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Erinnerungen | August 2016
Das diabolische Tagebuch
von Andreas Schmeling

Peter drĂŒckte die altmodische Klinke der vertrauten LadentĂŒr. Eine helle Glocke schellte im Nebenraum, als er das AntiquitĂ€tengeschĂ€ft betrat. In der Sammlung des alten Herrn Söderblom hatte Peter schon öfter das eine oder andere schöne StĂŒck entdeckt. Er liebte AntiquitĂ€tenlĂ€den, deren besonderen Geruch, die oft schummerige AtmosphĂ€re und auch die manchmal etwas verschrobenen Besitzer. Besonders gefiel Peter das kleine Antiquariat und AntiquitĂ€tengeschĂ€ft des Herrn Söderblom am Rande der Stadt. Hier fĂŒhlte er sich wohl, stöberte gerne, kaufte manchmal etwas oder kam nur auf einen Plausch vorbei.
Bei Herrn Söderblom entdeckte er oft besonders ausgefallene Dinge. Die Masken aus der Karibik hatten es ihm damals von Anfang an angetan. Die StĂŒcke musste er einfach haben. Seitdem die Masken in seinem Wohnzimmer hingen, plagten ihn des Öfteren starke HustenanfĂ€lle, wobei Peter diese beiden Dinge nicht in Zusammenhang stellte. Genauso wenig wie die Tatsache, dass ihm - seit er den alten Spiegel bei Herrn Söderblom gekauft hatte - zunehmend die Haare ausfielen.
Der alte Söderblom kam schlurfend aus dem Nebenraum, der mit einem schweren roten Vorhang abgetrennt war, und begrĂŒĂŸte Peter freundlich ĂŒber den Rand seiner runden Nickelbrille. Der weißhaarige HĂ€ndler prĂ€sentierte einige neue StĂŒcke aus seiner Sammlung. Die Ming-Vase aus China und ein wunderschönes Porzellanset gehörten zu seinen neueren Errungenschaften. WĂ€hrend Herr Söderblom die VorzĂŒge und Besonderheiten der Vase anpries, verstaute er gleichzeitig ein altes Buch in der unteren Schublade eines SekretĂ€rs. Dieses Buch weckte sofort Peters Interesse. Waren es die goldfarbenen PrĂ€gungen auf dem Buchdeckel oder der merkwĂŒrdige Verschluss? Jedenfalls fragte Peter nach dem Buch.
„Oh das“, grummelte der HĂ€ndler, „das ist wohl ein altes Tagebuch, das ich auf einem Dachboden gefunden haben. Das Buch ist ganz hĂŒbsch, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, es mir nĂ€her anzusehen.“ Nach einigem hin und her kaufte Peter das Buch. Er bemerkte nicht das kalte LĂ€cheln des HĂ€ndlers als er dessen Laden verließ.
Nach dem Abendbrot machte Peter seine altmodische Stehlampe an und setzte sich in den bequemen Ohrensessel aus rotbraunem Leder – auch eine Anschaffung aus dem AntiquitĂ€tengeschĂ€ft des Herrn Söderblom. Peter öffnete den Buchverschluss und blĂ€tterte durch die ersten Seiten. Er schĂ€tzte das Alter des Buches auf mindestens 120 Jahre. „Tagebuch von Konrad Deilmann“ stand dort zu lesen. Peter setzte sich auf seinem Sessel zurecht und begann zu lesen. Das Tagebuch begann mit dem ersten Eintrag vom 12. September 1899. Der Autor Konrad beschrieb in den TagebucheintrĂ€gen seine Zeit in der Kolonie Deutsch-SĂŒdwest-Afrika. Der junge Konrad war als Kolonialbeamter in den dortigen Goldminen tĂ€tig. Die Arbeit war allen Anschein nach langweilig, die Umgebung heiß und er war weit weg von der Heimat. Peter las gerade wie Konrad ĂŒber einen Spaziergang an die AtlantikkĂŒste berichtete als er plötzlich eine ungewöhnliche Hitze spĂŒrte. Dazu kam ein fremdartiger Geruch. Peter befand sich auf einmal an einem Strand in Afrika und betrachtete den Sonnenuntergang. Er sah die Sonne goldenrot im Ozean versinken und spĂŒrte den heißen Sand unter seinen FĂŒĂŸen. Ein warmer Wind kam vom Landesinneren und trug die GerĂŒche von Sandelholz und GewĂŒrzen mit sich. Erst als die Sonne ganz versunken war, machte sich Peter zum Nachtlager auf. Er wusste, wo dieses Lager war. Er wusste, wo dort sein Bett stand. Daher legte er sich ohne weiteres auf die SchlafstĂ€tte und schlief bald ein. Am nĂ€chsten Morgen erwachte Peter in seinem Ohrensessel.
MerkwĂŒrdig, dachte er, ich muss wohl eingeschlafen sein. Die letzten SĂ€tze, die ich im Tagebuch gelesen habe, mĂŒssen sich mit meinen TrĂ€umen verwoben haben. Peter erhob sich und war verwundert, als der den Sand an seinen Hausschuhen entdeckte. Dessen Herkunft in seiner ansonsten sehr sauberen Wohnung konnte er sich nicht erklĂ€ren. Verwirrt ging er in seine kleine KĂŒche und bereitete sich eine Tasse Tee. Peter verbrachte den Tag grĂŒblerisch und unkonzentriert mit allen möglichen Dingen. Seine Erlebnisse und Gedanken vertraute er am Nachmittag seinem eigenen Tagebuch an, das er seit seiner Jugend fast ununterbrochen fĂŒhrte.
Erst am Abend kam er wieder dazu, im fremden Tagebuch zu lesen. Er blĂ€tterte durch die Jahre und Ereignisse, ĂŒber die der Tagebuchschreiber Konrad Deilmann berichtete. Hin und wieder blieb Peter bei einzelnen Begebenheiten hĂ€ngen und las sich daran fest. Mittlerweile war Konrad nach Deutschland zurĂŒckgekommen und hatte sich als Freiwilliger fĂŒr den Kriegseinsatz gemeldet. Als Soldat an der Westfront berichtete Konrad ĂŒber seine EinsĂ€tze im Krieg und das Leben und Sterben in dieser Zeit. Konrad schrieb ĂŒber die Schlacht von Verdun als Peter von einem Soldaten mit gezwirbelten Bart angeschrien wurde: „Auf, Marsch, Marsch! Raus aus dem SchĂŒtzengraben und vorwĂ€rts!“ Peter sprang erschreckt hoch und sah vor sich eine bleigraue, gequĂ€lte Landschaft. Ein zerstörter Kirchturm und die Ruinen eines Dorfes waren am Horizont gerade noch durch den schweren Dunst zu erkennen. Das GelĂ€nde war mit Bombenkratern ĂŒbersĂ€t und entwurzelte BaumstĂŒmpfe bildeten verkohlte Skulpturen. Verdorrte Äste griffen gleich Knochenarmen in den dĂŒsteren Himmel. Wie Peter liefen grau uniformierte Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten zwischen Kratern und Sperren hindurch. Rechts und links von ihm - ĂŒberall - spritzte Erde auf und die schwere Luft roch nach Blut und Metall. Peter rannte und stolperte voran. Unter ohrenbetĂ€ubenden Gekrache ging es vorwĂ€rts. Als gelbliche Schwaden auf ihn zukamen, setzte er gerade noch rechtzeitig seine Gasmaske auf. Sein Herz raste als ein stechender Schmerz im Knie ihn zu Fall brachte. Das letzte, was er bemerkte war, dass man ihn auf einer Krankentrage fortbrachte. Mitten in der Nacht schreckte Peter auf. Er war wieder in seinem Sessel eingeschlafen und musste wohl durch die fĂŒrchterlichen Knieschmerzen aufgewacht sein. Peter humpelte ins Bett und schlief dort sofort wieder tief und fest ein. Erst am nĂ€chsten Morgen bemerkte er, dass sich auf Bettdecke und Laken einige rote Flecken befanden. Auch sein Knie war merkwĂŒrdig geschwollen. Peter konnte sich nicht zusammenreimen, woher die blutroten Flecken kamen und auch sein Knie hatte ihm bisher nie Probleme gemacht. Gestern der Sand und heute die roten Flecken und sein geschwollenes Knie. Sollte etwas mit dem Buch nicht stimmen? Aber das war natĂŒrlich blanker Unsinn! Kein Buch hatte die Macht, einen in die darin beschriebenen Geschehnisse hineinzuziehen. Trotzdem war Peter unsicher und konnte sich die Erlebnisse der letzten beiden Abende und NĂ€chte nicht erklĂ€ren.
Ängstlich aber gleichzeitig wie gefesselt wollte Peter am nĂ€chsten Abend das Tagebuch zu Ende lesen. Nach den Kriegserlebnissen und dem Lazarettaufenthalt von Konrad Deilmann waren nur noch wenige Seiten ĂŒbrig. Auf diesen Seiten berichtete Deilmann von den Jahren, die er zurĂŒckgezogen irgendwo in Deutschland verbrachte. Durch eine Erbschaft war es ihm möglich, einige wertvolle AntiquitĂ€ten zu erwerben. Darunter waren einige karibische Masken und ein Spiegel. Genau wie bei mir, dachte Peter. Auf der letzten Seite seines Tagebuchs beschrieb Konrad Deilmann, wie er in seinem kleinen LieblingsantiquitĂ€tengeschĂ€ft am Rande der Stadt ein altes Tagebuch erstanden hatte. Mit diesem wollte er es sich am Abend in seinem Ohrensessel gemĂŒtlich machen. Damit endete das Tagebuch. Peters Körper bĂ€umte sich kurz auf, dann sank sein Arm nach unten und aus seiner Hand glitt das Tagebuch auf den Boden.

Im Schaufenster des Herrn Söderblom stand einige Zeit spĂ€ter ein Schild: „Nach dem plötzlichem Tod eines Sammlers ist Ware aus einer wertvollen Sammlung eingetroffen. Neben einigen karibischen Masken finden Sie einen alten Spiegel und einen wunderschönen rotbraunen Ohrenledersessel in meinem Sortiment. Auch ein interessantes Tagebuch kann ich Ihnen prĂ€sentieren. Schauen Sie gerne einmal ganz unverbindlich bei mir im Laden vorbei.“

Tolle

Letzte Aktualisierung: 03.08.2016 - 18.58 Uhr
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