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Superhelden | Oktober 2016
Die dreibeinige Fußgängerin
von Anne Zeisig

Ich gehe wie jeden Morgen mit gesenktem Haupt zur Station des Transliners, der mich zur Meldestelle und meinem Workjob bringt.
Wir Dreibeinigen sind vom Planeten Feetarius geflohen, weil die ungefilterte Sonneneinstrahlung wegen Änderung der Umlaufbahn das Leben unmöglich gemacht hat.
Wer wegen der DĂĽrre nicht verhungerte, starb an Hautkrebs oder Kreislaufversagen.
Wohin sollten wir fliehen?
Auf Icebariot war es zu kalt für unsere Spezies, Terra war längst ausgelöscht, das hatten meine Urahnen, die Zweibeinigen zu verantworten. Sie haben gedankenlosen Klima-Raubbau betrieben, es folgte eine gigantische Schneeschmelze und die Meere sind angestiegen.
Hier will man uns zwar auch nicht haben, aber fĂĽr Zwei Doptars FĂĽnfzig arbeiten wir, steuerlich betrachtet, lukrativ in der Soup-Kitchen oder in der Rolliproduktion.
DafĂĽr erwartet man Demut, Dankbarkeit und Ehrlichkeit.
. .

Skalina fährt voraus und ihr folgt ein Tross Fans. Männliche zumeist und die weiblichen haben es darauf abgesehen, dass etwas von ihrem Ruhm auf sie abfärben möge.
Allerdings haben alle Probleme, ihr zu folgen, weĂ­l nur eine Sport-Superheldin wie Skalina einen Rollstuhl mit Turbosecondinjection besitzt. Bereits im siebten Jahr in Folge hat sie eine Goldmedaille bei den Sekulympics geholt.
Keine Frage: Sie gehört der privilegierten Rollioberschicht an, ist eine drahtige, wendige Sportskanone und außergewöhnlich hübsch mit ihrem flammendrotem Haar und der weißen Haut.
FĂĽr mich ist sie eine Hexe.
Fremdenfeindlich gegenüber den Dreibeinigen Fußgängern.
Ja, sie nennen uns abwertend: Fußgänger.
Sie bremst abrupt, dreht sich vor mir im Halbkreis und kommt zum Stehen. “Schaut euch diese plumpe Fußgängerin an!” Alle lachen und grölen.
“Es ist nur eine Frage der Zeit, wann man euch wieder auf Feetarius abschiebt.”
“Missgeburten!”, rufen die anderen.
“Sollen lieber die Probleme auf dem eigenen Planeten lösen!”
“Machen sich hier ein schönes Leben!”
“Zu nichts nutze!”
Ich kauere mich hin. Muss mich klein machen.
“Aber wir können nichts dafür, wenn sich die Umlaufbahn ändert”, jaule ich.
Skalina stößt mir mit ihren langen, schlanken Fingern gegen die Stirn. “Wenn unser Staat von euch gesäubert worden ist, wird es sinnvoller sein, Robodryer anzuschaffen, die euch ersetzen.” Und nach einer kurzen Pause. “Mein Vater wird dafür sorgen!”
Ihr Vater, der Obere des Rolliparlamentes. Bisher ist noch kein Fußgänger dort hineingewählt worden, obwohl viele von uns hochgebildet sind.
Die Meute jubelt.
Ich muss mich aufrichten und in Bewegung setzen, denn wenn ich meinen Platz in der Kitchen zu spät erreiche, wird mir die Hälfte des Tageslohnes gestrichen. Und ich muss ja vorher noch meine Fußabdrücke checken lassen!
Meinen Job will ich auf gar keinen Fall riskieren, denn es gelingt mir immer, heimlich ein paar Essensrationen hinauszubekommen. Vitaminreiches Essen, welches nur der Rollioberschicht zugestanden wird.
“Sundowner! Sundowner!”, schallt es durch die Lautsprecher. In letzter Zeit hört man diese Meldung oft.
Als ich in den Transliner steige, saust Skalina an mir vorbei.
Ihr Haar weht wie eine rote Fahne hinter ihr her. “Muss meinen Turbo schonen”, erklärt sie und schnallt ihren Rollstuhl unter dem Fenster in der Nische fest. Sie zeigt zum Himmel. “Ohne Sonneneinstrahlung kein Turbo.”
Das gönne ich ihr und blicke zu Boden, als der Liner anfährt. Ohne Solar etwas langsamer als sonst, bis der Speicher Energie freigibt.
“Habe ich dir was getan?”, fragt sie mich.
Jetzt blicke ich auf die vorbeihuschende Steppe aus vertrockneten Gräsern. Bäume wachsen hier auch nicht mehr. Mich graust bei der Vorstellung, dass auch dieser Planet niedergehen könnte.
“Du machst die Fußgänger nieder. Behandelst uns wie Menschen Zweiter Klasse.“
Sie spitzt ihren grünen Mund. “Dreibeinige sind nicht leistungsfähig.” Skalina zeigt drei Finger hoch.

“Tickets bitte! Tickets please!”
Ich krame nach meinem Fahrausweis und schon steht die Rollerdame in Uniform vor mir. Sie trommelt ungeduldig mit den Fingern auf die Lehnen ihres Rollstuhles.
Mein Herz pocht. Ich hatte ihn doch in meine seitliche Jackentasche gesteckt! SchweiĂźtropfen bilden sich auf meiner Stirn und ĂĽber der Oberlippe.
“Blackriderin? Haben wir hier etwa eine Blackriderin?” Die scharfe Stimme der Kontrolleuse sticht mir ins Trommelfell.
Sie zieht mich am Kragen vom Sitz hoch.
“Einen Moment!”, meldet sich Skalina. “Sie ist meine Begleitperson zur Sportstation.”
“Oh! Unsere Super-Sportheldin!” Sie wedelt mit den Armen umher. “Alle raus hier! Hinten sind genügend Stehplätze!”
Die Passagiere entfernen sich aus diesem Abteil und auch ich will mir einen anderen Platz suchen. Skalina hält mich zurück und gibt mir einen Kuss auf den Mund.
Ich reibe mir angewidert mit dem HandrĂĽcken die Lippen ab.
“Dafür musst du dich aber heute Nacht revanchieren.” Sie beugt sich zu mir hinüber und flüstert. “Love, love, love.” Und greift mir in den Schritt. “Ich liebe das Exotische.” Skalina schnalzt mit der Zunge. “Und ich weiß, dass du Essen stiehlst. Ihr seid alle hinterlistig und undankbar, ihr Dreibeinigen.”
“Aber, aber, ich bin froh, hier sein zu dürfen, und ich arbeite, so gut ich kann, gebe alles.” Meine Stimme versagt.
Wie feige ich doch bin!
Sie gibt mir einen Klaps auf das Gesäß. “Wenn die Watch 37 anzeigt, meine Süße, gehörst du mir. Weißt ja, wo ich dominiziere.”, zischt diese Schlange.
Ich gehe ohne Gedanken nach hinten zur Kontrolleuse, schreie, dass ich keine Begleitperson von Skalina Superheldin bin, jedoch meinen Fahrausweis verloren habe.
Die Muskulöse streckt mich mit einem Würgegriff nieder.
Ich liege benommen auf dem Boden.

Am nächsten Halt bugsiert mich die Staatsvollstreckerin ins Police-Car.
Die Wolken reiĂźen auf und lassen Sonnenstrahlen durch.
“Sunup! Sunup!”, hallt es übers Land.
Bevor sie mich abtransportieren, presst Skalina ein Ticket vor die Fensterscheibe des Liners. Wieder spitzt sie ihre giftgrĂĽnen Lippen.
Mein Fahrschein!
Bei Verlust gibt es fĂĽr uns Geduldete keinen Ersatz.
Nun würde ich täglich den Arbeitsweg von 200 Kilometern zu Fuß zurücklegen müssen. Wie soll das gehen mit dem lahmen dritten Bein?
Ich muss das schaffen! Ich will ĂĽberleben!


ENDversion

Letzte Aktualisierung: 15.10.2016 - 09.42 Uhr
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