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Superhelden | Oktober 2016

Lucky
von Katharina Conrad

Könnte ich nur, wie ich wollte …
Versteht mich nicht falsch, ich will weder unzufrieden erscheinen noch undankbar, im Gegenteil. Es ist nur – ich würde euch so gerne viel, viel mehr zurückgeben.
Ich sehe doch, wie ihr euch quält. Eigentlich tut ihr kaum was anderes. Ihr reibt euch auf im Bemühen, heldenhaft stark zu sein, und diese Mühe frisst das instinktive Tun, das euch doch ebenso angeboren ist wie uns, ich weiß es genau … und das euch über manche Hürden des Lebens hinweghelfen sollte.
Jetzt hockt ihr wieder da auf dem Sofa und schweigt euch an. Der Streit ist vorbei, zumindest der laute Teil. Aber ich kann euch denken hören. Ihm sehe ich an, dass er seine Ruhe will und am liebsten abhauen würde. Sie wünscht sich eine Tasse Tee, sehnlichst, mit einem Schuss aus der kleinen Flasche, die sie im Küchenregal hinter den Gewürzen versteckt.
Zu gerne würde ich ihn nach draußen begleiten, nichts lieber als das! Und ich würde auch ihr sofort einen Tee kochen – leider kann ich das nicht, dummerweise habe ich keine Hände.
Selbstverständlich könnte ich trotzdem meine Leine holen und sie ihm vor die Füße legen, er wäre dankbar für den Fluchtweg, doch das wäre sehr unfair ihr gegenüber. Bis die Natur mich dennoch zwingt, genau das zu tun, bleibe ich in meinem Korb liegen und beobachte euch.
Euer Junge kommt und krault mich. Ich drehe mich auf den Rücken und präsentiere ihm meinen Bauch, weil ich ihm mein Vertrauen zeigen will. Okay, und weil er so gut kraulen kann.
Lucky nennt ihr mich. Glaubt nur ja nicht, ich wüsste nicht, was das heißt!
Eure Auffassung von Glück unterscheidet sich von meiner. Ihr wisst gar nicht, wie sehr. Glück ist ein warmer Platz, ein langer Spaziergang im Wald und jemand, der merkt, dass meine Wasserschüssel leer ist.
Ihr solltet mehr Wert auf das Glück eures kleinen Mädchens legen, das da oben in seinem Bett liegt. Hättet ihr auf mich gehört, wüsstet ihr schon länger, dass ihr Körper krank ist! Und jetzt lasst ihr mich nicht mehr zu ihr, weil ihr Angst um ihre Abwehrkräfte habt. Dabei würde ich euch so gerne zeigen, wie gut ich für sie sein kann. Ich bin ihr Freund! Ich würde bei ihr bleiben, wenn ihr den piepsenden Monitor und den Infusionsständer nicht mehr aushaltet und zum Heulen vor die Tür geht. Denkt ihr wirklich, sie merkt das nicht? Sie weiß, dass ich immer ehrlich zu ihr bin, sie sieht es an meinen Augen, ich kann sie nicht anlügen. Ich bin ihr Freund.
Gewesen. Ihr lasst mich ja nicht mehr.
Und euer Junge, der nichts dafür kann, dass ihr euch streitet und euer Mädchen stirbt, weint seine Tränen in mein Fell, um euch nicht damit zu belasten.
Ihr seid doch hier die Tiere! Was immer das heißt.
Übrigens würde ich lieber alleine spazieren gehen, statt von ihr in fünf Minuten einmal um den Block gezogen zu werden. Da darfst du nicht, dort darfst du nicht. Da sollst du! Genau da! Pfui, da doch nicht!
Danke vielmals. Wir hätten beide was davon, wenn sie einfach morgens die Türe aufmachen und einen Spalt offen lassen würde, ich käme schon zurück. Es würde vielleicht etwas länger dauern ... Ich würde noch Cindy besuchen, die Collie-Dame von nebenan, und natürlich würde ich nach Mäusen graben und ein bisschen jagen, aber ich würde wieder nach Hause kommen.
Und wenn ich könnte, dann würde ich ihm antworten. Wenn er wunderbare lange Streifzüge mit mir unternimmt, immer weiter, immer tiefer in den Wald, weil er hofft, nicht mehr herauszufinden und nicht mehr nach Hause zu müssen. Wenn er mir alles anvertraut, was ihm auf dem Herzen und auf der Seele lastet. Manchmal würde ich ihm wirklich gerne antworten.
Wisst ihr … ich bin ein Mitglied eurer Familie. Ihr habt mich zu euch geholt, als ich noch ein Baby war. Das kleinste Rad im Getriebe bin ich, manchmal auch der Sand, aber immer noch der, den ihr aufgenommen habt. Für euch bin ich Pflicht, Trost, Halt und Routine zugleich, in variierender Ausprägung. Doch viel zu oft, wenn ich Halt sein könnte, seht ihr nur Last in mir.
Wenn ich wäre wie ihr, würdet ihr mir die Verantwortung für mich mir selbst überlassen. Ich könnte an eurem Leben teilhaben wie einer der euren und wäre nicht in allen natürlichen Grundbedürfnissen auf euch angewiesen.
Und ihr hättet mich niemals in euer Haus geholt! Es ist zum Verrücktwerden.
Wenn ich könnte, dann würde ich euch danken, euch anklagen, euch in den Arsch treten und euch trösten.
Könnte ich nur, wie ich wollte ...



Letzte Aktualisierung: 11.10.2016 - 21.01 Uhr
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