Der himmelblaue Schmengeling
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Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Vermutungen | Juli 2016
Die Power-Pointer
von Eva Kraus

Sie saß weit hinten - in der viertletzten Reihe, dort hatte man den besten Überblick und es
fiel auch nicht so schnell auf, wenn sie gelangweilt zu ihrem Handy greifen würde, um
schlechte Vorträge zu überbrücken. Sie setzte sich immer weit nach hinten. Weit weg vom
Rednerpult, aber nicht so weit, dass sie die Präsentation auf der leuchtend weißen Leinwand
nicht mehr lesen könnte. Sie war noch nicht in dem Alter, in dem sie eine dieser modischen
Nerd-Brillen oder so ein Gestell, dass man ganz vorne auf die Nasenspitze schieben konnteum
damit besondere Herablassung auszustrahlen -, benötigte. Manchmal bereute sie das
und sie fragte sich, ob sie sich nicht einfach ein trendiges Modell ohne Stärke im Glas
zulegen sollte, nur so, der Wirkung wegen.
Auch ohne Brille gab es die eine oder andere Präsentation, bei der sich der Redner keinerlei
Mühe gab, dem Zu- oder Weghörer die Show durch optische Reize schmackhaft zu machen.
Wenn überhaupt, mühte man sich im Rahmen der Abschiedsfolie, einen kleinen Comic als
Joke einzubauen, dabei waren doch Jokes während des Vortrags viel wichtiger fand sie.
Statt Anreize zum Inhalt zu geben, folgten oft wahre Folienschlachten, als würde die Zahl der
Folien den Status des Inhalts verbessern. Folienschlacht - was für ein antiker Begriff, dachte
sie in diesem Moment, war doch die Folie längst durch die wahre Errungenschaft der
Modernen IT-Welt ersetzt worden: die PowerPoint-Präsentation.
Welcher der unzähligen kleinen Pixel, die zum Erstellen des Bildes auf der Leinwand
benötigt wurden, war wohl der PowerPoint, fragte sie sich? Und wozu brauchte man ihn?
Oder gab es gar mehrere?
Zog der PowerPoint alleine los auf die Leinwand und alle anderen Points mussten folgen wie
Soldaten ihrem Anführer? Oder glich die Point-Truppe eher einer Schulklasse beim
Museumsbesuch, alle plappern durcheinander, einige murren oder schlafen im Gehen,
andere wollen ihrem besten Freund von ihrem Wochenende oder ihrer letzten
Errungenschaft erzählen...
Vielleicht glich der PowerPoint aber auch einem dieser kraftstrotzenden kleinwüchsigen
Muskelpakete, die immer im hinteren Teil ihres Fitnessstudios trainierten. Einem dieser
Typen, die bei jeder Bewegung des Gewichts dramatisch stöhnten - hatten sie doch von
allen Anwesenden stets am meisten zu tragen. Ja, so einer war der Power-Point bestimmt.
Er hatte die Macht, kommandierte alle an ihren Platz, so dass sie gemeinsam- gleich einer
Choreographie der Schwimmerinnen beim Wasserballett, eine Bild ergaben.
Bei dieser Vorstellung taten ihr die kleinen Kerle, die Points, fast leid. Wer wusste schon, ob
sie Einfluss darauf nehmen durften, an welcher Stelle des Bildes sie schließlich gebraucht
wurden. Was, wenn einem einfach kein Blau stand, aber als blauer Point gebraucht wurde,
durfte man dann fern bleiben? Sicher nicht, wahrscheinlich gab es wilde Tauschaktionen,
ehe das Bild stimmte, besser wäre es vermutlich, die Choreographie in einer Generalprobe
zu üben. Sie stellte es sich sehr deprimierend vor, wenn man sein Leben lang nur schwarze
Texte auf weißem Grund bilden durfte. Welche Möglichkeiten hatte so ein Point wohl, sein
Leben zu verändern?
Sie sponn den Gedanken an die Points und ihre Welt weiter. Schlagartig wurde ihr klar,
worauf die kleinen Kerle vermutlich tagtäglich hin arbeiteten, das Ziel eines jeden kleinen
Pünktchens war es sicherlich, einmal im Rampenlicht des Big Boss zu stehen: des Pointers.
Der Einzige von allen Points, der über sein eigenes Elektrizitätswerk zu verfügen schien. Er
alleine konnte jeden einzelnen Point koronagleich erhellen, er hatte die Macht.
Jeder Point lebte tief in seinem Inneren nur für den einen Augenblick, in dem er alleine -
angestrahlt durch den Big Boss - alles zeigen durfte, was in ihm steckte. Alle im Saal, das
wusste man inzwischen, würden den Kopf drehen und ihn ansehen, sobald der Pointer auf
ihn zeigte, das war seine große Chance, was für ein Traum.
Es war wie im wahren Leben, dachte die junge Frau, man strebt nach Anerkennung und
wartet auf den einen großen Augenblick in dem man weiß, man hat es geschafft, der Star auf
der Bühne - oder eben auf der Leinwand. Sie wollte auch so ein Star sein, endlich! Sie wollte
nicht mehr hinten sitzen, wo sie übersehen oder angerempelt wurde, wenn andere ihre
Plätze einnahmen, dabei ihr Getränk über ihre Unterlagen verschütteten, die sie vorsorglich
auf den Boden gelegt hatte um nicht den Nebenplatz zu blockieren.
Sie wollte alles, den Big Red Point, die Korona, den Applaus, alles, das wurde ihr in diesem
Moment klar.
Gerade zog der junge Mann, der am Rednerpult eine bislang eher unterdurchschnittliche
Koronafreie Darstellung mit zwei oder drei kleinen Graphiken geliefert hatte, seinen Pointer
aus der linken Jackeninnentasche hervor, gehüllt in ein schnittiges, leicht abgewetztes
Lederetui. Ein Etui, das einen Hauch der großen weiten Welt verströmte, welch ein
Erfahrungsschatz lag da in den Händen des jungen Mannes.
Da war sie - die Macht - gleich würde wieder ein Point seine Chance erhalten um die
Ruhmesleiter zu erklimmen. In wenigen Augenblicken war es so weit. Der junge Mann
suchte noch nach dem Schalter zum Aktivieren des kleinen Geräts, ein leises Klicken verriet
es, kaum hörbar für alle anderen Anwesenden, doch unsere junge Zuhörerin nahm es ganau
wahr. Sie nahm es als Zeichen, dass ihre Welt nun anders werden sollte.
Der Mann streckte den Arm aus, der Daumen bog sich, kraftvoll drückte der Mann den
Daumen auf den Schalter - nichts tat sich.
Kein rotes Licht, keine Korona, kein aufbrausender Applaus der Points zur
Beglückwünschung des einen auserwählten Points, der es endlich geschafft hatte.
Statt dessen - nichts. Kopfschütteln bei dem jungen Mann, hektischeres Drücken auf den
Pointer, der jedoch seinen Dienst verweigerte, dann Probieren auf anderen Knöpfen des
kleinen Geräts, Herausnehmen und Wiedereinlegen der Batterien - Nichts, leises
Kopfschütteln in der Menge der Zuhörer, ein Raunen, Unruhe ergreift den Raum, Stühle
werden gerückt, leises Hüsteln und Flüstern.
Der Mann greift zu seiner Tasche, kippt den Inhalt auf den Podiumstisch, die Menge stiert.
Die Hände des Mannes suchen verzweifelt nach Ersatzbatterien oder Ersatz-Pointer, seine
Hände greifen ins Leere.
Langsam und ergeben richtet er sich auf, korrigiert seinen Anzug, den Sitz seiner Krawatte
und seiner Haare, die ihm in die schweißnasse Stirn gefallen sind. Er ringt die Hände und
versichert dem Publikum sein Bedauern über die Situation, versucht diese zu retten, indem
er einen zotigen Halbwitz über Hektik am Morgen reißt.
Sie steht langsam von ihrem Sitz auf und glättet ihren Rock. Sie hat genug gesehen.
Sie greift ihre Tasche, macht einen großen Schritt über die Pfütze auf dem Boden, den das
umgestürzte Wasserglas hinterlassen hat und geht langsam zum Ausgang, vorbei an den
ersten Reihen und schließlich auch an dem jungen Mann. Betrübt schaut er sie an und zuckt
bedauernd mit den Schultern. Aus Richtung der Leinwand vermeint sie ein leises Seufzen zu
hören. Beiden, Leinwand und Mann, schenkt sie ein kleines Lächeln, sie weiß, ihre Chance
wird kommen. Dann verlässt sie den Raum.

Letzte Aktualisierung: 22.07.2016 - 22.40 Uhr
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