Liebesgeschichten ohne Kitsch? Geht das? Ja - und wie. Lesen Sie unsere Geschichten- Sammlung "Honigfalter", das meistverkaufte Buch im Schreiblust-Verlag.
âWas ist denn jetzt los? Tageslicht?â, murrt die schwere Bratenplatte mit dem breiten Goldrand, geweckt aus jahrzehntelangem Schlaf tief hinten unten im groĂen Buffet. âGibtâs GĂ€ste?â
Die benachbarten GemĂŒseschalen und endlich auch die vielen groĂen und kleinen, flachen und tiefen Teller aus der oberen Etage werden wach und schwatzen aufgeregt.
âIhr Teller seid mal ganz ruhigâ, schimpfen zwei SauciĂšren vom unteren Bord.
âGlaubâ ich nichtâ, brummt die groĂe Suppenterrine und rĂŒckt ihren Deckel zurecht. âDie werden vermutlich mal wieder umziehen.â
Nach und nach finden alle Platz auf einem langen Tisch, die aus der unteren und die aus der oberen Etage.
âGĂ€steâ, schwĂ€rmt eine Suppentasse. âAch, das wĂ€re schön. WofĂŒr sonst könnten die uns alle brauchen?â
âErst mal sollten sie dich grĂŒndlich abwaschen. Da sind noch Reste der letzten Mockturtle mit Sherry zu sehen, pfui Teufelâ, moniert die Bratenplatte.
âDu bist ja nur so sauber, weil du seit Ewigkeiten nicht erwĂŒnscht warstâ, zischt die Suppentasse.
Abrupt hört die Zankerei auf.
Auf einem benachbarten, langen Tisch werden Tee-, Kaffee- und Mokkagedecke zusammengestellt. Daneben ein weiterer Tisch mit GlÀsern und Kristall.
âDie Angeber auch! Das wird wieder ein Umzug, habâ ich ja gleich gesagtâ, murrt die Suppenterrine grimmig.
âSelbst das gute Kristall und die feinen GlĂ€ser stellen sie rausâ, gibt ihr die Bratenplatte Recht und fragt ĂŒber die Tische hinweg:
âHat irgendjemand von euch eigentlich mal diese Leute gesehen?â
Ratlosigkeit beim Porzellan, allzu lange Zeit haben sie im Buffet verbracht.
Die zarten, geschliffenen GlÀser wissen mehr:
âVor einigen Wochen waren wir noch mal drauĂen. Das war die Trauerfeier fĂŒr die alte Dame, die beiden Töchter hatten eingeladen. Die kennen wir, aber nicht den groĂen Mannâ, klirren sie fein.
âDie Hildegard hat der letzte Sohn, Erwin, â die anderen beiden sind ja in Russland gefallen - kurz nach dem letzten Krieg geheiratet.â
âAus Königsberg war sie und hatte gar nichtsâ, schrillt ein zierliches Sherryglas vorlaut.
âAber Manieren â Im Gegensatz zu dirâ, mault die Bratenplatte halblaut.
âIch erinnere mich sehr gutâ, summt die groĂe Suppenterrine. âDas war eine lustige Hochzeitsfeier. Braten gabâs nicht, nur irgendein RagoĂ»t von Hundefutter, wenn du mich fragst. Aber lustig war es trotzdem.â
âErsatzeierstich! Die Suppe nicht mal vom Knochen gekocht. Nur lausiges GemĂŒse! Und MaismehlklöĂchen â Viehfutterâ, erinnern sich einige Suppentassen.
âWas hattest du da eigentlich zu suchen, Alte?â, wundert sich die Bratenplatte.
âDie haben die KPM-Punschterrine mit der Zitrone oben â ist die auch hier? Hallo? â Die haben sie jedenfalls nicht gefunden und da musste ich herhalten. Oh, mein Deckelâ, kichert sie voller VergnĂŒgen.
âDie vertrĂ€gt ja gar nichtsâ, zwitschern hell die geschliffenen Sektflöten. âGebechert wurde damals jedenfalls ordentlich. Trotz Nachkriegszeit.â
âDas ist so roh von euchâ, jammert eine kleine MeiĂner Mokkatasse. âMeine ganze Familie wurde gegen das bisschen Alkohol und Fleisch eingetauscht. Die Punschterrine mitsamt Bechern und Silberkelle hat ein Ami mitgenommen. Und wofĂŒr? FĂŒr Zigaretten! Mich haben sie nur verschont, weil ich geklebt war. Seitdem stehe ich ganz allein hinten unten im Schrank. AuĂerdem wollten euch die Amis nicht, weil ihr nur Hutschenreuther seid! Nicht mal 'ne Schachtel Zigaretten wart ihr damals wert! Und jetzt spielt ihr euch auf und zankt trotzdem.â
FĂŒr einen sehr kurzen Moment herrscht betroffene Stille.
âAlso ich âŠâ, setzt die groĂe Suppenterrine an.
âAlso du â du warst damals sternhagelvoll, meine Liebe. Und seitdem wackelst du stĂ€ndig an deinem Deckelâ, unterbricht sie die Bratenplatte.
âStellt euch mal vor, die Wuchtbrumme hĂ€tte die Mengen Whisky aushalten mĂŒssen, die der alte FW, der Vater vom Erwin, vor fĂŒnfundvierzig jeden Abend in sich reingekippt hat!â, hĂŒstelt hĂ€misch ein kristallenes, mit Jagdmotiven geschliffenes Whiskyglas.
Seine elf BrĂŒder summen vor VergnĂŒgen: âDas waren noch Zeiten. Jeden Abend waren wir drauĂen.â
Ihre zwölf Cousins schwenken erinnerungsselig ihre Cognac-BĂ€uche: âDamals wurde noch richtig gezecht.â
âIhr hattet da ĂŒberhaupt nichts zu suchen! Eigentlich wĂ€ren wir dran gewesen. Klarer Korn ist deutsch, kein welscher Branntwein oder irischer oder schottischer Verschnitt!â empören sich die dazugehörigen SchnapsglĂ€ser.
âQualitĂ€t setzt sich eben durch, da hilft auch keine Politikâ, höhnt das Whiskyglas und die Cognac-Schwenker grinsen: âNachschub gabâs immer. Nur nicht fragen, wie und woher.â
âStimmtâ, kichern die Sektflöten erinnerungsselig. âVor allem aus Frankreich.â
âNun ja, meine Lieben. Wir haben das groĂe GlĂŒck gehabt, dass kein Plebs in diesem Haushalt verkehrteâ, unterbricht eine groĂe, geschliffene Bleikristallkaraffe mit silbernem Deckel und Griff nĂŒchtern den beginnenden Streit. âEs waren die gleichen Leute, nur andere Uniformen.â
Das Whiskyglas hĂ€lt ĂŒberrascht inne: âDass ich Sie noch mal sehe ⊠Das letzte Mal im Dreikaiserjahr bei der Hochzeit vom Friedrich Wilhelm, dem Vater des jĂŒngeren FW, und der Auguste, nicht wahr? Und Sie haben alles gut ĂŒberstanden?â
âIch kann nicht klagen. Ăbrigens haben wir uns danach noch hĂ€ufiger gesehen. Sogar bei den Tauffeiern der beiden MĂ€dchen nach dem letzten Krieg. Ich vermute, Sie erinnern sich nicht?â
Sehr kĂŒhl setzt sie nach: âBerufsbedingt vermutlich.â
Das Whiskyglas grummelt halblaut: âOlle Zicke, kein Wunder, wenn man immer nur Wasser bekommt.â
âSie haben ein fantastisches GedĂ€chtnisâ, wagt bewundernd eine rotschimmernde Vase vom Nachbartisch einzuwerfen.
âGnĂ€digste, Alkohol desinfiziert von innen, das hĂ€lt jungâ, liebĂ€ugelt das Whiskyglas, die Kristallkaraffe ignorierend. âMurano, wenn ich nicht irre?â
âSie wissen wirklich alles. Die jungen Leute haben mich in der Tat von ihrer ersten Urlaubsreise mitgebrachtâ, schwĂ€rmt die Vase. âSogar in einem VW KĂ€fer.â
âVenedig, das sieht man. So eine schöne schlanke Form, einfach bezaubernd. Und die herrlichen Farben. Ăberfang, ich weiĂ. Selten so schön wie bei Ihnen.â
âDer Ă€ndert sich nieâ, kratzt die Kristallkaraffe beleidigt mit ihrem schillernd geschliffenen Stöpsel.
Die Bratenplatte greift beschwichtigend ein: âAber jeder von uns weiĂ doch, wer Sie sind. Ohne Sie oder uns waren doch gar keine Feste denkbar. Lassen Sie den GlĂ€sern doch ihre kleinen Eigenheiten. Immerhin haben wir viel zusammen erlebt. Und duâ, herrscht sie die Suppenterrine an âsetzâ dir endlich den Deckel richtig auf!â
Der groĂe, fremde Mann lobt lĂ€chelnd zwei Ă€ltere Damen: âDas haben Sie sehr schön vorbereitet. Sind Sie bereit? Dann eröffnen Sie jetzt den Hausflohmarkt.â
âWas ist ein Flohmarkt?â klappern GlĂ€ser und Porzellan unisono.
âDa verramscht man alte Kleidung, in der Flöhe sind. Kenne ich noch von 1917 aus Paris. Da hat der alte Herr das kleine TĂȘte-Ă -TĂȘte von SĂšvres mitgebracht. Das wurde auch gegen Zigaretten getauscht.â
âUns trennen? Wir sind doch eine Familie! Wir gehören zusammenâ, klirrt und scheppert es auf den drei Tischen.
âFamilie? Macht euch doch nichts vor. Wir haben nur viele gute und schlimme Jahre zusammengelebt. Eine Familie sind wir nichtâ, brummt die Bratenplatte.
âUnd mit den Sammeltassen will ich schon gar nichts zu tun habenâ, begehrt die Suppenterrine auf.
âNu haltâ mal deinen Rand. Wir sind Glas, wir sind Kristall, wir sind Porzellan, stammen aus unterschiedlichen Zeiten. Wir sind viel zu verschieden, um eine Familie zu sein. Wir haben nur zu einer gehört.â
âUnd wir sind doch eine Familieâ, protestiert die kleine kaputte MeiĂner Tasse zaghaft. âEs ist doch egal, wann und wie wir hier in den SchrĂ€nken gelandet sind. Was wir zusammen erlebt haben, das zĂ€hlt.â
âFĂŒnf Euro fĂŒr die Suppenterrineâ, bietet jemand.
âEine UnverschĂ€mtheitâ, empören sich Porzellan, GlĂ€ser und Vasen gemeinsam. Sie empören sich so sehr, dass die wackeligen Tapetentische leicht erzittern.
âDie Kleine hat Recht! Wir sind eine Familie, auch wenn wir uns nicht mögen! Wir zĂ€hlen bis Drei und dann âŠâ, entscheidet die Bratenplatte.
Der smarte Haushaltsauflöser hat so etwas noch nie erlebt: Eine Kakophonie von Scheppern, Klirren, Bersten und Zerspringen.
âAusgerechnet neben dir muss ich liegenâ, murrt eine Scherbe der Suppenterrine zum Rest einer goldrosa Sammeltasse. âNa ja, hĂŒbsch bist du ja. Rosenthal?â
âGnĂ€digste, dass wir so eng zusammenkommen, hĂ€tte ich nie fĂŒr möglich gehaltenâ, flirtet der Rest des Whiskyglases mit der HĂ€lfte der Muranovase.
âWir sind eben doch eine Familieâ, haucht ein winziger Scherben der kleinen MeiĂner Tasse.
âIch bin bei dir, keine Angstâ, brummt leise ein kleines StĂŒck der Bratenplatte.
Letzte Aktualisierung: 23.09.2016 - 07.20 Uhr Dieser Text enthält 8944 Zeichen.