Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
Das gibt es schlieĂlich nur in schlechten Filmen von Anne Zeisig
âDu kommst mit zu Tantchens Geburtstag! SCHLIEĂLICH bist Du ihr einziger Neffe, Kinder hat sie ja nicht.â âO-Tonâ meiner Frau Sabine.
Ich habe die gleiche Höckernase wie Tante Traudel, aber mehr verbindet uns nicht. Sie prahlt stets damit, wieviel LĂ€nder sie in ihrem Leben bereist hat, weil sie international âin der Kundenbetreuungâ als Hostess auf Messen tĂ€tig war.
In Wirklichkeit hat Tantchen hierzulande sÀmtliche Hotelbetten kennengelernt, weil sie den GeschÀftsleuten zu Diensten war. Aber immerhin hat sie es damit zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht, wenn man einen Winkelbungalow Baujahr 1970 als solchen einstuft.
âUnd ihr Schmuck!â, meint Sabine und hofiert sie als reichte Erbtante.
âKinder kosten SCHLIEĂLICH ein Vermögenâ, flötet Sabine mit einem Seitenblick auf das Foto unserer Tochter.
Vanessa ist derzeit eine permanentmaulende Pubertierende mit langen Armen, kurzen Beinen, strohigen Haarzotteln auf dem Kopf und im Hirn auch nur Stroh. Ihr GedĂ€chtnis speichert ausschlieĂlich teure Markenlabels ab. FĂŒr den Rest hat sie den Handyspeicher.
Gleich wĂŒrde ich mir wieder Tantchens Leier anhören mĂŒssen:
âIch war immer viel auf den Beinen. Messehallen sind weitlĂ€ufig. Dort auf Stöckeln herumstolzieren, war kein Zuckerschlecken. Aber von nichts kommt nichts.â
âTraudel ist Edelhostessâ, bekrĂ€ftigte meine Mutter stets die Schilderungen ihrer zehn Jahre jĂŒngeren Schwester. âSie ĂŒbersetzt auch. Französisch.â
Französisch. Klar.
Jeder aus unserem Dorf wusste, dass Traudel eine Nutte ist, hatten doch auch der Huberbauer und unser BĂŒrgermeister ihr VergnĂŒgen mit ihr, als sie zur Landwirtschaftsmesse in Augsburg waren.
Als Kind kriegt man jedes Getuschel mit.
Meine Eltern waren regelmĂ€Ăige KirchgĂ€nger.
Ich denke, sie wollten einfach nur zeigen, dass sie ehrbare glÀubige Leute sind.
Nicht, dass ich Tantchen moralisch verurteile, aber sie nervt mich, ich konnte sie ânie riechenâ. Kaum betrat Tante Traudel mein Elternhaus, war die Stimmung wie ausgewechselt, Mutter huschte nervös hin und her, bewirtete die âDame aus der Stadtâ fĂŒrstlich und lieĂ dafĂŒr sogar den Kirchgang ausfallen.
Dann setzte Vater mich auf Tantes SchoĂ, und sie drĂŒckte mich an ihren drallen Busen des weit ausgeschnittenen Chiffonkleides. Es war gut, dass sie uns höchstens ein oder zweimal im Jahr besuchte.
âTante hat den Popo ja vorne!â, habe ich einmal gekrĂ€ht, ich muss sechs oder sieben Jahre gewesen sein.
Sofort bekam ich von meinem Vater eine Watschen und Tantchen meinte, er solle mich strenger âhaltenâ, damit ich nicht âaus dem Ruder laufeâ.
. . .
Jetzt sitze ich auf dem altrosa Samtsofa zwischen meiner Mutter und Tantchen. Mir wird ĂŒbel von Traudels morbiden Geruch, der sich mit kaltem SchweiĂ und sĂŒĂem Duftwasser vermischt hat. Diese Kombi stinkt wie Kloreiniger.
Meine Frau schleimt. âTraudel, dein Parfum duftet umwerfend! Prada?â
Tantchen lacht zustimmend und tĂ€tschelt meinen Oberschenkel. âDie Teufelin trĂ€gt Prada.â
Mutter entrĂŒstet sich. âTeufelin! Ich bitte dich! Aber wenn du deine SpontanitĂ€t meinst, stimme ich dir zu.â
Dass Schwestern so unterschiedlich sein können.
Meine Mutter, zeitlebens das graue MĂ€uschen an der Seite meines dominanten Vaters.
Nun schiebt sich Traudel eine Zigarre zwischen ihre grellrot geschminkten Lippen und blĂ€st den Rauch ĂŒber den Tisch.
Sabine hustet und fÀchelt mit den HÀnden den Qualm beiseite.
Meine Frau lacht gequĂ€lt, steht auf und beschlieĂt SCHLIEĂLICH, Vanessa zu begleiten, die mit Tantchens Hundi Gassi gehen will.
Inzwischen massiert Tantchen meinen Oberschenkel. Ich fasse ihre Hand und legte sie auf ihren SchoĂ.
Jetzt stinkt es nach Mottenkugeln. Der Blusenausschnitt gewĂ€hrt den Blick auf einen ausgetrockneten Busen, ihre Haut ist gegerbt von ĂŒbermĂ€Ăigen SonnenbĂ€dern.
Vanessa hĂ€lt das SchoĂhĂŒndchen auf dem Arm und krault diese winzige FehlzĂŒchtung mit Inbrunst. âDer ist sĂŒĂŒĂŒĂŒĂŒĂâ, zirpt sie, stellt ihn hinunter und befestigt die Leine.
âSei vorsichtig. Wenn ein laues LĂŒftchen weht, könnte er abhebenâ, bemerke ich grinsend.
âEure Tochter ist tierlieb. Das gefĂ€llt mir.â Ein Lob aus Tantchens Mund!
Ich werfe Sabine die stumme Frage zu, âSeit-Wann-Ist-Vanessa-Tierlieb?â, als diese antwortet. âDas ist SCHLIEĂLICH meine gute Erziehung. SCHLIEĂLICH sind Tiere ja Mitgeschöpfe.â
Vanessa schieĂt einen Pfeil aus den blauen Augen in ihre Richtung. âMama! Nun chill ma deine Basis!â
âJa, jaâ, seufzt meine Mutter, âes ist nicht leicht, ein Kind zu erziehen. FrĂŒher nicht und heute erst recht nicht, wo man sie verbal kaum versteht.â
Meine Frau und Vanessa verlassen mit Hundi das Haus.
Abermals tÀtschelt Tante meinen Oberschenkel.
Ich stehe auf, weil mir das unangenehm ist. âIch brauche auch frische Luft.â
âAber Junge!â, sie zieht mich hinunter. âIch sehe dich so selten!â
âUnd?â, wende ich mich meiner Mutter zu. âMacht dir das Surfen am PC immer noch so viel SpaĂ?â
Vor fĂŒnfzehn Jahren, kurz vor meiner Heirat, hatte meine Mutter ihr Herz fĂŒr das Internet entdeckt.
Sie war frisch verwitwet, da war ich froh, dass sie eine BeschÀftigung hatte.
Sie schĂŒttelt den Kopf. âIch gehe lieber spazieren.â
Traudel stöhnt hörbar auf. âDu hast ja auch keine VenenschwĂ€che. Bis ich die KompressionsstrĂŒmpfe angezogen habe, ist es abends. Aber du musstest ja auch nicht tagaus tagein auf hohen Hacken in Messehallen umherlaufen und Kunden betreuen.â
Meine Mutter wischt sich ihre HĂ€nde an der Serviette ab. âHĂ€ttest ja heiraten könnenâ, flĂŒstert sie kaum hörbar.
âSei ruhig!â, fordert meine Tante sie forsch auf. âMan soll die Vergangenheit ruhen lassen!â
âWas soll denn ruhen?â Ich blicke interessiert von einer zur anderen. âSie war zuerst hinter deinem Vater herâ, sĂ€uselt Mutter mir ins Ohr, âaber er hatte nur Augen fĂŒr mich.â
âMeine Schwester hat mit ihrer âRĂŒhr-Mich-Nicht-An-Artâ deinen Vater um den Finger gewickelt.â
âMein Hans-Georg zog halt das Solide vor.â
Zickenalarm?
âSowas muss nach fast fĂŒnfzig Jahren wirklich kein Thema mehr seinâ, gebe ich Tantchen ausnahmsweise recht. GieĂe mir einen Wodka ein, der immer parat steht, weil das Tantes Medizin âgegen Venenâ ist. âProst! Auf deinen Geburtstag!â
Tantchen greift nach meinem Glas und stĂŒrzt den Inhalt hinunter. âSie hat damit angefangen. Ich nicht!â
âTraudel legt deinem Vater jeden Monat eine Rose auf das Grabâ, sagt Mutter vorwurfsvoll.
âAber es ist keine roteâ, verteidigt sich Tante.
âSpazierengehen kann sie nicht, aber den Weg zum Friedhof schafft sie.â
Ob Traudel es mal mit meinem Vater getrieben hat?
In dem Augenblick bin ich erleichtert, als Vanessa weinend ins Wohnzimmer stĂŒrmt und sich an meine Brust wirft. âEr ha-hat si-hich losgerissen und dann kam dieser Laster um die StraĂenecke!â
âWAS?â Tantchen springt hoch und fĂ€llt sofort wieder zurĂŒck in die Kissen. âIst mein Hundi tot?â
Vanessa schĂŒttelt den Kopf. âMama ist mit der Tierambulanz gefahren. Ein Bein soll gebrochen sein.â
Traudel atmet schwer ein und aus. âIch hĂ€tte ihn dir nicht anvertrauen sollen.â
Meine Kleine schĂŒttelt sich weinend. Ich streiche ĂŒber ihr Haar.
Plötzlich liegt auf der anderen Seite meiner Brust Tante Traudel und flennt auch. âWenn Hundi stirbt, habe ich keinen Erben mehr!â
Meine Mutter jault auf. âEinen Hund als Erben? Du hast doch einen Sohn!â
Sie fĂ€llt mit einem lauten Kreischanfall rĂŒcklings in das PlĂŒsch und hĂ€lt sich die HĂ€nde vor das Gesicht. âTut mir leid. Gott wird mich bestrafen!â
Vanessa und Tantchen rĂŒcken abrupt von mir ab.
Im Zimmer ist es mucksmÀuschenstill.
Ich nehme Mutter die HĂ€nde von den Augen. âTraudel hat einen Sohn?â
Die Blicke zischen zwischen den Schwestern hin und her.
âFamiliengeheimnis?â Ich gebe mich augenzwinkernd locker.
Tantchen zĂŒndet sich fahrig eine Zigarre an: âDu bist mein Sohn.â Und blĂ€st mir den Qualm ins Gesicht.
Vanessa hĂŒpft von meinem SchoĂ hinunter.
Meine Mutter stöhnt leise. âAber Hans-Georg ist dein leiblicher Vater.â
Ich tippe auf meine Brust und zeige dann auf Tantchen. âIch bin ihr -?â
Traudel hat sich schnell beruhigt und erklĂ€rt mir zwischen HustenanfĂ€llen mit rauchiger Stimme, dass ihr unstetes Messeleben nichts fĂŒr ein Kind gewesen wĂ€re.
âUnd deine Mutter hat vor eurer Heirat mit dem PC die Geburtsurkunde geĂ€ndert, weil ich ja im Original eingetragen bin.â
Das Zimmer scheint luftleer zu sein.
âWollten dich doch nicht vor den Kopf stoĂen, so glĂŒcklich wie du und Sabine warenâ, fĂŒgt sie an.
âIhr habt mich zeitlebens belogen.â Meine Stimme hört sich seltsam fremd an.
âGott sei mir gnĂ€dig, wirst immer mein Bub sein.â
âSind Mama und du ĂŒberhaupt mit einer gefĂ€lschten Urkunde rechtmĂ€Ăig verheiratet?â, fragt Vanessa., âSCHLIEĂLICH wĂ€re ich dann ja unehelich.â
Das Vakuum im Raum erzeugt eine Enge in meiner Brust.
Ich ergreife hastig mein Sakko und laufe hinaus.
Version ZWEI
Letzte Aktualisierung: 13.09.2016 - 07.23 Uhr Dieser Text enthält 9124 Zeichen.