Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Superhelden | Oktober 2016
Ich nix – du alles
von Glädja Skriva

Die Wanduhr tickte. Aber davon war sie nicht aufgewacht.
Sie tastete hinüber zu Franks Bettseite, die noch warm war – und jetzt leer. Sie wusste nicht, ob sie darüber Freude oder Wut oder Erleichterung empfinden sollte. Sie stellte es fest, dass er weg war, wie sie feststellte, dass die Uhr im Westminsterton jetzt zweimal schlug. Die Uhr, die von ihrer Großmutter war, deren Bild auf ihrem Nachttisch stand.
Es war dunkel im Schlafzimmer, sodass sie „Grossie“ auf dem Foto nicht erkennen konnte, aber die inneren Bilder waren viel lebendiger: Pechschwarze Haare, immer eine Haarklammer auf der einen und auf der anderen Seite, immer ein weißer Kragen. Spitz, steif, ordentlich. Und dazu – im Bruch – meerblaue Augen, nicht eisblaue, die einluden, sich auf unbekannte Reisen zu begeben, weil man Lust darauf hatte, weil man es schaffte, bis über den Horizont zu segeln, weil sie, Lea, es schaffen würde, weil sie mutig war.
Lea drehte sich wieder auf den Rücken. Ihr Atem hatte sich beruhigt. Sie starrte an die Decke, faltete die Hände über ihrem nackten Bauch unter dem verrutschten Nachthemd und spürte dabei kleine Narbenwülste … aber keinen Schmerz.
Mutig mochte sie schon immer gewesen sein, aber nicht geschickt zum Segeln, sodass sie im Leben immer wieder Schiffbruch erlitten hatte. Die Fluten hatten sie untergedrückt, sie hatte sich nach Luft schnappend nach oben gekämpft, bis die nächste Welle kam und sie wieder mitgerissen hätte, wäre damals nicht Frank gekommen, der sie rettete. Ihr Engel, der ihr die Welt zu Füßen legte, sodass sie sich nie mehr auf gefährliche Gewässer begeben musste – aber dadurch auch verlernte, mit ihnen umzugehen. Sie war vor den Wellen nach Italien davongelaufen und Frank in seiner Güte hatte ihr vergeben. Sie hatte versucht, sich freizumalen, aber hatte sich dabei noch tiefer im Wald ihrer Gefühle verirrt. Und trotzdem blieb Frank treu an ihrer Seite, obwohl sie ihm nichts bieten konnte, außer ihrer Schwachheit und Unfähigkeit und Verwirrtheit im eigenen Leben. Wer konnte ihm verübeln, dass er hin und wieder zu Silke ging? Schien er doch so in Not darüber zu sein, dass er Alwin, den seelsorgerlichen Beistand, aufsuchte. Schuld schien auf ihm zu lasten. Doch hatte sie ihn nicht in diese Schuld getrieben?
Wie hätte sie eine gute Mutter werden sollen? Zwei Kinder hätte Frank versorgen müssen, sie und das Kleine und das, wo er jetzt mit ihr bereits an seine Grenzen kam. Deshalb musste sie ihn schützen; einmal sie ihn ... Deshalb musste sie …
Ihre Hände strichen zitternd über die kleinen Narben auf ihrem Unterbauch, die der Stacheldrahtzaun hinterlassen hatte.
„War ich dieses eine Mal mutig, Grossie?“

© P.S./Glädja Skriva/Oktober 2016

Letzte Aktualisierung: 27.10.2016 - 19.37 Uhr
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