Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Barbara Hennermann IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Erinnerungen | August 2016
Die Liebe meines Lebens
von Barbara Hennermann

„Unverhofft kommt oft“ pflegt Mutter zu sagen.
Recht hat sie!

Ich sehe ihn sofort, als ich Richtung Dorfplatz spaziere.
Er hat sich kaum verändert.
Immer noch das stolz erhobene Haupt, die Feuer sprühenden Augen, der unverwechselbar schlaksige Gang – kein Zweifel, es ist Raoul!

Die Erinnerung schlägt wie eine riesige Welle über mir zusammen. Mein Gott, wie lang ist das her?

Schüchtern war ich damals, wohl behütet und naiv, wie es eine Tochter aus gutem Hause eben so war. Zum ersten Mal hatte mir meine Familie erlaubt, allein aus dem Haus zu gehen. Mit tausend Ermahnungen der Mutter ausgestattet bewegte ich mich im hellen Licht des Vollmondes langsam in Richtung Dorfplatz, drückte mich ängstlich in den Schatten der Gärten. Der schwere, süße Duft des blühenden Jasmins schwängerte die laue Nachtluft.

Ich sah ihn schon von weitem, wie er an den Dorfbrunnen gelehnt dastand, fast wie ein Denkmal. Dann löste er sich vom sonnenwarmen Stein und seine lässigen Bewegungen verursachten ein elegantes Schattenspiel im Licht des Mondes. Gebannt verharrte ich im Schatten der Gärten und konnte mich nicht sattsehen an seiner geschmeidigen Eleganz. Der leichte Abendwind trug seinen herben, männlichen Geruch zu mir herüber und ich konnte nicht anders, als reglos und fasziniert zu ihm hinüber zu starren. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich da nicht die Einzige war! Mindestens sechs Augenpaare, sämtliche ebenfalls weiblich, taten es mir gleich. Ich konnte nur hoffen, dass mein Gesichtsausdruck nicht eine ähnlich dümmliche Verzückung aufwies, wie ich sie bei den anderen Damen wahrnahm ...
Raoul war sich der geballten weiblichen Bewunderung sichtbar bewusst. Mit einer eleganten Drehung seines geschmeidigen Körpers wandte er sich der Schar seiner Bewunderinnen zu und streifte jede Einzelne mit einem kurzen Blick aus seinen graugrün schimmernden Augen. Dann setzte er sich langsam in Bewegung und schritt geradezu majestätisch auf uns zu. Ich glaube, den anderen stockte genauso wie mir der Atem! Raoul aber ging mit federnden, fast tänzelnden Schritten an allen anderen vorbei und würdigte keine mehr eines zweiten Blickes, bis er direkt vor mir stand. Mir schoss das Blut in den Kopf und mein Herz klopfte zum Zerspringen. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Als er neben mir stand, beugte er seinen Kopf an mein Ohr. „Wie heißt du, Kleine?“ Seine Stimme war, nun ja, überirdisch – ein sanftes, sonores Schnurren. Ich musste dreimal ansetzen, bis ich eine verständliche Antwort geben konnte. „Mia.“ Es klang eher wie ein heiseres Kreischen denn ein verführerisches Säuseln ...
Lächelnd streichelte er meine Wange.

„Dann komm mit mir, Mia.“ Mit diesen Worten führte er mich weg vom Dorfplatz, hinein in einen der umliegenden duftenden Gärten. Natürlich spürte ich die neidischen Blicke meiner Konkurrentinnen im Rücken, aber das war mir nun egal.
Samtig weiches Gras erwartete uns, der Jasmin verströmte freigiebig seinen betörenden Duft und der Vollmond verschenkte sein weißgoldenes Licht – bessere Voraussetzungen hätte es wohl nicht geben können für ein Schäferstündchen! Und Raoul wusste sie perfekt zu nutzen ...
Seine geflüsterten Liebesbeteuerungen, die formvollendeten Komplimente, sein sanftes Streicheln, aber vor allen Dingen der Respekt, den er meiner jungfräulichen Naivität entgegenbrachte – das alles ließ Hitzewellen durch meinen Körper strömen, wie ich dies bis dahin nie gefühlt hatte.
Als ich mich im Morgengrauen zerstrubbelt und aufgewühlt in mein Haus zurückschlich, hatten wir uns selbstverständlich für den Abend aufs Neue verabredet ...
Wieder trafen wir uns am Dorfplatz, doch diesmal blieb ich nicht schüchtern im Schatten stehen, sondern rannte jauchzend auf ihn zu. Und ohne auf die Damen zu achten, die in der Hoffnung auf seine Aufmerksamkeit ebenfalls erschienen waren, eilte er an meine Seite. Eng aneinander geschmiegt wanderten wir zu unserem Liebesbett aus weichem Gras, überflutet vom Licht des Vollmondes und eingehüllt in den schweren Duft des Jasmins. Das Feuer, das er in mir entzündet hatte, loderte in meinen Adern und brachte mein Blut zum Kochen. Wir fanden uns in Ekstase und unsere Lustschreie zerschnitten die Stille der Nacht. „Mia!“ „Raoul!“ Mia!“ „Raoul!“ Mia!“ „Raoul!“
Immer und immer wieder.
Wir fanden kein Ende.
Es war uns egal, was die anderen dachten.
Selbst die Sterne über uns verließen, ob unserer Leidenschaft verschreckt, ihren angestammten Platzt und taumelten als Sternschnuppen durch das All.
Die Weltordnung war verrückt, die Ewigkeit angezählt.
Wir erlebten diesen Sinnestaumel, diesen gelebten Traum, diesen Weltumsturz von nun an Nacht für Nacht.

Doch es kam natürlich, wie es kommen musste.
Ich wurde schwanger.
Fiebernden Herzens machte ich mich auf zu unserem nächtlichen Treffen.
Was würde Raoul sagen?
Mir war es so vorgekommen, als wäre er in der letzten Zeit nicht mehr ganz so aufmerksam und leidenschaftlich gewesen.
Als ich mich dem Dorfplatz näherte, sah ich schon von Weitem, wie er heftig mit einer anderen flirtete. Aber ich dachte mir: „Nun, da er bald Vater wird, wird er das sicher wieder aufgeben.“
Ich lotste ihn aus der Damenriege weg zu unserer Wiese, die wir seit längerem schon nicht mehr gemeinsam aufgesucht hatten. Das wurde mir erst jetzt so richtig bewusst.
Nachdem wir uns gesetzt hatten, berichtete ich ihm von unserem kommenden Kindersegen. Seine Reaktion war erschreckend! Er rückte von mir ab, ich spürte, wie sein Körper sich versteifte. Zwar klang seine Stimme noch immer unbeschreiblich sonor und sexy, doch das Samtweiche, Schmeichelnde hatte sie zweifellos eingebüßt. „Mia, das ist dann jetzt deine Sache“, meinte er kühl. „Ich bin zum Vater nicht geeignet.“ Damit stand er auf und schwänzelte in seinem unvergleichlichen Gary – Cooper – Gang davon in Richtung Dorfplatz.
Dem begeisterten Geplärr der dort versammelten Damen konnte ich auch auf die Entfernung entnehmen, welche Nummer er nun dort vom Zaum ließ. Ich aber blieb zurück in unserem einstigen Liebesnest, schluchzend und alles andere als guter Hoffnung ...

Meine Familie war natürlich wenig beglückt, als ich ihnen meinen Zustand offenbarte. „Unverhofft kommt oft“, meinte Mutter jedoch pragmatisch. Sie war es auch, die mir bei der Geburt beistand. Drei gesunden Buben und ebenso vielen Mädchen schenkte ich das Leben.
Ich vergaß Raoul und widmete mich voll und ganz der Aufzucht der Kleinen. Sie entwickelten sich prächtig und waren meine ganze Freude und mein Stolz. Allerdings war es unmöglich, sie bei uns in der Familie zu behalten, denn der Platz reichte nicht. So suchte ich mit Mutter liebe Adoptiveltern, bei denen alle Sechs gut untergebracht wurden.
Trotz - oder vielleicht gerade wegen? - der Liebe meiner Familie zu mir unterzog man mich danach einer Operation. Seitdem fühlte ich mich leer und ausgehöhlt. Nie mehr ließ ich mich danach auf die tiefe Liebe zu einem Mann ein.

Dies alles schießt mir durch den Kopf, als ich Raoul so unverhofft auf dem Dorfplatz sehe. Der Himmel mag wissen, wo er all die Zeit gesteckt hat!
Doch im Grunde interessiert mich das auch gar nicht mehr. Er, die Liebe meines Lebens, hatte mich verraten und im Stich gelassen, als ich ihn am Nötigsten gebraucht hätte. Er hatte sich als Frauenversteher geriert, mein Vertrauen erschlichen und ausgenutzt, mich benutzt für seine Spielchen und fallengelassen, als es ernst wurde. Kurz, er hatte sich benommen wie ein räudiger, ranziger Kater ...
Soll er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst!
Beim Umdrehen sehe ich, wie sein geschmeidiger Schatten im Vollmond Pirouetten dreht, wie er in seinem unvergleichlichen Westerngang von einer Dame zur anderen scharwenzelt. Denn immer noch verfügt er über eine treue Fangemeinde ...
Mag er damit glücklich werden!

Rasch husche ich nach Hause und durch meine Katzenklappe hinein.
Die Liebe meines Lebens jedenfalls war ein Reinfall ...

08/16 hb V3

Letzte Aktualisierung: 26.08.2016 - 19.06 Uhr
Dieser Text enthält 8018 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.