Der himmelblaue Schmengeling
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Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Vermutungen | Juli 2016
Kastanienweg 14
von Monika Heil

»Wann hast du Richard zum letzten Mal gesehen?«
»Keine Ahnung. Letzte Woche?«
»Komisch. Könnte er verreist sein?«
»Wohl kaum. Hat ja auch gar kein Auto mehr.«
»Das sagt nichts.«

Die beiden Nachbarn Erich Müller und Fritz Kanter schauten immer wieder zum Grundstück Nr. 14. Nichts rührte sich dort.
»Der Rasen müsste auch mal wieder gemäht werden.«
»Ich würde es ja machen. Aber du kennst Richard. Der hat an allem was zu meckern. Dem kann man doch nichts Recht machen.«
»Sollte man die Polizei anrufen?«
»Nun mach´ nicht gleich die Pferde scheu. Vielleicht ist er ja im Krankenhaus und wir haben nur nichts mitbekommen.«
»Hat Richard nicht einen Betreuer?«
»Mmh, ich glaube ja.«
»Weißt du, wie der heißt?«
»Nö. Aber du hast Recht. Da kommt alle paar Wochen mal wer vom Gesundheitsamt vorbei.«
»Richtig. Egal ob der Richard zu Hause ist oder nicht. Der klingelt und dann geht er wieder weg.«
»Sollte man da mal anrufen?«
»Lass das lieber sein. Wir wissen doch nichts Genaues. Nachher blamieren wir uns noch. Ist doch auch schön, dass mal Ruhe ist in unserer Straße. Der alte Nörgeler geht mir eh auf den Geist.«
»Hast ja Recht.«

Die beiden setzten ihre morgendlichen Tätigkeiten fort.
Der eine schnippelte an seiner Gartenhecke, der andere kehrte weiter den Bürgersteig. Ein Schar Spatzen schimpfte lautstark.
»Essen ist fertig«, rief Else Müller kurz darauf aus dem Fenster. Erich zog seine Gartenschuhe aus und ging folgsam ins Haus. Auch Fritz beendete seine Arbeit. Kurz darauf hatten die Spatzen die Hecke wieder für sich allein. Sie zwitscherten erfreut.

Fritz Kanter ließ es keine Ruhe. Nach seinem Mittagschlaf rief er doch das Gesundheitsamt an.
»Wir wissen von nichts. In die Wohnung dürfen unsere Beamten sowieso nicht. Das wäre rechtswidrig. Rufen Sie die Polizei. Die darf das.«
Die Polizei verwies ihn an das Ordnungsamt. Eine Stunde später beobachtete er, weil er zufällig am Fenster stand - wie immer, wenn sich draußen etwas bewegte - wie das Fahrzeug des Ordnungsamtes vor Nr. 14 parkte.

Sie waren zu zweit. Einer öffnete das niedrige Gartentor, ließ dem anderen den Vortritt und dann gingen sie den schmalen Plattenweg entlang zum Haus. Niemand reagierte auf ihr Klingeln. Einmal, zweimal, dreimal - nichts. Einer ging rechts um das Grundstück, der andere links herum. Sie schauten in die Parterrefenster, konnten jedoch nichts entdecken. Die Gardinen waren zugezogen.

Fritz Kanter hielt es auf seinem Beobachtungsposten nicht mehr aus. Wie zufällig schlenderte er auf die beiden Beamten zu.
»Suchen Sie Richard Mattern?«
»Wir wollten mal nach dem Rechten sehen. Hatten einen Anruf. Es gibt aber offensichtlich keine Anzeichen für Gefahr im Verzug.«
»Na dann. Schönen Tag, die Herren.«
Vermutlich hatte Erich Recht. Besser, man mischte sich da nicht ein. Er hatte jedenfalls seine Pflicht getan.

Nach weiteren vierzehn Tagen rief Else Müller bei der Polizei an. Sie ließ sich nicht abwimmeln. Die Beamten kamen nach einer guten Stunde. Niemand reagierte auf ihr Klingeln. Die Polizisten riefen einen Schlüsseldienst. Sie fanden den Toten in der Küche.

Am nächsten Tag stand ein Bericht im Tageblatt. Groß aufgemacht. Ausführlich. Nachbarn hätten vermutet, dem Verstorbenen sei etwas zugestoßen und die Behörden eingeschaltet. Mehrfach. Doch weder Gesundheits- noch Ordnungsamt hätten eingreifen und das Haus betreten dürfen, erklärte ein Sprecher der Stadt. »Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist ein hohes Gut« verteidigte Amtsleiter Udo Striese seine Mitarbeiter. Das Ordnungsamt habe richtig reagiert und schließlich die Polizei eingeschaltet. »Mehr konnten die Kollegen nicht tun«, erklärte er abschließend.

Die Polizei wiederum konnte feststellen, dass der Briefkasten des Hausbesitzers längere Zeit nicht geleert worden war. Daraufhin habe man die Wohnung geöffnet. Die Beamten fanden den Siebzigjährigen auf dem Küchenfußboden liegend. Zu jenem Zeitpunkt war er offensichtlich bereits längere Zeit tot, berichtete ein Beamter. Wie üblich in solchen Fällen gelte die Todesursache als ungeklärt.
Irgendwelche Hinweise auf ein Verbrechen oder einen Suizid seien nicht erkennbar, hieß es weiter.
»Die ärztliche Schweigepflicht gilt über den Tod hinaus«, sagte auch die Leiterin des Gesundheitsamtes Dr. Josefa Miltner. Keinesfalls hätte sich ihre Behörde eines Fehlverhaltens schuldig gemacht.

Nachbarn wollen wissen, dass Richard M. einen Betreuer hatte. Dieser sei jedoch länger nicht gesehen worden. Beim Vormundschaftsgericht war dazu nichts zu erfahren.

Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet. Laut Oberstaatsanwalt Uwe Schwarz komme es leider hin und wieder vor, dass jemand tot in seiner Wohnung gefunden wird. An einen Zeitraum von vier oder fünf Wochen könne er sich jedoch nicht erinnern.

Letzte Aktualisierung: 07.07.2016 - 19.19 Uhr
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