Diese Seite jetzt drucken!

Familienbande | September 2016

Königshäuser
von Susanne Rzymbowski

Erika hat viel Zeit
und so verbrachte sie auch diesen Nachmittag damit in ihren vielgeliebten Illustrierten zu blättern und sorgsam die glanzvollen Fotos der Königsfamilie auszuschneiden, die sie dann mit viel Liebe in ihr Poesiealbum klebte, das blau und mit einer weißen Feder geschmückt war.

Seit sie in Rente war und ihr Mann vor 2 Jahren das Zeitliche gesegnet hatte, fühlte sie sich den Royals auf eine merkwürdige Art verbunden. Sie wusste auch nicht so recht wie es eigentlich angefangen hatte.
Sie glaubte sich daran zu erinnern, dass es beim Zahnarzt gewesen war, als sie im Wartezimmer lustlos und vom Schmerz gepeinigt ein Blättchen in die Hand nahm, das die ganze Familie zeigte.

Ihre Stimmung hellte sich sofort auf und Erika war ganz hingerissen von den schönen Kostümen, den noblen Anzügen und vor allem diesen unverwechselbaren Hüten, die ja sonst schon ganz aus der Mode gekommen waren. Selbst die Kleinsten auf den Bildern hatten kleine Schleifen im Haar, trugen weiße Strümpfchen in glänzenden Lackschuhen und Erika erinnerte sich mit Wehmut an die sonntäglichen Spaziergänge ihrer Kindheit in die Kirche.

Nicht dass sie besonders gläubig gewesen wäre, aber es war doch immer etwas Besonderes gewesen. Diese große Halle mit den vielen Säulen und der Weihrauch-erfüllten Luft hatte so etwas beruhigend Beeindruckendes, was Erika auch noch in ihren späteren Jahren verzauberte, wenn es sie zur Weihnachtszeit zum alljährlichen Gottesdienst zog.
Es war wie ein Eintauchen in Größe, so stellte sich Erika diese zumindest auch heute noch vor. Und dieser Hall, der in den Räumen lag und von dem sie umgeben – wie ein Klang aus einer anderen Welt, der in den flüsternden Stimmen und Gesängen förmlich waberte, wie eine einzige Welle aus Vollkommenheit.

Wie dem auch sei,
seit diesem Tag hatte Erika angefangen sich Illustrierte zu kaufen um in die Bilderflut der Königsfamilie einzutauchen, jeden Schritt zu verfolgen und mitzufühlen, was sie stets mit Andacht tat und dabei auch schon die ein oder andere Kerze angezündet hatte.

Sie hatte sich zwischenzeitlich sogar einen Hut zugelegt, den sie mit Hingabe trug, mit Vorliebe bei ihrer nachmittäglichenTätigkeit des Poesierens, bei der sie sich auch gerne stilvoll eine Tasse Tee in ihrem Sonntagsgeschirr genehmigte. Selbstredend war sie dann auch in ihr gutes Kostüm gekleidet, auf das sie immer sehr viel Wert gelegt hatte und das sie auch heute noch zeitlos schmückte.

Seit Neuestem begann Erika sogar alte Fotos von sich herauszusuchen, diese und ihre Person ebenso fein säuberlich auszuschneiden und neben ihren Royals zu platzieren als Ausdruck ihrer tiefen Verbundenheit.
Auch fand sie, dass eine gewisse Ähnlichkeit in den Gesichtszügen nicht zu verkennen war. Merkwürdig dass ihr das nicht schon viel früher aufgefallen war!
So wurde Erika nicht müde, diese Verwandtschaft zu studieren und um ihre eigenen Bilder zu ergänzen, die sich wie von selbst einreihten in diesem Band der Familie, das gehalten vom Glanz der Erinnerung.
Zudem ging sie in ihrer Beflissenheit dazu über, sich immer häufiger mittig im Kreis ihrer Lieben zu platzieren, die Geschichte gemacht.
So war sie umringt vom Wandel der Jahre und stand dabei fest auf dem Boden der Zeit, wie ein Herzstück aus Güte, sozusagen als Kernpunkt des Zusammenhalts - wie sie zumindest befand.

Ja Erika erkannte ihre Familie immer mehr! Kein Blick, der ihr entging, kein Lächeln, dass nicht von ihr erwidert und gedeutet. Erika verfolgte mit Inbrunst das Treiben, das in jeder Schattierung verbreitet und von dem sie nun ein Teil geworden!

Unauslöschlich lag es wie auf einer Perlenschnur vor ihr in diesem Rahmen eines Ausschnitts der ihr Ein und Alles.

Ach, wie sinnlos waren doch ihre Jahre zuvor gewesen!

Nun hatte Erika endlich ihren Platz gefunden, nach dem sie all die Zeit vergeblich gesucht.

Glücklich über ihre Verrichtungen, schloss Erika auch heute pünktlich zum Abendbrot ihr Büchlein und dankte Gott aus vollem Herzen,
wobei sie die Feder auf ihrem Album fast an ihrer Brust erdrückte.

Noch seelig Ihrer Verrichtungen kleidete sie sich rasch um, ließ ihren Hut im Schlafzimmerschrank entschwinden, holte stattdessen Kittel und Schürze heraus um nun eilig werdend das Abendmahl zu bereiten, denn Ewald ihr geschiedener Sohn mochte keine Verzögerungen, schon gar nicht wenn er wie eh und je angetrunken vom Dienst nach Hause kam.

Letzte Aktualisierung: 07.09.2016 - 21.44 Uhr
Dieser Text enthält 4426 Zeichen.


www.schreib-lust.de