Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Spott und Hohn | Juni 2016
Der Hauch des Todes
von Ingo Pietsch

Gadan schreckte schweißgebadet aus einem Albtraum hoch. Trotzdem es in der Nacht abgekühlt war, glühte sein Körper vor Hitze.
Schwer atmend setzte er sich auf die Bettkante und schöpfte mit beiden Händen Wasser aus der Schüssel neben dem Bett.
Gadans Frau Melize drehte sich zu ihm herum. „Hattest du wieder einen deiner Träume?“
Er traute sich nicht, sich ihr zuzuwenden, denn er wusste, dass sein Gesicht auch im Halbdunkel aschfahl war und er sie damit nicht erschrecken wollte.
„Es wird immer schlimmer“, sagte er ängstlich. „Überall sind Flammen und ich höre Schreie. Eure Schreie!“
Melize legte ihm eine Hand auf die Schulter: „Du hast wahrscheinlich Vorahnungen. Versuche herauszufinden, was es damit auf sich hat!“
Gadan starrte noch eine Weile die weißgetünchte Wand vor ihm an, um seine Gedanken zu sammeln. Da er nicht mehr schlafen konnte, macht er sich daran, mit seinem Tagewerk zu beginnen.

Gadan ging nach unten, um den Ofen anzuheizen. Er lächelte vor sich hin, als er seinen Sohn erblickte, der auf den schweren Mehlsäcken, die er am Vorabend von einer Mühle abgeholt hatte, eingeschlafen war.
Er war ein guter Junge und würde das Handwerk später an seiner Statt fortführen.
Gadan fragte sich, wie lange sie es noch in dieser Stadt aushalten würden. Sie waren von schlechten Menschen umgeben und er hatte Angst, dass sein Sohn eines Tages auch diesen Weg nehmen würde.

Die Sonne war kaum aufgegangen, schon öffnete Gadan die Lade seines Geschäftes und stützte sie mit einem langen Holzstab ab. Er verkaufte Brot und andere Teigwaren. Er stellte ein paar Körbe mit herrlich duftenden Fladen nach draußen und beobachtete dabei aus den Augenwinkeln eine vermummte Gestalt, die sich im Schatten einer Gasse versteckte.
„Gadan! Wirf uns mal was Essbares rüber!“, grölte eine Stadtwache, die es sich mit ihren drei Begleitern auf dem Stroh eines Stalls nebenan bequem gemacht hatte.
Zwei von ihnen waren noch trunken von der durchzechten Nacht und schnarchten laut. Die dritte urinierte in die Tränke der Tiere.
Gadan schüttelte den Kopf. „Bezahlt und ihr bekommt was zwischen die Zähne.“
Die Hauptmann torkelte heran und grölte: „Erweise deinem König einen Dienst und gib seinen schwer arbeitenden Untertanen was ihnen zusteht.“
Die Gestalt sprang aus der Gasse und rannte mit wehendem Mantel an der Wache vorbei.
Sie schnappte sich einen übervollen Korb, zwängte sich zwischen Karren und Ständen hindurch und verschwand in der Menge.
„Ein Dieb! Haltet den Dieb!“, schrie Gadan. Doch niemand nahm Notiz von ihm.
Der Hauptmann hatte wegen seines Körperpanzers das Gleichgewicht verloren und gebärdete sich wie eine Schildkröte, die auf dem Rücken lag. Auch ihm half niemand. Ein jeder wusste, dass die Soldaten des Königs bestechlich waren und bei Verbrechen wegsahen. Einige erpressten sogar Schutzgelder.
Die Wache rammte ihren Speer in die matschige Erde und kämpfte sich mühsam daran hoch. Als sie wieder stand, rückte sie ihren Helm zurecht und ging zu Gadan.
„Das hast du jetzt davon. Hättest du uns was zu essen gegeben, hätten wir den Dieb fangen können“, grinste ihn der Soldat an. Er stank nach abgestandem Bier. Dann nahm er sich ungefragt einen Fladen und ging zu seinen Begleitern zurück.
„Vater, willst du nichts dagegen tun?“
Gadan knirschte mit den Zähnen.
„Ja, Gadan, bring deinem Sohn bei, dass er uns das nächste Mal unser Frühstück auf Knien servieren soll.“ Die Männer lachten.
Gadan fasste seinen Sohn bei den Schultern und sagte: „Bleibe immer ehrlich und du wirst dafür belohnt!“
„Der Ehrliche ist immer der Dumme!“, mokierte sich der Anführer der Wache.
Gadan schossen die Tränen in die Augen. Er beschloss noch heute einen Seher aufzusuchen, der ihm seinen Traum deuten konnte.

Gadan wusste, dass es viele Scharlatane in der Stadt gab. Er kannte aber jemanden, dem er halbwegs vertrauen konnte.
Egal, wohin er blickte: Die ganze Stadt war von oben bis unten verkommen.
Würfelspiele und Hahnenkämpfe auf der Straße. Die Dirnen standen teilweise nackt vor den Türen und man konnte das zügellose Treiben bis auf die Straße hören.
Ein Mann stolperte an Gadan vorbei und fiel mit dem Gesicht voran in den Schlamm. Keiner half ihm.
Gadan bückte sich und zog den Mann hoch, damit er nicht erstickte. Sein Blick war gläsern und ihm lief Speichel aus dem Mund. Er hatte wahrscheinlich irgendein Rauschmittel konsumiert und war nicht mehr Herr seiner Sinne. Gadan hievte ihn an den Straßenrand und machte unter dem Gelächter der Schaulustigen, dass er weiter kam.

Das Haus des Sehers lag in einem Hinterhof.
Gadan war schon vor Jahren einmal hier gewesen, um den alten Mann um Rat zu fragen, als sein Sohn schwer krank gewesen war.
Hier sah jetzt alles anders aus: Der Putz bröckelte von den Wänden, Unrat lag auf der Straße, streunende Hunde jagten Ratten hinterher.
Gadan schauderte es. Er hatte gedacht, sein Viertel wäre schäbig, aber dies hier war viel schlimmer. Er mochte sich gar nicht ausdenken, wie es wohl, bei den wirklich armen Menschen der Stadt aussah.
Er klopfte an und trat ein.
Der Seher war damit beschäftigt, seine Habe in einen Sack zu stopfen. Er sah auf: „Gadan, was führt dich zu mir?“
Gadan wunderte sich nicht, dass er ihn nach der langen Zeit wieder erkannte. Er war ja schließlich ein Seher. „Ich habe einen schrecklichen, wiederkehrenden Traum, den du mir deuten musst.“
Der Seher hielt inne: „Erzähle mir davon.“
Gadan berichtete ihm.
„Weißt du Gadan, du bist genauso blind gewesen wie ich. Sieh dich um und erzähle mir, was um dich herum geschehen ist.“
Gadan hatte gehofft, hatte geglaubt, doch die Menschen waren schlecht geworden.
„Nimm deine Familie und verschwinde von hier. Nichts kann den Untergang der Stadt noch aufhalten.“ Der alte Mann warf sich den Sack über die Schulter und ging zur Tür hinaus.

Gadan rannte los. Ihm war klar geworden, dass der Seher Recht hatte. Er rempelte einen Handkarren an, der auf die Seite fiel. Der Besitzer warf ihm einige Beleidigungen hinterher. Gadan hastete weiter und ignorierte das völlig überhebliche Gejohle der Anwohner. Alle zeigten mit dem Finger auf ihn, als er sie gehetzt passierte.
Melize erwartete ihn zuhause. „Was ist los mit dir? Was hat der Seher gesagt?“.
Als Gadan wieder zu Atem gekommen war, berichtete er. Melize rief nach ihrem Sohn und sie sammelten nur ein, was sie tragen konnten.

Am Stadttor begegneten sie der Wache vom Vormittag. Die Männer stellten sich ihnen in den Weg.
„Ach, der Bäcker ist hier, um sich zu entschuldigen“, rief der Hauptmann.
Gadan bebte vor Zorn.
Die Männer begannen seinen Frau und seinen Sohn zu umstellen und unsittlich anzufassen.
Der Hauptmann zog seinen Säbel und setzte ihn an Gadans Kehle.
Gadan schloss die Augen und übergab dem Soldaten seine Habe.
„Na, geht doch. Männer lasst sie durch.“ Die Wachen gingen zur Seite.
Verängstigt rannten die drei den Hügel hinunter, auf dem die Stadt gebaut war. Kaum hatten sie die letzten windschiefen Hütten vor der Stadtmauer hinter sich gelassen, gab es ein leichtes Erdbeben.
Gadans Familie wurde zu Boden geschleudert. Fauliger Geruch stieg aus dem Erdinneren auf.
Sie konnten kaum mehr atmen, zogen sich gegenseitig hoch und stolperten weiter.
Dann gab es ein fürchterliches Donnern, als ginge die Welt unter. Als sie zurückschauten, sahen sie, wie die Stadt Gomorra in einer riesigen Feuersäule verging, die sich in den wolkenbedeckten Himmel bohrte. Die ganze Ebene stand in einem Meer aus Flammen.
Obwohl sie weit genug weg waren, konnten sie die unerträglich Hitze spüren.
„Wohin sollen wir jetzt gehen?“, fragte Melize unter Tränen.
„Mein Schwager Lot wohnt in Sodom, dorthin gehen wir jetzt.“ Gadan wies in die Richtung, wo ein flammender Finger alles Schlechte auslöschte …

Letzte Aktualisierung: 21.06.2016 - 21.06 Uhr
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