anderen Dorfbewohner suchten Anna einige Zeit lang vergebens, in den Wald hat sich seit dem verschwinden von Anna niemand mehr getraut. Anna lebte dennoch glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage. Denkt also daran, nur weil jemand verschwindet, heißt das noch lange nicht, dass dieser Mensch unglücklich ist...
(c) Susanne Weinsanto

Letzte Aktualisierung: 08.05.2016 - 15.09 Uhr
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