Das alte Buch Mamsell
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Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
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Vermutungen | Juli 2016
Dublin Touchdown
von Klaus Freise

Ich war mit der Gesamtsituation unzufrieden. Ich war am Boden. Nicht zerstört, aber ziemlich beschädigt. Meine Nase blutete, mein Kopf schmerzte und vermutlich hatte dieser Springerstiefeltyp mir auch eine Rippe gebrochen.
Meine Therapeutin hatte mir geraten, in Krisensituationen erst mal zu reflektieren, also Selbstreflektion, Krisenanalyse oder so. Ich bin James McDermid, vierundvierzig Jahre alt, fast gut aussehend und der erfolgreichste Schriftsteller in Irland. Ich bin nicht verheiratet, habe eine vierzehnjährige Tochter aus einer anderen Krisensituation und liege gerade auf dem Kopfsteinpflaster in einer Seitenstraße von Dublin.
Vor zwei Tagen ist mein neuster Roman erschienen, zweifellos ein weiteres Meisterwerk der Gegenwartsliteratur. Bei der Auswahl der Thematik des neuen Werkes habe ich mich wieder ganz auf meinen, schon von Kritikern als genial bezeichneten, untrüglichen Instinkt und stets überragenden Intellekt verlassen.
Die Auswahl war diesmal Scheiße.
Ich hatte eine fiktive Biographie eines der größten Drogenbosse Dublins ersonnen.
Dachte ich.
In mein schräg stehendes Blickfeld gerieten jetzt die beiden schmerzliefernden Springerstiefel. Mit schier unaussprechlichen Willen gelang es mir meinen Kopf so zu drehen …
„Stellt den Schreibfinger wieder auf die Beine.“
Ich hasse es, wenn ich bei meiner Selbstreflektion unterbrochen werde, aber diese Stimme kam sicher nicht von Mister Springerstiefel. Irgendwo hinter mir stand jemand, in dessen Stimme sowohl uneingeschränkte Autorität, als auch gönnerhaftes Mitgefühl für einen Bestsellerautor mitschwang.
Vor mir kamen die Springerstiefel… hier fällt mir der gute Rat meiner Lektorin wieder ein: Wortwiederholungen stets vermeiden. Jedenfalls beugte sich eine nach Bier und Pisse stinkende Bomberjacke zu mir herab. Ein Gesicht, mit klischeehaft kahlrasiertem Schädel und Tätowierungen, die mich an einen Rorschachttest meiner Therapeutin erinnerten, geriet in mein Blickfeld. Zwei Pranken, ebenfalls mit Tätowierungen überzogen, griffen unter meine Achseln, hoben mich scheinbar mühelos empor. Gut, meine fast durchtrainierten fünfundsiebzig Kilo boten kaum Widerstand.
Gerade als ich diesen Moment der Schwerelosigkeit genießen wollte, plumpste ich wieder auf meine Füße.
„Meine Güte, er sieht ja in Natura noch kleiner aus, als auf den Coverfotos.“
Diese Worte taten mir dann doch weh, ausgesprochen hatte sie ein Mann in einem dunkeln Mantel, der direkt meinem Roman entsprungen sein könnte. Hier muss ich unbedingt nochmal …
„So, so, der berühmte Mister McDermid.“
Er trat einen Schritt auf mich zu und für einen kurzen Augenblick dachte ich, er würde mir doch tatsächlich die Hand schütteln. Aber das war, wie meine Therapeutin sagen würde, beginnendem Realitätsverlust geschuldet.
Der helle Seidenschal passte perfekt zu seinem kurzen weißen Vollbart und natürlich, hier kamen mir doch ein paar Tränen, trug er den Hut. Den schwarzen Stetson. Den einhundert fünfzig Pfund teuren Stetson. Ich meine, wer trägt heute noch einen Hut. Außer den Protagonisten in meinem Roman. So langsam brach mir der Schweiß aus. Besonders zwischen meinen Beinen hatte sich eine unangenehme Feuchtigkeit ausgebreitet.
Unter Aufbietung aller Kräfte gelang es mir ein:
„Hallo Mister Finnegan“, zu artikulieren. Wobei etwas Blut auf meine Unterlippe tropfte, was mir der dramatischen Situation angemessen erschien.
Ich hatte meinen Romanganster „Flannigan“ genannt und hörte noch die ermahnenden Worte meiner Lektorin: „Vielleicht sollten Sie nicht zu nahe an der Realität …“
„Schön, James“, er beugte sich etwas vor. „Ich darf Sie doch James nennen oder James?“
„Sicher, Mister Finnegan, sicher“, stammelte ich, mit den Nerven am Ende.
Rechts neben ihm gackerte ein fetter Kerl:
„Äh, Boss? Ich glaub er macht sich grad nass, hi, hi, hi.“
Wenn dieser fette Kerl nicht Marvin war, wollte ich nicht meist gelesener Autor Irlands sein. Es passte alles. Die unglaublich massige Gestalt. Hände so groß wie Wagenräder, die einem Opfer das Gesicht zu Brei schlagen konnten und dann dieses Gesicht: Geformt wie ein riesiges Milchbrötchen mit kleinen schwarzen Schweinsäuglein, also eher wie ein Rosinenbrötchen. Wenn er grinste war er praktisch blind, weil seine Äuglein in einer Fettschicht verschwanden. Marvin. Wie hatte ich ihn gleich genannt? Ah, ja, „Melvin“, richtig. „Sie sollten bei der Wahl der Namen vielleicht nochmal drüber schauen“, hatte Lisa, meine Lektorin empfohlen. Falls ich das hier überlebte, musste ich mit ihr über die Thematik unbedingt mal eine Nacht schlafen oder zwei.
„Okay Jungs, lasst uns mal allein. Wartet im Wagen auf mich.“
Plötzlich, von den unterstützenden Pranken befreit, stürzte ich auf die Knie.
Marvin rieb sich die Hände und murmelte zu Springerstiefel:
„Ah, der Boss will es selber machen, sowas lässt er sich nicht entgehen, hi, hi, hi.“
Die beiden schlenderten zu einem Rolls Royce Silver Wraith Baujahr 1959. Einem der Letzten in Irland. Ich hatte ihm einen Bentley angedichtet.
Erst wollte ich ja einen Aston Martin nehmen, aber die waren ja schon von diesem James Bond Futzi belegt. Wie Marvin, diese wandelnde Gefäßverengung, den riesigen Rolls rückwärts eingeparkt hatte fand ich erstaunlich. In meinem Roman hätte der Typ ohne Hals das nie hingekriegt.
Die Gasse, in der wir uns befanden, war menschenleer und als die beiden Schläger in dem Wagen verschwunden waren, beugte sich Dublins Gangsterboss zu mir herab. Er tätschelte doch wirklich mein Gesicht und sprach:
„Ich hoffe, Sie entschuldigen den kleinen Klaps von vorhin. Marvin hat für Schriftsteller nicht viel übrig, müssen Sie verstehen.“
Oh, ja, vermutlich hatte Marvin für niemanden viel übrig. Ich kannte diese Art der Konversation zur Genüge. Immerhin hatte ich sowas oft genug geschrieben.
Der Gangster tätschelt dem Opfer die Wange und äußert dann Sachen wie:
>Ich mag dich mein Junge, nein wirklich. Ich mag dich. < Und dann: Fumm ! Kriegt man eine Kugel verpasst.
Tatsächlich fasste Finnegan jetzt in seine Manteltaschen. Ich schloss die Augen.
Nun würde er den silbernen 45er Colt Modell 1911 ziehen, in die Innentasche greifen und den vernickelten Schalldämpfer hervor holen. Während er das Ding aufschraubte, würde er so nette Sachen sagen, wie: >Ich mag dich Junge, nein wirklich. Ich mag dich. <
Gleich würde alles vorbei sein.
Nie wieder würde ich einen Bestseller der Gegenwartsliteratur raushauen.
Nie wieder würde meine Tochter mich freudestrahlend in die Arme schließen und jauchzen: „Oh, Dad. Ein neues iPhone, danke Daddy.“
Nie wieder würde ich an den festen Brüsten meiner Therapeutin saugen.
Nie wieder würde meine Lektorin mir ins Ohr stöhnen: „Mein Gott James, du machst mich fertig.“
Stattdessen würde morgen in allen Zeitungen stehen:
>Weltberühmter Bestsellerautor nach Veröffentlichung seines neunten Romans in Dublin hingerichtet. <
Finnegan tätschelte meine Wange und gerade als sich mein Schließmuskel völlige Entspannung hingeben wollte, öffnete ich ein letztes Mal die Augen.
Er hielt mir mit der einen Hand einen deutschen Mont Blanc Füller unter die triefende Nase und in der anderen ein Buch.
Nein, nicht irgendein Buch.
Es war mein Buch.
Er lächelte mich an und sprach:
„Tut mir wirklich leid, wegen der Unannehmlichkeiten, aber ich habe ja auch einen Ruf zu verlieren.“ Dann sah er sich schnell nach links und rechts um und flüsterte:
„Vielleicht eine kleinen Widmung, in tiefer Verbundenheit oder sowas.“
Also schrieb ich mit zitternden Fingern:
>Ich mag dich Junge, nein wirklich. Ich mag dich. <




Version 2



Letzte Aktualisierung: 19.07.2016 - 08.34 Uhr
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