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Vermutungen | Juli 2016

Empowerment für die Soja Cousine
von Jochen Ruscheweyh

Der inkognito auf der Party anwesende Weltbestsellerautor zog eine Linie Druckerschwärze durch die Nase hoch, reichte mir das Röhrchen und sagte: „Es gibt immer jemanden, der beschissener schreibt als du, Junge!“
Ich nickte.
Denn, was er sagte, stimmte.
Er hatte recht.


Hatte er das wirklich? Mir kamen Zweifel, als ich mir eine XXL-Portion Tequila-Wackelpudding auf den Teller löffelte. Der Wackelpudding würde so lange stabil bleiben, wie ich den Teller nicht übermäßig in Schwingung versetzte. Und die Raumtemperatur müsste logischerweise konstant bleiben.
Ich war mir nicht sicher, wie ein menschliches Hirn aussah, aber wahrscheinlich nicht viel anders als dieser aromatisierte Haufen, der vor mir auf dem Teller jede meiner Handbewegungen mitging.
Gut, ein Menschenhirn wies vielleicht eine Spur mehr Lila oder Braun auf, aber waren Farben letztendlich nicht auch nur Metapher für Gemütszustände?
Niemand würde erwarten, dass blue suede shoes wirklich blau wären oder sämtliche Stellen an Pinks Körper auf Spuren von Rosa untersuchen.
Vielleicht war mein Hirn im Gegensatz zu seinem einfach nicht dafür gemacht, Bestseller zu schreiben.
Und vielleicht nahm es eben gerade nicht Bewegungen von außen auf und ging sie mit, wie der Tequila-Wackelpudding, sondern verhielt sich eher wie ein hingeklatschter Haufen Kartoffelbrei.
Träge.
Starr.
Und unflexibel.

Der inkognito auf der Party anwesende Weltbestsellerautor machte inzwischen Konversation mit einer jungen Frau, die ihre attraktiven weiblichen Formen in einem unvorteilhaften Hosenanzug versteckte.
Er winkte mich heran.
Ich hätte eigentlich lieber meine Defizite reflektiert, und zwar allein, folgte seiner Einladung der Höflichkeit halber aber dennoch, stellte mich also zu ihnen.
„Es tut mir leid, mein thi ähtsch ist furchtbar“, begrüßte mich die Frau. Ich hatte keine Gelegenheit, einen fragenden Gesichtsausdruck anzunehmen, da sie bereits hinterherschob: „Ich brauche allerdings auch gar kein besseres, denn ich schreibe Sozialarbeiterinnen-Romane, die im deutschsprachigen Raum spielen. Nebenbei bemerkt, Sie müssen unbedingt die Crêpes probieren, die sind umwerfend. Der Arbeitstitel meines aktuellen Manuskripts heißt übrigens Empowerment für die Soja Cousine.“
Ich warf dem inkognito auf der Party anwesenden Weltbestsellerautor einen Blick zu, den dieser auffing und seinerseits mit dem Anflug eines Lächelns beantwortete.
Was für Weltbestsellerautoren sicherlich schon eine expressive Geste war, überlegte ich.
Ohne weiter nachzudenken, hakte ich mich bei ihr unter und bugsierte sie diskret Richtung Buffet.
„Aber nein, Ihre Art dieses anglikanische Lautmal-Kunststück zu zelebrieren wirkt charmant, wenn nicht gar zauberhaft“, griff ich ihre Einleitung auf. „Schreiben Sie eigentlich hauptberuflich?“
„Noch nicht vollständig“ Sie machte einen langen Arm, durchbohrte den obersten Crêpe mit einer Dessertgabel und traktierte ihn auf einem Teller. Ich hasse es, wenn jemand ein gebackenes Kunstwerk entwertet, indem er seine Oberfläche zerstört, nur um den Serviervorgang abzukürzen.
„Gehen Sie mit ihren Figuren auch so um?“, fragte ich die Crêpes-Mörderin und deutete auf die geöffnete Teigstelle, aus der die rötliche Masse - eine Absinth-Kronsbeeren-Symbiose - herausquoll.
„Mord ist mir zu primitiv“, ließ sie nebenbei fallen, während sie mit dem wellengeschliffenen Gabelrücken ein Stück Teig aus dem Crêpes heraussezierte und dann zum Mund führte. Zu ihrem wohlbemerkt, da ich anfangs davon ausgegangen war, dass sie mich zuerst kosten lassen würde.
Es mag übertrieben wirken, aber ich fühlte mich an nordische Walfänger erinnert, die besiegte Riesen-Meeressäuger an arktischen Stränden zerlegen.
„Wissen Sie“, fuhr sie fort, „ich bevorzuge den subtilen Psychothriller märkischer Sozialverwaltungen und ehrenamtlicher Selbsthilfenetzwerke im Hochsauerlandkreis.“
„Und wissen Sie was? Ich denke, ihre Protagonistin heißt hundertprozentig Greta oder Polonia und ist genau so eine Pussy wie Sie, die ihre Komplexe in hässlichen Hosenanzügen versteckt. Außerdem halte ich jede Wette, dass Sie einen Schrank voll halbfertiger Manuskripte zu Hause stehen haben, weil ihr Problem ist, dass sie ad 1 nichts zu erzählen haben und ad 2 nicht auf den Punkt kommen können! Und jetzt geben Sie mir den verdammten Crêpes!“
Es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf, Luft aus ihren Füßen zischte und sie in einer zickzackartigen Aufwärtsbewegung wie ein entknoteter Ballon gen Decke schoss.

Vermutlich war sein Anliegen gewesen, seine These von vor ein paar Minuten zu bebildern und möglicherweise hätte ein Wackelpudding-Hirn seinen Input aufgegriffen. Solange ich mich zur Kartoffelbrei-Fraktion zugehörig empfand, war ich ganz sicher no dog for his bone, kein Rezipient für seinen Fingerzeig.
Er musste gespürt haben wie schwermütig mein Autorenherz in meinem Brustgefängnis klopfte, denn er legte seinen Arm um meine Schultern und zeigte mit der freien Hand Richtung Decke: „Lass ein bisschen Varieté in deine Schreibe und sie kommerzialisiert sich von selbst!“
Meine Pupillen brauchten einen Moment, um zu fokussieren. Sie hatte den Hosenanzug gegen einen eng anliegenden Catsuit getauscht, die Haare streng zurückgebunden und schwang an einem Trapez unter Decke. Der einzige Schönheitsfehler: Sie war auf die Größe einer Elster geschrumpft, und in Analogie zu ihren Abmessungen krächzte sie nun drei Oktaven höher (was einem schrillen Tschäpen gleich kam) von Echolot (Epilog?), Pansenbohnen (Spannungsbogen?) und Zentis-Gemetzel (Tempiwechsel?).
Der inkognito auf der Party anwesende Weltbestsellerautor raunte mir zu: „Wenn du es nicht tust, Junge, dann bin ich mal so frei ...“, stellte sich unter das Miniaturtrapez und bearbeitete es mit seinen Fäusten, wie ein Boxer diesen kleinen Trainings-Speedball, der in Sportstudios unter der Decke hängt.
Ich zog eine weitere Linie Druckerschwärze hoch, wischte mir mit dem Handrücken unter der Nase lang und fasste einen Entschluss.
Ich konnte mich so durchs Leben hangeln oder der Welt mitteilen, dass sie mich am Arsch lecken könnte, wenn sie meine Schreibe nicht mochte, ich sie jedoch umarmen würde, wenn sie ihr eine Chance geben würde.
Ich klappte den inkognito auf der Party anwesenden Weltbestsellerautor zu und steckte ihn in meine Gesäßtasche, stand auf und sagte: „Auch wenn das keinen hier interessiert, ich bin kein Somnambulist, ich bin nur etwas introvertiert und stehe nicht so gerne im Mittelpunkt. Aber in mir drin handeln jeden Tag fünf bis sieben unterschiedliche Romane. Und eines Tages habe ich auch raus, wie ich sie aufschreibe. Also würdet ihr mir bis dahin bitte den Gefallen tun und mich so behandeln, als wäre ich vollkommen normal? Danke!“
Ich zog meine Jacke an und drängte mich an „der traut sich was!“, „was für ein Spinner!“, „er hat einen hübschen Hintern, aber ist halt so nicht ganz dicht ...“ und „so ein selbstverliebtes Arschloch!“ vorbei.

Unten auf der Straße konnte ich wieder frei atmen. Ich holte mein Handy heraus und wählte die Nummer meines Festnetzanschlusses.
Jemand nahm ab.
Im Hintergrund hörte ich die Geräuschkulisse meiner eigenen Party, die ich gerade verlassen hatte.

Letzte Aktualisierung: 27.07.2016 - 10.06 Uhr
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