Der himmelblaue Schmengeling
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Familienbande | September 2016
Die Familienfeier
von Barbara Hennermann

Grete hätte sich wirklich gewünscht, dass mehr aus der Familie zu ihrer Feier gekommen wären. Eigentlich ...

Onkel Otto zum Beispiel. Bei ihm und Tante Irmintrud war sie aufgewachsen, nachdem sie mit fünf Jahren ihre Eltern bei einem schrecklichen Bombenangriff verloren hatte. Onkel Otto war Mamas Bruder und wohnte in einer anderen Stadt. Er hatte die kleine Kriegswaise sofort zu sich geholt.
Wie hatte sie ihn als Kind geliebt! „Gretele, komm, Hoppe Reiter!“, hatte er lachend gerufen und jauchzend war sie auf seinen Schoß gesprungen. Gar nicht genug kriegen konnte sie und bei dem „da macht der Reiter Plumps“ spürte sie ein ulkiges Kitzeln im Bauch, wenn er sie kopfüber nach unten fallen ließ. Tante Irmintrud aber schien dieses Spiel irgendwann nicht mehr zu gefallen.
Mit bräsigem Gesicht meinte sie eines Tages: „Otto, das Kind ist bald vierzehn! Das ist doch kein Spiel mehr für sie!“ Dann lachte Onkel Otto sein dröhnendes Lachen und entgegnete: „Trudchen, lass uns doch den Spaß!“ Jedoch die Tante wurde nicht freundlicher gestimmt. Wobei Grete ohnehin immer mehr den Eindruck hatte, dass Irmintrud mit ihrer stets düsteren Weltsicht dem Onkel auch ansonsten wenig Lebensfreude zugestand. Natürlich versuchte Grete wegen des Onkels auch die Tante zu umschmeicheln und für sich zu gewinnen. Sie machte sich deshalb oft im Haushalt nützlich, was die Tante durchaus zu schätzen wusste. Es musste ein sehr dummer Zufall gewesen sein, der Tante Irmintrud nach dem Genuss eines Tees, den Grete aus Gartenkräutern für sie zubereitet hatte, unter unschönen Krämpfen vom Leben in den Tod beförderte. Im Schmerz um die frühzeitig Verblichene kam keiner auf die Idee, die Ursache weiter zu verfolgen.
Zu Gretes Erstaunen lebte der Onkel aber daraufhin nicht auf, sondern verfiel in Depressionen. Vorbei war es mit den Kinderspielchen ... Stattdessen machte Grete ihren Schulabschluss und ließ sich zur Apothekenhelferin ausbilden. In Sachen Kräuterkunde konnte sie auf ein fundiertes Vorwissen zurückgreifen, welches ihr Tante Trude seinerzeit im heimischen Kräutergarten vermittelt hatte.
Ja, Onkelchen Otto. Natürlich konnte er heute nicht zur Feier kommen! Auch er war ja schon viele Jahre tot.

Oder Kusine Herta, die Tochter von Otto und Irmintrud. Zwei Jahre älter als Grete. Hochbegabt. Für Hausarbeit natürlich nicht zu gebrauchen. Doch was Grete geistig nicht annähernd erarbeiten konnte, fiel Herta einfach so in den Schoß. Matura mit Bestnoten, Abschluss der Universität ebenso. Rektorin an einem Gymnasium mit Ende zwanzig. Ach, die Herta ... Zum Glück war sie ihrer Mutter ähnlich ...
Dennoch entpuppte sich Karl, ein Kollege, den sie mit nach Hause brachte, als ein sehr ansehnlicher junger Mann. Grete entbrannte beim ersten Anblick in Liebe. Leider interessierte sich Karl mehr für Herta und ihre geistigen Qualitäten als für Gretes fröhliche Hübschheit.
Doch manche Familien trifft es wirklich knüppeldick!
Denn kurz nachdem Herta Karl zu Hause vorgestellt hatte, versagten an ihrem alten VW – Käfer die Bremsen und sie prallte gegen einen Betonpfeiler. Zum Glück war Herta nicht tot, jedoch vom Hals an gelähmt. Grete gab wirklich ihr Bestes, um nicht nur Onkel Otto und Karl zur Seite zu stehen, sondern auch bei der Pflege der armen Kusine. Wobei es dann wahrscheinlich doch eher ein Glück im Unglück war, dass Herta nach zwei schmerzhaften Jahren von ihrem Leiden erlöst wurde.

Für Grete allerdings wurde es jetzt langsam Zeit, bestimmte Vorhaben in die Tat umzusetzen, denn ihre biologische Uhr blieb schließlich nicht stehen. Ob Karl sich in den letzten Jahren so an sie gewöhnt hatte, ob Onkel Otto ihm zugeredet hatte oder ob es wirklich Zuneigung war – Grete war es letztlich egal. Die Hochzeit wurde alsbald und im kleinen Kreis gefeiert, neun Monate darauf erblickte ihr Sohn Karl – Otto das Licht der Welt.
Zwei Jahre später schenkte sie Tochter Carola das Leben. Gretes Glück schien vollkommen.
Leider ließ Karl sich dazu hinreißen, der Kommunistischen Partei beizutreten, wodurch er seinen sicheren Beamtenstatus zu verlieren drohte. All ihr gutes Zureden, dem Kommunismus abzuschwören, fruchtete nichts. Grete vermutete, dass es ihm einfach zu gut ging ...
Als wäre nicht schon alles schlimm genug, befiel ihn kurz darauf eine unerklärliche Krankheit, die ihm nicht nur das Arbeitsleben und selbstverständlich jegliche andere Tätigkeit verwehrte, sondern ihn innerhalb weniger Monate dahinsiechen ließ wie weiland Wolfgang Amadeus Mozart.
Sein Ableben war ein großer Schlag für die Familie und nur die Tatsache, dass Grete mit den Kindern dank des Pensionsanspruches wenigstens finanziell abgesichert war, half ihr über den furchtbaren Verlust hinweg. „Gretele, über unserer Familie muss ein Fluch liegen“, sagte Onkel Otto, den inzwischen auch die Gebrechen des Alters plagten.
Immerhin war ihm noch vergönnt mitzuerleben, wie Karl – Otto in die Fußstapfen seines Vaters trat und als Gymnasiallehrer seinen Weg ging. Auch Carola gab Anlass zur Freude und ergriff nach Matura und Pharmaziestudium die Gelegenheit, die Apotheke zu übernehmen, in welcher ihre Mutter vor vielen Jahren ausgebildet worden war.
Nach Onkel Ottos Tod erbte Grete nun auch dessen Haus und Vermögen, gemeinsam mit ihren Kindern.

Bar aller finanziellen Sorgen konnte sich dennoch keines ihrer Kinder dazu entschließen, eine Partnerschaft einzugehen. Sicher hatte Karl – Otto die eine oder andere Bekanntschaft, aber sobald er sie seiner Mutter vorgestellt hatte, zogen sich die Damen zurück. „Karl – Otto, deine Mutter hat so eine Ausstrahlung ... also ich weiß nicht ... sie macht mir irgendwie Angst“, teilte eine von ihnen mit. Karl – Otto beendete sofort diese Beziehung, wie auch alle vorherigen und zukünftigen. Denn wenn es eine Frau gab, die an Hilfsbereitschaft, Fröhlichkeit und Güte nicht zu überbieten war, dann war das mit Sicherheit seine Mutter!
Carola schien es ebenso wie ihm zu gehen, denn auch sie führte immer nur kurze Beziehungen, die wenig ersprießlich endeten.
Grete war´s zufrieden. Ihr reichte ein Leben in Abgeschiedenheit mit ihren Nachkommen. Sicher, andere Damen ihres Alters erlebten eine Art zweites Mutterglück mit den Enkelkindern. Doch wozu sich diese ganze Arbeit, diese Unruhe und Sorgen noch einmal aufhalsen? Liebevoll blickte sie auf ihre Kinder, die wie sie langsam immer grauer wurden und doch stets ihre Fürsorge zu schätzen wussten.
So wie heute, am Tag ihrer Feier.

Eigentlich hasste sie ja Familienfeiern, schon immer.
Sie war auch nie zu einer gegangen.
Genau genommen, wenn sie es recht überlegte, hatte sie auch gar keine Familie. Keine, zu der sie Kontakt gepflegt hätte. Ebenso wenig wie Freunde. Oder Bekannte. Hatte sie alles nie gebraucht oder vermisst.
Kein Wunder also, wenn keiner gekommen war.
Nur die, die ihr etwas bedeuteten.
Liebevoll betrachtete sie ihre Kinder, wie sie dastanden, vom Schmerz gebeutelt.
Ja doch – SO musste es sein .... Alle anderen waren unbedeutend.


Karl – Otto legte den Arm um Carola und drückte sie an sich.
„Schon komisch, Carola, dass wir so gar keine Verwandtschaft haben.“ „Zumindest kennen wir keine. Mama hatte halt keinen Bezug dazu.“ Carola wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Vielleicht sollten wir ja jetzt einmal nachforschen, wie es damit aussieht?“ „Meinst du, das wäre Mama recht?“, meinte der Bruder. Carola schnäuzte sich kräftig. „Soll ich dir mal was sagen? Das ist mir ab heute echt egal!“
Energisch nahm sie die Schaufel in die Hand und schippte die drei obligatorischen Schaufeln Erde auf den Eichensarg in der Grube. Dann packte sie den Bruder am Ärmel und zog ihn mit sich. „So, und jetzt gehen wir zwei in das beste Lokal am Platz und machen einen ordentlichen Leichenschmaus!“

Hb 9/16 V 1

Letzte Aktualisierung: 12.09.2016 - 19.23 Uhr
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