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Superhelden | Oktober 2016

Mit eiserner Faust
von Hajo Nitschke

“Männer haben Muskeln.
Männer sind furchtbar stark. (...)
Männer sind so verletzlich.
Männer sind auf dieser Welt
einfach unersetzlich.“

Herbert Grönemeyer, „Männer“, 1984




450 Jahre zuvor:



Herr Dietrich hat geladen heut zum Mahl der Recken Schar.
Zur nächt'gen Stund versammelt Held um Held. Die Runde schweigt.
Ein Jahr ist's her, seit sie sich hier geseh'n zum Ritual.
Die Tafel dampft, der Becher kreist, die Schwerter sind gezückt,
vereinen sich im Kreis der Edlen wie zum heil'gen Schwur
und einem Kraftstrom gleich fließt Heldenmut von Mann zu Mann.
Zu Füßen der Getreuen sind die Schilde angelehnt,
die Schilde, die bei schwerem Schuhwerk und Gamaschen ruh'n
von blut'ger Schlacht, nur Lanzen bleiben draußen vor dem Tor.
Die harten Augen spiegeln Schwertes Stahl und es gemahnt
Herr Dietrich einen jeden, dem Gelübde treu zu sein,
das unverbrüchlich ihm die Pflicht zur Wahrheit auferlegt.
Er ruft den Allerhöchsten auf zum Schutz und Zeugen nun
für diese Nacht. Und langsam steigt das Heldenbanner auf.

*

So, wie's der Brauch gebeut, legt jeder Ritter Zeugnis ab
von seinen Heldentaten des verfloss'nen Jahr's im Land,
bescheiden dargebracht, doch mehrend ihrer aller Ruhm.
Die Rede geht an Rudolf, Siegbert folgt, desgleichen Götz,
der Ritter mit der Eisenfaust, dann Albrecht, Gieselher
und and're mehr. Der Helden Kühnste sind versammelt heut',
landauf, landab bei Hof besungen und vom Volk verehrt.
Nicht Feuerdrache, Hölle oder Tod lehrt sie das Fürchten.
Und wo im Heil'gen Röm'schen Reiche Deutscher Nation
ward größ'rer Heldenmut je offenbar als hier zur Stund'?
Ein solches Maß an Tapferkeit ward nie vereint denn hier.
Gekauert in des Saales Ecken hängen Knappen still
und wie gebannt an ihrer Herren und Gebieter Lippen,
um nachzueifern ihnen, wenn es Zeit. Die Magd schenkt Met nach.

*

Ganze Horden böser Plünderer und finst'rer Mörder
hätt Herr Dietrich aufgerieben mit dem bloßen Schwert,
und ihrer hundert hingen an den Ästen starker Eichen,
nunmehr nur noch Gerippe, schaukeln dort sie dürr im Wind.
Der Ritter Götz berichtet, wie er einstmals ganz allein
verteidigt seine Burg und trotzend einer Übermacht
mit seiner Eisenfaust gerammt zu Grund hätt Mann für Mann,
die Überreste rings umher verstreuet um die Burg.
Des Glanzes höchster aber fällt auf Ritter Haralds Wort,
wie er beim Minnedienst die Prüfung auferlegt bekam,
ins Reich der Schatten abzusteigen, wo ein Geisterheer
schon, grässlich heulend, sensenschwingend seiner Ankunft harret.
Hindurchgepflügt mit seiner Streitaxt Schärfe habe er
sich durch die Reihen dichtgedrängter dunkeler Gesellen,
Zerschmettert und zur weisen Vorsicht noch am Ort gebunden,
sei ihnen fürderhin verwehrt, die Lebenden zu quälen.
Das schöne Fräulein habe ihn zum Lohn erhören wollen,
doch habe höflich dankend er auf ihre Gunst verzichtet.

*

Noch lange stehen diese Taten, wie in Stein gemeißelt,
sie selber mit Bewund'rung füllend über ihren Häuptern.
Die Unbesiegten sinnen schweigend jenen Worten nach.
Vom Braten, lockend duftend dort, nimmt niemand einen Bissen.
Die Knappen, starr vor Staunen, wagen kaum einmal zu atmen.
Es ist so still im Saal, ein Mäuslein könnt' man huschen hören.

*.

Die weihevolle Andacht währt noch eine ganze Weile,
bis eintritt Frau Ottilie, Dietrichs Weib. Die Schar erbleicht.
Die Holde fragt gefährlich sanft, warum der Mannen keiner
die Stiefel vor der Tür zu lassen nötig hätt befunden,
der Boden sei just heut gekehrt, der Ahnensaal geputzt!
Und außerdem, was hätt der Honigwein denn hier zu suchen?
Ihr Dietrich wisse doch, sie dulde keinen Alkohol
im Schloss, und überhaupt, wer hätte diesen Trunk erlaubt?
Dann fügt sie, die Gemahlin, leis', ganz leise noch hinzu,
sie wolle nun zu Bett, und weh dem Herrn, den sie noch hier,
nicht länger als bis drei gezählt, in ihrem Schlosse sehe:
sie werde flugs und höchst persönlich geben ihm Geleit.

*

Bei diesen Worten packt die tapf'ren Krieger kalter Graus.
Sie springen, Schild und Schwert vergessend, auf und hasten fort,
die Rüstung und den Rest der Waffen lassen sie am Ort.
Sie laufen schnell, als sei der Teufel hinter ihnen her.
Nur Dietrich bleibt allein zurück und ist vor Schrecken stumm.
Der Gattin folgt er langsam, taumelnd, in das Schlafgemach.

*

In sicherer Entfernung stockt der Helden wilder Lauf..
Sie stehn und gaffen, langsam weicht der Schrecken. Mancher flucht.
Ein Edelknabe späht vom Schlosse her zu ihnen hin,
sein Name, Edgar, ist verbürgt, genau wie sein Bericht.
Er sieht, wie jener Ritter seine große Eisenfaust
gar dräuend und wüst schreiend hebt gen Himmel, Edgar schwört's.
Und Götzens Ruf noch klar im Ohr, diktiert dem Schreiber er
des Ritters Worte, klassisch füglich wohl schon jetzt zu nennen:
'Sie aber, sag's ihr, sie könne mich im Arsche lecken!' (*)




(*)Der vorstehende Bericht geht auf eine unlängst entdeckte alte Handschrift zurück, deren Echtheit Experten zufolge außer Zweifel steht. Endlich herrscht Klarheit über das schon immer als ungesichert geltende Zitat und dessen genauen historischen Kontext in Goethes Schauspiel. Wir wissen jetzt, wem Götz von Berlichingens Ausspruch galt: ein sensationeller Fund!


© Hajo Nitschke, 18.10.16 - V3

Letzte Aktualisierung: 18.10.2016 - 10.48 Uhr
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