âEde, du bist verrĂŒckt.â Benno rieb sich seinen graumelierten Kinnbart. âIn deinem Alter! Du bist nicht mehr flink genug.â
âBenno, ich heiĂe immer noch Eduard und nicht Ede, auch wenn ich einst der Panzerknacker Nummer Eins war.â Der fast AchtzigjĂ€hrige von korpulenter Statur saĂ in seinem Ohrensessel und fuhr sich ĂŒber das kahle Haupt.
âUnd ich heiĂe Bernhard, aber das hat dich nie interessiert, weil ich immer nur dein Gehilfe war.â
Betty, eigentlich Bettina, kam aus der KĂŒche und servierte den Herren Pfefferminztee, denn beide litten seit einiger Zeit an empfindlichen MĂ€gen. âWillst du eine Apotheke ausrauben?â, fragte sie Eduard und kicherte rau, weil ihr das Nikotin ĂŒber die Jahre auf die StimmbĂ€nder geschlagen hat.
âSollen wir uns etwa die Beute von den Jungspund-Banden aus Osteuropa wegschnappen lassen?â, fragte Eduard. âHeutzutage ist es einfach, ungesĂŒhnt einen Bruch zu begehen, denn bei den Bullen haben sie zu wenig Personal. Das ist unsere Chance, die magere Rente aufzubessern.â
âOhne michâ, entgegnete Bettina, âich habe keinen Anhang, der mich anpumpt und lebe gut von meiner Grundsicherung.â Sie setzte sich auf die zerschlissene Couch und nuckelte am PiccoloflĂ€schchen.
Mein Gott! Was sie frĂŒher fĂŒr Reisen unternommen hatten! Champagner in Monaco, TrĂŒffel in Frankreich und zwischendurch eine kulinarische Erholung fĂŒr den Stoffwechsel hinter schwedischen Gardinen. Aber sie hatten immer zusammen gehalten wie Pech und Schwefel.
âIch mache auch nicht mitâ, meinte Bernhard, âerstens mein Rheuma; und wenn ich rĂŒckfĂ€llig werde, lassen sich meine Enkel nicht mehr bei mir blicken.â
âMeiner kommt nur, wenn er Geld braucht, da pfeif ich drauf. Und Flachbildschirme wiegen kaum was!â Er fuchtelte wild mit den Armen umher. âDas ganze Elektronikzeug liegt in den HĂ€usern parat und wartet nur darauf, auf dem Flohmarkt verscherbelt zu werden.â
âHmâ, ĂŒberlegte Bernhard, âda ist was dran. Geiz ist geil. Da fragt man nicht, wo das Lap-Top herkommt.â
âDerâ, verbesserte Bettina.
âBetty, sei du ma ruhig!â, brauste Bernhard auf, âdu bist sowieso raus aus der Nummer.â
âUnd du?â, stellte sie die Gegenfrage und hielt das FlĂ€schchen enttĂ€uscht gegen das Licht, weil es leer war.
âEcht, Ede, ich kann nicht.â Bernhard klopfte ihm auf die Schulter: âWie ich dich kenne, ziehst du das Ding auch alleine durch und gehst nicht kopflos auf Tour.â
âEde hat immer alle Papiere beisammen. Planung ist allesâ, sĂ€uselte Bettina.
* * *
Das Objekt der Begierde hatte Eduard schnell gefunden, denn er trug tĂ€glich im Morgengrauen die Tageszeitung aus, um fit zu bleiben. Es war eine alte Villa in einer ruhigen SeitenstraĂe, wo die Nachbarn lĂ€ngst das Rentenalter erreicht hatten und stets im Urlaub waren. Hier jedoch war vor zwei Wochen eine junge Familie eingezogen mit vier Kindern wie die Orgelpfeifen, zwei vor und zwei mitten in der PubertĂ€t, das hatte er an den FahrrĂ€dern vor der TĂŒr gesehen. Und zwei hochkarĂ€tige Autos vor der Doppelgarage zeugten von einem gewissen Wohlstand. Sowas entging seinen geschulten Augen nicht. TĂŒren und Fenster waren ebenso altertĂŒmlich wie das GebĂ€ude. Leichtes Spiel also, bevor die EigentĂŒmer einbruchsichere Fenster und TĂŒren einbauen lieĂen.
Er setzte das Brecheisen an der hinteren NebentĂŒr an und Schwupps! FĂŒnf Sekunden und sie sprang auf. Eduard leuchtete mit einer LED-Taschenlampe den Weg aus, es ging eine knarrende Treppe hinauf.
âWow!â, dachte er, âso helle LĂ€mpchen hĂ€tte es frĂŒher geben sollen. Die hier habe ich mir als sinnvolle Investition zugelegt. War nicht billig, aber Sicherheit geht vor.â
Ihm war klar, dass die Familie in der Mansarde schlief. Deshalb musste er sich auch mit den Habseligkeiten aus dem Erdgeschoss begnĂŒgen. Allerdings lag auch alles, was er verscherbeln könnte, griffbereit in Wohn- und Esszimmer. Ruhig verstaute er nach und nach das Diebesgut im Bollerwagen, der ihm zum Transport der Zeitungspakete diente. Die Packung Pfefferminztee vom Tisch steckte er auch noch ein, Betty wĂŒrde sich bestimmt darĂŒber freuen. SchlieĂlich hatte sie keine Menschenseele und war froh, ihre verwitweten Kerle bemuttern zu können. FrĂŒher hatte sie immer Schmiere gestanden und war stets zuverlĂ€ssig gewesen, hatte nie die Nerven verloren.
Als er sich das Tablett unter den Arm geklemmt hatte, hörte er die WasserspĂŒlung von der Toilette rauschen. Schnell huschte Ede die Kellertreppe hinunter, eilte zum Gartenausgang, legte es zu den anderen Sachen, breitete ein paar Zeitungspacken darĂŒber und verschwand durch das Gartentor.
âMist!â Bei der ĂŒbereilten Flucht war er mit seiner Hosentasche am Pfosten des Garten-Durchgangs hĂ€ngen geblieben und riss sich einen Fetzen ab.
Auf dem RĂŒckweg warf er noch ein paar Zeitungen in die BriefkĂ€sten und verstaute die Beute rechtzeitig im Schutz der DĂ€mmerung in seinem Keller.
Samstag wĂŒrde er alles auf dem Trödelmarkt zu Geld machen, denn seit langem trĂ€umte er von einer Reise nach England, der Heimat von Sherlock Holmes.
* * *
Eduard grinste stolz, blĂ€hte seine Brust auf und schlĂŒrfte an Bettinas Tee. âIch habe das Ding routiniert durchgezogen.â
Benno klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und genoss ebenfalls das starke GebrÀu mit wenig Wasser, aber viel Zucker.
Bettina pfiff durch die ZĂ€hne: âHast es immer noch drauf.â
Und dann gab es auch schon ein lautes Krachen, einen Knall und in Eduards Wohnzimmer standen mehrere Polizisten. âWer ist Eduard Schleienkötter?â
Bernhard zeigte verdattert auf Ede, die Handschellen klickten ein. âSie sind verdĂ€chtig, in der . . . straĂe einen Einbruch . . . â
Eduards Brust fiel ein wie ein Luftballon, aus dem man die Luft raus lieĂ.
âTja, Alterchen, dann komm mal mit.â
âKein Respekt vor Seniorenâ, flĂŒsterte Bettina. .
* * *
âIch fass es nicht!â, rief Benno beim Stammtisch âGanoven-ADâ aus, âich habe geahnt, dass das schief geht!â
Bettina schĂŒttelte ihren Kopf. âSo eine Blamage!â Sie blickte in die Runde und Ă€ffte Eduard nach. âDie haben sowieso zu wenig Personal bei den Bullen.â
Bernhard schob die Teetasse beiseite und bestellte sich ein Bier. âHabe das Ding routiniert durchgezogenâ, ahmte auch er Ede nach.
âDein Magen! Kein Bier!â, ermahnte Bettina ihn.
âScheiĂ was auf meinen Magen! Kannst du dir vorstellen, was das fĂŒr uns bedeutet?â
Bettina trank den Piccolo auf Ex hinunter und blickte grimmig auf das Schild âRauchverbotâ.
âUnd ihr habt ihn nicht zurĂŒckgehalten?â, wurden sie von den anderen gefragt, âwo ihr doch einst DAS Top Trio wart?â
Auch andere Stammtischmitglieder meldeten sich zu Wort:
âAb sechzig ist Schluss! Da muss man das Feld den JĂŒngeren ĂŒberlassen!â
âUnd genau die werden sich nun kringelig lachen.â
âWie kann man auch so blöd sein!â
âRoutiniert durchgezogen? So ein StĂŒmper!â
âWarum StĂŒmper?â, fragte Bettina Ă€rgerlich, als könne sie Eduards Ganovenehre wenigstens noch ein bisschen retten.
âWeil so viel Doofheit auf einen Haufen ein schlechtes Licht auf uns alle wirft! Und besonders auf uns, Betty, seine einstigen Komplizenâ, jammerte Bernhard. âWie stehâ ich denn nun vor meinen Enkeln da?â
âAber du warst doch garnicht dabeiâ, erinnerte Bettina ihn.
âEdes unkompetentes Verhalten wirft ein schlechtes Taschenlampenlicht auf unsere Zunft!â, betonte der Stammtisch-Vorsitzende.
Er putzte seine Brille und verkĂŒndete: âMit sofortiger Wirkung ist Eduard nicht mehr Mitglied unseres Stammtisches. Eduard Schleienkötter, alias Ede, hat Hohn und Spott ĂŒber uns gebracht!â
âGanovenehre besudeln! Buhhhh!â, riefen einige.
âEs steht sogar auf der ersten Seite!â Jemand warf Betty die Tageszeitung ĂŒber den Tisch. âDa! Lies! RiesengroĂe Schlagzeile!â
Bettina gab das Blatt an Bernhard weiter, denn mit dem Lesen hatte sie es nicht so.
âDUMM GELAUFEN! Einbrecher verliert auf der Flucht seinen Tagesblatt-Zustellerausweis am Gartentor!â
Bettina steckte sich trotz Rauchverbotes eine Zigarette an und blies Kringel in die Luft, denen sie vertrĂ€umt nachsah. âEde hatte immer alle Papiere beisammen.â
âNur diesmal hat er sie verlorenâ, flĂŒsterte Benno.
âUnd stellt euch vorâ, Betty drĂŒckte die Zigarette aus, âsie haben nicht nur die Beute aus Edes Keller geholt, die haben auch die Packung Pfefferminztee mitgenommen! âGehört zum Diebesgutâ, hat der junge unerzogene Beamtenschnösel gesagt.â
Benno liefen die TrĂ€nen ĂŒber die Wangen und versickerten stumm in seinem Bart. Er leerte das Glas Bier in einem Zug.
END-Version
Letzte Aktualisierung: 21.06.2016 - 19.17 Uhr Dieser Text enthält 8693 Zeichen.