Diese Seite jetzt drucken!

Vermutungen | Juli 2016

Wenn du denkst du denkst
von Glädja Skriva

Hitzefrei!

Die Möchtegern-Autorin lag am Pool. Ganz klassisch. Neben sich den eisgekühlten Cocktail. Mit Ananas. Wegen der Figur. Die Sonnencreme dick aufgetragen, die auf dem Rücken mangels interessiertem Papagallo etwas schwierig zu verteilen gewesen war. Leichter jedoch auf der bikinifreien Zone und im Gesicht, das ein Mörderteil von Sonnenbrille aufwies. Hinter den uhuartigen Gläsern konnte sie geschützt das männliche badehosenfreie Angebot ins Visier nehmen. Puhh. Sie gähnte. Alles Senioren. Ü 50 wie sie. Sie hätte wohl doch statt des Pauschalangebotes einen Cluburlaub buchen sollen. Was etwas fürs Auge (und vielleicht auch mehr?), aber wohl weniger für ihre alternde Herzpumpe gewesen wäre. Sie seufzte. Dann lehnte sie sich leicht resigniert, aber zumindest mit regelmäßigen Atembewegungen, die ihre schlaffen Brüste sich gemäßigt auf und ab bewegen ließen, zurück und schlürfte geräuschvoll an ihrem jugendlich pinkfarbenen Plastikstrohhalm. Alkoholisches strömte in ihren Körper. Wofür hatte sie ihre Phantasie?

Derweil saßen ihre Protagonisten am Küchentisch. In einem kühlen Raum. Leicht abgedunkelt. Man konnte sich ins Gesicht blicken, aber man musste es nicht. Und so schaute Lea, die in der Januarstory kaugummiartig an ihrer Beziehung mit Frank geklebt war, dieses Mal an ihm vorbei, zu den Spatzen, die sich draußen lautstark um den besten Platz des Sandbades im Hof stritten. Frank bemerkte es noch nicht einmal. Er war beschäftigt. Er streichelte sanft und drängend unter dem Tisch die festen Schenkel von Leas bester Freundin Silke, bis seine Fingerspitzen das Ziel erreichten und diese einen kleinen, spitzen Seufzer ausstieß. Obwohl sie sonst sehr zurückhaltend war und nur als Malerin ihre Gefühle in expressiven Bildern explodieren ließ. Aber sie wollte keinen emotionalen Ausbruch Leas provozieren wie es in der Maigeschichte geschehen war.
Frank blieb, ausgenommen seiner regen Fingerspitzen in dieser Küche, seltsam blass und leer. Aber vielleicht gerade deswegen auch unheimlich und irgendwie bedrohlich. Es blieb die Frage, wieweit die Klaviatur seiner Finger reichte? Bis dahin, um eine Vielzahl Dorfschöner zum sexuellen Höhepunkt voranzutreiben oder auch, um Lea, seiner abgöttisch hingegebenen Frau, häusliche Gewalt anzutun? Mit feingliedrigen Bauernhänden, die virtuos malträtieren konnten wie in der Märzgeschichte. Ein Verdacht, der wie eine blonde Locke, leicht wie eine Feder, damals zu Boden tänzelte und manche Frage offenließ, wozu Tinkerbell, das Schoßhündchen von Leas Freundinnen, keineswegs seine scharfen Zähne bleckte, sondern Lea sogar ans Bein pinkelte. Na ja, so in etwa, wie man in der Junigeschichte nachlesen konnte.
Alwin, ein Hüne mit dunkelbraunem, lockigen Haarschopf und einem salbungsvollen Madonnenblick, blieb von alledem unberührt und hatte sich dem Dreiergespann mit dem Rücken zugewandt. Er daddelte auf seinem Handy herum und versuchte mit seiner neuen Sex-App ein kleines, schnelles, befriedigendes Abenteuer an Land zu ziehen, nachdem dies in der Aprilgeschichte mit einem blaßgesichtigen Jüngling in die Hose bzw. ins Schwitzhemd gegangen war.

Die Rollen waren somit verteilt, wenn da nicht der Gedanke eines Würfelspieles in die Runde gefallen wäre. (Meine Güte, der Möchtegern-Autorin fiel mit ihrem alkoholumnebelten Sonnenstichhirn auch nichts Innovativeres ein. Die Kreativität hatte sie wohl nicht gerade mit der Muttermilch eingesogen). So warf diese, bereits halb weggedämmert, Lea den Würfel zu und murmelte:
„Macht Ihr mal. Ich habe hitzefrei. Neuer Würfel. Neue Rollen. Neues Glück. Ihr könnt tun und treiben, was Ihr wollt. Mein Hirn verschwindet im nächsten Kühl des Cocktails.“
Die letzten Worte gingen bereits in leichtem Schnarchton unter.
Leas Mund blieb offen stehen. Sie war nicht gewohnt, selbst zu entscheiden und zog sich auf das zurück, das sie kannte und ihr zugeschrieben worden war: Opfer sein. Während Frank inzwischen an Silkes Hals knabberte, nestelte sie an ihren High Heels mit der roten Sohle herum. Dann richtete sie sich langsam auf. Wortlos, hinnehmend wie immer, betrachtete sie Frank. Dann Silke. Mit ausdruckslosem Gesicht öffnete sich ihr Mund. Auf und zu. Wie ein Karpfen, der schließlich zu blubbern begann:
„Ich würde dir jetzt am liebsten eine auf deine aristokratische Nase schlagen“, probte sie mit zaghaft lauter werdender Stimme. „Am liebsten würde ich sie zu Brei schlagen“, setzte sie brüllend nach und ballte ihre Hände dabei zu kleinen Fäusten. Sie holte tief Luft: „Bis deine Lippe aufplatzt und Blut läuft, viel Blut über dein - gelecktes Affengesicht. Und ich würde Silke an ihren schwarzen Haaren aus dem Raum schleifen. Ganz künstlerisch wertvoll! In der Explosivfarbe Vulkanrot.“ Sie kicherte.
Und blieb sitzen.
„Das hatten wir doch schon. Dieses Wollen und Nicht-tun-Können. Du kommst aus deiner Rolle, vermute ich, niemals heraus.“ Frank bleckte seine makellos weißen Zähne zu einem smarten Sunnyboylächeln.
„Und du könntest dir einmal etwas anderes einfallen lassen als dein unantastbares, eingebildetes Playboygehabe in deiner bürgerlich abgewetzten Wolljacke. Drehen wir doch einmal den Spieß um. Nicht ich, sondern du mistest aus und watest im Schlamm herum. In HighHeels mit halterlosen Strümpfen – und ich habe das Vergnügen. Außer Haus. Mit anderen Männern. Und wenn mir danach ist, lasse ich meinen Frust an dir aus und zupfe an dir mit meinen zarten Händen. Wohldosiert schmerzhaft.
Was meinst du dazu, Alwin? Frank ist schließlich dein Mitbruder in deiner Kirchengemeinde.“
Alwin, der daddelte, hob den Blick vom Display, um Frank mit einem Auge zuzuzwinkern und ihm dann einen vielsagenden Blick zuzuwerfen.
„Mein Gott, Alwin, … dir fällt auch nichts anderes ein“, stöhnte Frank auf.
Silke hatte inzwischen, befriedigt, und mit leicht gerötetem Gesicht, ihre Hand sanft auf Leas Unterarm gelegt: „Ich weiß doch, dass du das alles so gar nicht haben willst. Schließlich liebt Frank uns beide. Jede auf seine Art. Dich und mich.“
Frank schaute jetzt beiden tief in die Augen. Lea – dominierend. Silke – eindeutig zweideutig. Lea sagte plötzlich nichts mehr. Wie immer. Unter diesem Blick. Ein Grunzen war vom Swimmingpool zu hören. Von einem knarzenden Liegestuhl und einer sich unruhig hin– und herwerfenden Autorin, die ins eiskalte Nass des Swimmingpools gekippt war. Ein Wassertropfen spritzte dabei auf Lea. Iiiiiiihhhh! Hysterisch rannte sie aus der Küche hinaus.
Frank bekam plötzlich einen seltsam leeren Gesichtsausdruck und starrte auf die schmutziggrünen Küchenkacheln der 50iger Jahre. „Wo ist Lea? Jetzt weiß ich nicht mehr weiter mit meiner Rolle.“ Er maulte: „Jetzt macht es überhaupt keinen Spaß mehr.“
Seine Fingerspitzen, die selten von Silke lassen konnten, hatten sich von ihren Schenkeln gelöst und trommelten mit gelben Nikotinfingern unruhig auf dem Holzküchentisch. Silke versuchte ihn zu besänftigen und seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf sich zu lenken, indem sie ein, zwei Knöpfe ihrer dünnen Bluse wie unbeabsichtigt öffnete:
„Ach, Schatz, Lea kommt sicher wieder!“ Sie verdrehte die Augen: „Ist doch immer dasselbe. Unsere liebe Möchtegern-Autorin verschafft ihr einen dramatischen Abgang, um sie dann doch wieder reumütig zurückkehren zu lassen.“
Die Türklinke bewegte sich nicht.
Frank hatte inzwischen die Hände über seinem ersten, leichten Bauchansatz gefaltet und jammerte mit piepsiger Stimme: „So macht Ficken keinen Spaß. Ich will Lea wieder haben.“ Er trommelte wie ein Kind mit seinen Händen auf den Tisch und weinte. Spuren liefen sein Gesicht hinunter. Silke wandte sich peinlich berührt ab. So kannte sie ihren Frank gar nicht.
Sie spürte, wie plötzlich Wut in ihr hochrollte:
„Ihr armseligen Würstchen. Ihr kommt doch alle aus euren verfuckten Werte-Klischeerollen nicht heraus. Nicht einmal an einem hitzefreien Tag. Ihr Idioten. Aber ich, ich gehe jetzt spielen. Ohne Würfel.“
Sie stapfte davon.

Ich vermute, das gibt nächsten Monat keine gute Geschichte.

© P.S./Glädja Skriva/Juli 2016


Letzte Aktualisierung: 27.07.2016 - 17.14 Uhr
Dieser Text enthält 8196 Zeichen.


www.schreib-lust.de