Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Erinnerungen | August 2016
Wetterleuchten
von Susanne Rzymbowski

„Je älter ich werde, desto mehr denke ich über das Wetter nach“, sagte Frau Redlich, während Ihr Frisör ihr die schon etwas ausgedünnten Haare schnitt und sie lustlos in den Illustrierten blätterte. „Ja, ja, dieser Sommer will wohl wirklich nicht Einzug halten“, erwiderte dieser nur hochkonzentriert, denn es würde schwer für ihn werden, bei Frau Redlich mehr Volumen zu erzeugen, geschweige denn eine Veränderung sichtbar zu machen.
„In meiner Jugend gab es noch herrliche Sonnentage – und dieser blaue Himmel, wie von einer anderen Welt,“ meinte Frau Redlich, die nun wohl anfing in ihren Erinnerungen zu schwelgen. „Wir sind am Badesee schwimmen gegangen, haben Eis gegessen und uns oft in den Schatten stellen müssen, so heiß war es mitunter. Jede kleine Windbö war da eine Erlösung. Und gegrillt haben wir, wie um die Wette, und am Lagerfeuer musiziert“
„Ja, ja, die guten alten Zeiten, und jetzt nur noch bedeckter Himmel und Tropenklima – Soll ich Ihnen die Haare aufdrehen?“ „Ja bitte – dann fallen sie immer so schön“, antwortete Frau Redlich, mit einem nostalgischen Glanz in den Augen. „Wir nehmen am besten die Kleinen, dann hält es länger“, meinte der Frisör und machte sich ans Werk.
„Und erst die Winter – was warn das für Zeiten! Klirrend kalt war es mitunter, und die Stuben hat man kaum warm gekriegt. Riesige Eiszapfen an den Dächern und die Kinder sind mit den Schlitten gerodelt, die Bergäcker rauf und runter. Und Bratäpfel hat’s gegeben, das es im Ofen nur so gezischt hat“ „Ja, ja, das ist wohl wahr“, erwiderte der Frisör während er Frau Redlichs Strähnen gekonnt in die kleinen Lockenwickler drehte und mit kleinen Haarnadeln am Kopf fixierte.
„Und wenn ich erst an den Herbst denke! Was war das für ein Blätterrascheln - und erst die Farben! Ein einziges Meer aus Bunt – und wie das geleuchtet hat in der Sonne.“
Frau Redlichs Augen fingen richtig an zu strahlen und vor Begeisterung hob sie abrupt ihren Kopf, so dass der kleine Lockenwickler samt Haarnadel auf den Boden kullerte. „Sie müssen schon still halten, sonst gibt das nichts“ waren die Worte des Frisörs, der sich nun bückte um nach der Rolle zu greifen.
„Können sie sich noch an den Geruch erinnern?“ fragte Frau Redlich nun unvermittelt. „Welcher Geruch?“ „Na, der Waldboden, wie der gedampft hat im Herbst und dieser schöne modrige Duft von den Blättern? „Ich bin in der Stadt aufgewachsen“, meinte der Frisör nur, und machte sich weiter an sein Werk.
Lockenwickler für Lockenwickler füllten nun das Haupt von Frau Redlich. Sie fing nun an einem Igel zu gleichen, da die Haarnadeln wie Spitzen hervorlugten.
„Und dann das Moos, so grün und leuchtend – und wie weich das war. Jeder Schritt wie auf Watte. Und dann pfiff der Wind einem um die Nase. Und dieses Rauschen in den Bäumen – und das Astwerk das sich bog.“ Frau Redlich steigerte sich von Minute zu Minute und der Frisör hatte seine liebe Not die restlichen Lockenwickler anzubringen.
„Bitte still halten, sonst werden wir heut nicht mehr fertig“, meinte er nur und seine Stimme verbarg erste Anzeichen von Groll, den Frau Redlichs Reden in ihm aufkeimen ließ. „Na und dann der Frühling – wie da alles erwacht ist. Die kleinen Knospen, die sich aus dem ersten Schneeschmelz gewunden. Überall bunte Tupfen auf den Wiesen. Und ein Gebrumme in der Luft von all den Maikäfern. Die haben wir als Kind noch gefangen, in kleine Streichholzschachteln gesteckt. Die armen Tier, kein Wunder dass es die jetzt nimmer gibt.“ Der Frisör fing an, mit den Augen zu rollen: „So, jetzt sind wir fertig – jetzt geht’s erst einmal unter die Haube. Wollen Sie noch einen Kaffee?“ „Lieber ein Wasser“, sagte Frau Redlich. „Ja und die Bäche, wie die gesprudelt haben, so glasklar. Da haben wir oft unsere Füße reingesteckt – was war das für eine Erfrischung!“
Der Frisör ging kopfschüttelnd in den Hinterraum, holte ein Glas Wasser, dass er Frau Redlich mit schnellen Schritten brachte, schaltete die Haube ein, unter der er nun Frau Redlich und auch das Wetter verschwinden ließ und war froh über das sonore Ticken der Uhr. Wer hatte schließlich dafür noch Zeit?
Ja, manchmal konnte es wirklich anstrengend sein, dachte er bei sich, wurde jedoch jäh aus seinen Gedanken gerissen, als er ein leises Knistern vernahm und ihm der Geruch von Verbranntem in die Nase stach.
Er hatte doch in der Eile die Haube zu heiß eingestellt und Frau Redlichs schon schütteres Haarkleid kokelte nun in dampfenden Wolken aus der Glocke.
Da half selbst der Regen nicht mehr.

Letzte Aktualisierung: 31.07.2016 - 22.15 Uhr
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