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Erinnerungen | August 2016

Die Prophezeihung
von Thomas Gawehns

"Hallo, wie geht's?" Bernhard erkannte den Herrn Weierle in der U-Bahn.
"Total beschissen. Wie sonst ..." lachte der ältere Mann. Auf Bernhards verblüfften Gesichtsausdruck erklärte er, dass "beschissen" die normale Antwort war, wenn der Ingenieur am Montag gefragt würde, wie es ihm ginge. An diesem Montag war es aber 'Total beschissen', weil er nicht nur mit ihm die neue Maschine einrichten musste, sondern darüber hinaus noch ein Pressebesuch anstand. Die stellten dann nicht nur ganz doofe Fragen sondern machten auch noch Fotos, die er dann wieder kontrollieren müsste, ob nicht irgendwelche Produktionsgeheimnisse preisgegeben würden. Dabei lachte er. Bernhard erinnerte das ganze an die fast schon vergessenen Worte dieser merkwürdigen Zigeunerin, die als Wahrsagerin bei seiner Konfirmationsfeier auftrat. "Achte auf den Mann der lacht wenn es ihm 'total beschissen' geht", hatte sie gesagt. Zweimal hatte sie auf das 'total beschissen' hingewiesen.
"Nervös?" fragte Herr Weierle, als er Bernhards Gesichtsausdruck zu deuten versuchte.
"Nee, nee, ist nur Montag, auch für mich" zerstreute Bernhard diese ihn prägende Erinnerung an seine Jugendzeit.
Auf dem Weg zur Arbeit unterhielten sich die Männer dann über das Spiel vom Sonntag. Der Club hätte ja nun wirklich besser spielen können.

Später sah sich Bernhard die neue Maschine an. Tatsächlich wurden hier mit nur einer Steuerung und einem Antrieb drei Achsen gesteuert. Die eine transportiert das Förderband, die anderen zogen ein Messer hin und her. Brauchten sie eigentlich hier noch eine Lichtschranke? fragte die Produktentwicklung. Das alles ging nun mit diesen kleinen, grauen Kästen. Als kleiner Junge hatte ihn schon immer diese Technik interessiert. Fasziniert schaute er den Bewegungen zu, als er hinter sich die Stimme Herrn Weierles hörte. "So und hier kommen wir nun zu dem Prototyp. Sie sehen wir sind da noch in der Entwicklung ..." Er drehte sich um und, tatsächlich, der Mann, der lachend verkündet hatte, dass es ihm 'total beschissen' ginge, kam mit zwei Frauen durch den Gang. Die rechte trug einen roten Rock, der knapp über ihren Knien endete. An ihren Füssen waren Sandalen und keine Sicherheitsschuhe, schoss ihm durch den Kopf. Die linke trug auch keine Sicherheitsschuhe, dafür hatte sie eine Kamera umgehängt. Warum waren eigentlich Regeln da, wenn sie dann doch nicht durchgesetzt wurden, schimpfte er in sich hinein. Die linke war deutlich weniger aufgetakelt als die rechte stellte er fest.

Das waren seine rationalen Gedanken, aber in ihn formte sich die lang unterdrückte Erinnerung an die Wahrsagerin. Diese hatte ihm zu seiner, ihm noch unbekannte Frau gratuliert. Eine, die für ihn bestimmt wäre und die ihn anspornen würde, Großartiges zu leisten. Es gäbe wenig Männer, denen solch ein Glück vergönnt wäre. Was hatte er diese Hexe später verflucht. Seine Pubertät war dadurch nicht lockeres Herumprobieren, sondern geprägt von Vorwürfen und Zweifeln. Erst während seines Studiums lernte er mit dem anderen Geschlecht spielerisch um zugehen. Vor allem Frauen in Röcken waren in seinem Beuteschema. Warum sagte diese Hexe nur, dass es die linke war, die für ihn bestimmt sein sollte? Mit strengem Gesicht musterte er sie deswegen genauer. Ihre Jeans waren ausgewaschen bläulich, ihre Bluse war weiß mit Rüschen, die oberen Knöpfe waren offen. Sie hatte tatsächlich ein wenig Brust, stellte er nickend fest. Ihr Hals war ganz hübsch, ihre Lippen voll. Als seine Augen in ihrem Gesicht antrafen, meinte Herr Weierle nur: "Schaffen, Bernhard! nicht Glotzen. Du musst nun als Fotomodell die Anlage verkaufen".
"Bitte?"
"Also, dann mal langsam. Du mimst den jungen Ingenieur, der begeistert mit der neuen Technik arbeitet. Die Frau D’Avila" er deutete auf die Frau in Jeans, " macht die Fotos. Mach alles was sie sagt. Ich beantworte in der Zwischenzeit der Frau Hassmann ihre Fragen."
Bernhard schaute der Fotografin in die Augen. Sie schaute mit weit geöffneten Pupillen zurück. "Also zunächst einfach normal arbeiten und messen. Ich laufe dann schon um die Anlage herum. Licht genug ist ja da und vor allem ganz natürlich." waren ihre Anweisungen.

Er versuchte ‘ganz natürlich’ weiter zu arbeiten, aber in Gedanken war er bei der Prophezeihung. Was würde eigentlich passieren, wenn er das Ganze einfach ignorierte. Wer sagt denn, dass ein Mann eine Frau als Lebensmittelpunkt brauchen würde. Bisher ging es doch auch ohne. Und nun sollte er mit solch einer den Rest seines Lebens verbringen. Ihm war gar nicht bewusst, dass er so grimmig schauen konnte.
“Bitte ein wenig freundlicher sollte das schon sein.” ermahnte sie ihn.
“Sorry. Es ist nur. Nichts.” Er versuchte sich wieder den Rädern und Riemen zu widmen. Diese griffen in einander und jedes Teil hatte ihre Funktion. Funktion haben, auf einen Zweck optimieren. Das war das, was er gelernt hatte. Sollte sein Leben auch davon bestimmt sein? Sich um diese Frau wickeln, wie dieser Riemen sich um dieses Rädchen schlingt. Sich dann ständig an einander zu reiben? Tatsächlich, an dieser Stelle rieb sich der Riemen ab! Dort müssten also die Schrauben ein wenig nachjustiert werden. Das würde dann auch ohne weitere Lichtschranke gehen!
Klick! "Ja, so ist das gut! Super!" lobte sie ihn. Er war doppelt stolz und strahlte sie an. Noch einmal drückte sie den Auslöser.
"Noch ein paar von solchen Aufnahmen" bat sie. In dem Moment kamen Herr Weierle und Frau Hassmann in die Halle.
"Also wir sind dann mit allem durch, wie sind die Aufnahmen?" fragte er.
"Ihr Ingenieur ist ein Naturtalent. Obwohl? Gleich müsste die Sonne durch die Fenster kommen. Mit dem Licht möchte ich noch gerne sein Entdeckergesicht aufnehmen. Dann hätten wir mehr Auswahl. Wenn Sie ihn noch entbehren können?" bat sie.
"Dann lassen wir Euch hier noch alleine. Du musst sie dann ins Büro bringen, Bernhard."
Er schaute den beiden hinterher, wie sie Halle verließen. Ihr Fahrgestell kam durch den roten Rock richtig zur Geltung.
“Also eigentlich bin ich ja fertig. Also wie soll ich nun posieren.” Er mimte einen Bodybuilder, der seinen Bizeps zeigte. Die Fotografin lachte, kniete sich vor ihm hin und machte eine Aufnahme. Da lag also die Frau, mit der er sein Leben verbringen sollte, zu Füssen und betete seinen gestählten Körper an. Er wollte diesen Gedanken gar nicht weiter denken und war schon erleichtert, als er hörte:
"Ist zwar auch hübsch, aber eigentlich brauche ich so etwas wie eben, das war einfach herrlich. So ein richtiges Heureka Gesicht. Und die Technik, im Vordergrund."
"Heureka?" Bernhard war verwirrt. Ihre Art mit ihm zusammen zu arbeiten gefiel ihm. Sie war offensichtlich keine von den Doofen. Nur? Wie sollte das dann nun weitergehen? Wollte er das wirklich? Er stand hilflos vor ihr. Sie kam an seine Seite und zeigte im die Anzeige an der Rückseite ihrer Kamera.
"Schau mal hier, da kannst Du sehen, wie das geworden ist. Hier, das ist so genau der richtige Gesichtsausdruck eines Ingenieurs, wenn er eine wichtige Entdeckung macht. Eben ein 'Heureka' Gesicht. Und genau das ist es doch, was auf die Prospekte soll" sie zeigte ihm im Display das vor-vorletzte Foto. Sah er wirklich so aus? Sein Blick fiel auf ihren Brustkorb der sich hob und senkte. In seinen Ohren glaubte er die Stimme der Hexe zu hören: “Pack sie fest in deinen Arm!”
Seine rechte Hand griff in ihre rechte Taille.
"Heh" sagte ihr süßer Mund.
“Und dann gib ihr einen Schmatzer auf den Mund und steck deine Zunge hinein. Trau Dich!” klang die Stimme der Hexe in seinen Ohren. Er zögerte kurz, aber dann presste er seinen Mund fiel auf ihren, seine Lippen öffneten sich und seine Zunge stieß zunächst auf zusammengepresste Lippen, die sich dann aber öffneten. Auch drückte ihr Rücken nicht mehr gegen seinen Arm, sondern ihre Brüste schmiegten sich an seinen Brustkorb.

Christina schwärmte noch lange nach der Hochzeit von dieser wilden und kräftigen Entschlossenheit ihres Mannes.

Letzte Aktualisierung: 15.08.2016 - 09.40 Uhr
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