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Erinnerungen | August 2016
Kindergeburtstag
von Heinz Walter Gorzitza

Kindergeburtstage sind ja heute kleine Events. Mindestens geht es ins Kinderland, einen Freizeitpark oder es wird ein Clown oder ein Zauberer engagiert. Es wird allerhand Aufwand betrieben: Einladungskarten verschickt, die Wohnung oder das Haus geschmückt. Es gibt teure Geschenke; die Eltern übertreffen sich hier zumeist gegenseitig.
Dass es genug zu Essen, Kuchen, Getränke, Süßigkeiten gibt, ist selbstverständlich.
Bei uns daheim ist es Tradition, dem Geburtstagskind einen Tisch herzurichten. Diese Tradition hat meine Frau aus ihrer Kindheit übernommen. Das bedeutet, am Vorabend, wenn das zukünftige Geburtstagskind schon schläft, wird im Wohnzimmer der Tisch geschmückt.
Wichtigstes Detail hierbei sind die aus Schokolinsen gelegten Zahlen, die dem Alter entsprechen. Vervollständigt wird der Tisch mit Kerzen, Luftschlangen, Blumen, bunten Luftballons und natürlich mit den Geschenken. Auf diesem Tisch werden dann auch bei der Feier, die Geschenke der Gäste gesammelt und abgelegt.
Am Morgen des Festtages wird das Geburtstagskind, meist noch im Schlafanzug, mit Wunderkerzen empfangen. Dazu wird „Happy Birthday to you“ gesungen.
Anschließend muss es die Kerzen auf der, von der Patentante oder Oma, selbstgebackenen Geburtstagstorte ausblasen. Dies ist auch für uns Erwachsene eine liebgewordene, schöne Gewohnheit!
Bis ich meine heutige Frau kennenlernte, kannte ich so etwas nicht.
In meiner Kindheit gab es zu Hause bei solchen Anlässen kein oder höchstens ein kleines Geschenk. Kein geschmückter Tisch, keine Kerzen, Luftballons, kein Empfang mit Wunderkerzen, nichts. Geburtstage wurden nicht gefeiert. Meine Mutter hat auch nie einen Kuchen oder eine Torte gebacken. Es wurde niemand eingeladen, es gab auch nichts Süßes oder Kakao oder dergleichen.
Einmal waren bei einem meiner Geburtstage aber doch ein paar Nachbarskinder da. Wie es dazu kam, weiß ich nicht mehr. Wir spielten ein Spiel und der Sieger sollte, wie sonst üblich, ein kleines Geschenk oder etwas Süßes bekommen. Das Problem war nur, ich wusste nicht, was ich dem Sieger schenken sollte. Im Kühlschrank oder im Schrank waren keine Süßigkeiten, Schokolade oder Kekse zu finden. Nichts, was man hätte schenken können.
Das Einzige, was wir hatten, war eine Tüte Hustenbonbons: Große, in weißes Papier eingewickelte, in einer schwarz-grünen Tüte, verpackte Hustenbonbons! Also bekam jedes Kind nach seinem Sieg ein solches Hustenbonbon überreicht.
Ich kann gar nicht mehr beschreiben, was dabei in mir vorging. Die Scham war groß! Was sollte ich aber machen? Ich war verzweifelt, konnte die Situation nicht ändern. Ich hatte mich ja sehr über den Besuch der anderen Kinder gefreut, nun wäre es mir lieber gewesen, es wäre niemand gekommen. Was würden die Kinder zu Hause erzählen?
Ich glaube, weil wir selbst nie gefeiert haben, wurden wir auch selten oder fast nie bei den anderen eingeladen. Da hätte man ja ein Geschenk mitbringen müssen, aber das war meiner Mutter zu teuer.
Wir hatten zwar nicht viel Geld, aber bei seinen eigenen Kindern nicht zu feiern, den Tag verstreichen lassen, wie jeden anderen, ist für ein Kind und jetzt auch für mich als Erwachsenen, immer noch schwer nachzuvollziehen.
Die Beweggründe von meiner Mutter hierfür sind mir bis heute nicht bekannt. Mit ihr kann man darüber nicht sprechen. Sie war uns gegenüber immer relativ emotionslos.
Eine Umarmung, ein Kuss, Glückwünsche kosten nichts. Einen Kuchen kann man auch mit wenig Geld backen. Aber es passierte nichts dergleichen.
Ich denke dieses Verhalten meiner Mutter wurde in ihrer Kindheit geprägt. Meine Mutter war die älteste von drei Geschwistern. Ihre Kindheit war nicht einfach. Ihr Vater war im Krieg und hat dort sehr Schlimmes erlebt. Er war von Beruf Maler, leidenschaftlicher Zigarrenraucher und trank gerne.
Es kam öfters zu Konflikten und Streitigkeiten.
Das Geld war knapp, die Kinder hatten nicht viel.
Es fehlte an der notwendigen Zuneigung und Gefühlen den Kindern gegenüber.
Als sie dann meinen Vater heiratete, verbesserte sich ihre Situation auch nicht
wesentlich.
Mein Vater musste im Krieg aus Ostpreußen fliehen, sah in der Gefangenschaft im Lager viele Kinder sterben, das hat er nie verkraftet.
Er musste dann gleich Geld verdienen, erlernte das Müllerhandwerk, fing dann an
im Straßenbau zu arbeiten. Was ihm keinen richtigen Spaß machte.
Er wollte studieren, Pfarrer werden, durch den Krieg kam es aber anders.
Meine Mutter musste sich um alles kümmern, Erziehung, Haushalt, Einkaufen usw.
Sie hatte keinen Führerschein, musste alles mit dem Fahrrad einkaufen, dies war natürlich sehr beschwerlich. Geld war nicht viel da, meine Mutter zudem extrem geizig.
Insofern war es für meine Mutter nicht leicht, und ihr Verhalten so teilweise erklärbar.
Ihre Wut hat sie dann an uns ausgelassen.
Sie wollte eigentlich keine Kinder, ließ sie uns immer wissen.
Dementsprechend war auch unsere Erziehung.
Wir hatten einige traumatische Erlebnisse, unter denen wir heute noch leiden. Es hat lange gedauert, bis wir jemandem vertrauen konnten. Wir waren total verunsichert und ohne jegliches Selbstbewusstsein.
Obwohl wir alle drei studierten, war meine Mutter
nie stolz auf uns, zumindest hat sie es nie gezeigt, oder gesagt.
Aber ich hege ich keinen Groll gegen meine Mutter.
Ich habe ihr verziehen, die Umstände haben sie wahrscheinlich so gemacht.
Mein Vater ist vor 8 Jahren gestorben, sein Tod hat mich sehr getroffen und verändert.
Wenn wir heute am Meer Urlaub machen, wünschte ich, er wäre dabei, er hat das Meer
geliebt, das weiß ich. Urlaub konnte er sich aber nie leisten.
Als es uns Kindern finanziell gut ging und wir unsere Eltern hätten mitnehmen können, wollten sie nicht mehr verreisen. Die Familie war daher nie zusammen in Urlaub.
Meine Mutter wohnt noch in unserem Haus,
mein jüngerer Bruder in der Wohnung oben drüber.
Wir kümmern uns gemeinsam um sie, ein Pflegedienst hilft zusätzlich.
Sie tut mir sehr leid, ich wünschte meine Eltern hätten ein besseres Leben führen können. Es war ihnen aber nicht vergönnt.
Heute ruft meine Mutter wenigstens bei meinen Geburtstagen kurz an. Immerhin.
Der erste Geburtstag, den ich dann richtig feierte, war als ich meine Frau kennenlernte. Sie hatte mir zu meinem Geburtstag, ca. ein dreiviertel Jahr nach unserem Kennenlernen, einen solchen Geburtstagstisch gerichtet. Da steht man dann da, wie ein kleines Kind, und könnte vor Freude losheulen.
So ungefähr müssen sich die anderen Kinder damals gefühlt haben, dachte ich, bei denen die Geburtstage gefeiert wurden.
Dass man mit Kerzen und Wunderkerzen empfangen wird, dass da jemand - der ja eigentlich noch nicht einmal zur Familie gehört - etwas für einen macht, war fast nicht zu glauben. Aber es fühlte sich für mich sehr gut an!
Unsere Tochter kennt es zum Glück nicht anders. Sie wurde in ihrer Kindheit teilweise mit Geschenken überhäuft, bis heute kann ich ihr keinen Wunsch abschlagen.
Ich weiß, dass dies auch nicht unbedingt richtig ist. „Sie können an ihrer Tochter nicht gut machen, was bei Ihnen versäumt wurde“, sagte einmal jemand zu mir.
Trotzdem, dieses Ritual wollen wir unbedingt beibehalten. Vielleicht führt unsere Tochter diesen Brauch bei ihren eigenen Kindern fort, das würde mich sehr freuen!

Letzte Aktualisierung: 27.08.2016 - 10.48 Uhr
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