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Superhelden | Oktober 2016

Der wahre Held
von Marcel Porta

„Hatten Sie Angst, als die drei auf Sie losgingen?“
„Selbstverständlich. Die sahen gefährlich aus.“
„Und trotzdem haben Sie …“
„Ich konnte doch diese arme Frau nicht einfach im Stich lassen. Ich weiß nicht, was sie mit ihr vorhatten, aber wenn man gesehen hat, wie die sie schon zugerichtet hatten, kann man es sich zusammenreimen.“
„Frau Richter liegt immer noch im Koma. Haben Sie sie schon besucht?“
„Ja, sofort nach der Erstversorgung meiner Wunden im Krankenhaus. Ihre Prognose ist leider ziemlich schlecht. Die Ärzte haben mir gesagt, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr aufwachen wird. Ich hoffe, man fasst die Schweine.“
„Haben Sie der Polizei eine Beschreibung geben können?“
„Ja, aber sie ist dürftig. Es war dunkel, und es ging alles ziemlich schnell. Als dann das Auto um die Ecke kam, sind sie sofort geflüchtet.“
„Die Polizei spricht von Skinheads, stammt diese Information von Ihnen?“
„Ja, so viel konnte ich erkennen. Als Beauftragter meiner Partei für Verbrechensbekämpfung kenne ich mich mit diesem Gesindel aus.“
„Sie sind nun ein Held, die Zeitungen sind voller Lob über Ihren Mut. Glauben Sie, dass Ihre Partei davon profitieren kann?“
„Wir werden diese Angelegenheit nicht instrumentalisieren. Jedenfalls nicht für parteipolitische Angelegenheiten. Unsere Forderungen nach einer verstärkten Polizeipräsenz auf den Straßen werden wir trotzdem damit untermauern. Ihr Leid soll nicht ganz umsonst gewesen sein.“
„Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche weiterhin gute Besserung.“
„Ich werde heute noch aus dem Krankenhaus entlassen. Beten Sie lieber für Frau Richter, sie hat es wirklich nötig.“

Seit Tagen gibt Herr Albert Schwiers Interviews vom Krankenbett aus. Sein bescheidenes und maßvolles Auftreten verschafft ihm fast noch mehr Sympathie als die Heldentat, die in aller Munde ist. Unter Einsatz seines Lebens hat er Frau Emma Richter, eine Obdachlose von etwa fünfzig Jahren, gegen die Angreifer verteidigt. Leider kam er etwas zu spät, die Frau lag bereits bewusstlos am Boden, bevor er die Täter vertreiben konnte. Er selbst trug bei diesem Einsatz Schnittwunden am rechten Arm, sowie etliche blaue Flecke und Prellungen im Gesicht davon. Mangels weiterer Zeugen gibt es leider keine bessere Täterbeschreibung. Doch die Polizei ermittelt unter Hochdruck.

***

„Wie schön, mein Schatz, dass du wieder zu Hause bist.“
„Ja, im Krankenhaus war das Essen schrecklich. Und immer dieser Formaldehydgeruch, das vertrage ich ganz schlecht.“
„Ich bin nur froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Wäre doch zu schrecklich und geradezu tragisch, wenn dein Mut dich am Ende deine Gesundheit oder gar dein Leben gekostet hätte. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was alles hätte passieren können.“
„Ach was, war ja nicht weiter schlimm. Ich hatte eben Glück. Das Auto bog gerade zur rechten Zeit um die Ecke.“
„Diese Frau Richter tut mir leid. Aber wenn du nicht gewesen wärst, wäre sie sicher tot.“
„Weiß nicht, was besser ist. Auf ewig im Koma zu liegen oder zu sterben. Bin mir also gar nicht sicher, ob ich da etwas Gutes getan habe.“
„Aber natürlich, mein Schatz! Du hast das Richtige getan. Daran darfst du nicht zweifeln!“
„Ich würde alles darum geben, wenn sie wieder ins Leben zurückkehren könnte.“
„Du hast ihr die Chance bewahrt. So musst du es sehen.“
„Versuch ich ja. Aber die Ärzte …“
„… sind keine Götter. Bei Tante Christel haben sie sich auch geirrt mit ihren Prognosen. Sie wird bald siebzig, dabei haben sie ihr damals nicht mal die Chance eingeräumt, den dreißigsten Geburtstag zu erleben.“
„Vielleicht sollten wir eine Messe für sie lesen lassen. Wenn so viele Gläubige für sie beten …“
„Ja, mein Held, tu das! Und ein kleiner Wink an die Presse kann da auch nicht schaden.“
„Damit hab ich dann aber nichts zu tun.“


***

Albert ist gerade auf einer Wahlveranstaltung und erzählt zum tausendsten Mal die Geschichte seiner Heldentat, als einer seiner Adjutanten ihm einen Zettel auf die Bühne reicht. Albert reagiert unwillig, doch als er einen Blick auf die Notiz geworfen hat, wird er bleich und unterbricht seine Rede. Er denkt einen Augenblick nach und wendet sich dann erneut ans Publikum.
„Meine Damen und Herren, eben erreicht mich die Nachricht, dass Frau Emma Richter aus dem Koma erwacht ist. Sie werden verstehen, dass ich sofort zu ihr muss und deshalb diese Veranstaltung umgehend verlasse.“
Es dauert keine drei Minuten, dann ist Albert unterwegs zum Krankenhaus, in dem Emma liegt.
Die Ärzte wollen ihn nicht zu ihr lassen. Obwohl Frau Richter bereits seit drei Tagen wieder bei Bewusstsein ist, wollen die Verantwortlichen kein Risiko eingehen. Aus ebendiesem Grund haben sie die freudige Nachricht zurückgehalten. Die Presse ist noch nicht informiert und Albert hat nur durch die Indiskretion eines Pflegers, der ein Parteifreund ist, davon erfahren.

Herr Schwiers reagiert sehr heftig auf die Abweisung, besteht vehement auf einer Begegnung mit der Patientin, versteigt sich gar zu der Behauptung, es gehe um Leben und Tod. Schließlich haben die Ärzte ein Einsehen und erlauben einen Besuch, wenn Frau Richter ihrerseits damit einverstanden ist. Auf Nachfrage bei ihr findet ein Treffen statt, und da beide auf einem Vieraugengespräch bestehen, sitzt Albert endlich allein an Emmas Bett.

Zunächst schweigen sie sich an.
„Du weißt Bescheid?“, eröffnet Albert das Gespräch.
„Man hat mir gesagt, dass es an ein Wunder grenzt. Niemand hat damit gerechnet, dass ich wieder aufwache. Du wohl auch nicht.“
„Ich habe es gehofft. Und darum gebetet.“
„Und hattest keine Angst? Dass die Wahrheit ans Licht kommt, wenn ich aufwachen sollte?“
„Schon, aber da lässt sich doch sicher was machen?“
„Zuerst muss ich es verstehen. An den Tathergang erinnere ich mich nur verschwommen, aber was man mir erzählt hat, stimmt auf keinen Fall.“
„Es ist meine Version der Geschichte, und ich weiß, dass es so nicht gewesen ist. Es tut mir unendlich leid, dass diese falsche Story nun in der Welt ist.“
„Du hast also erzählt, dass ich …“
„Ja, dass du das Opfer warst, und ich der Retter.“
„Dabei war es doch umgekehrt. Die hätten dich fertiggemacht, wenn ich nicht dazwischengegangen wäre. Das Messer sah verdammt gefährlich aus.“
„Ich weiß, und ich bin dir ewig dankbar dafür. Die haben mir nicht geglaubt, dass ich nur 20 Euro dabei hatte. Ich war vor Todesangst wie paralysiert.“
„Was ist passiert, nachdem ich dem einen mit meiner Krücke eins über die Rübe gezogen hab?“
„Sie haben von mir abgelassen und auf dich eingeprügelt. Als du am Boden lagst, hat einer dir mit voller Wucht ins Gesicht getreten. Ich habe mich auf ihn gestürzt, aber es war schon zu spät. Dann kam das Auto und sie sind abgehauen.“
„Manno, das war ein Ding! Ich hab gar nicht lang überlegt, ich kann dieses Saupack sowieso nicht ausstehen.“
„Ich glaube, dass ich dir mein Leben verdanke. Ich stehe tief in deiner Schuld.“
„Davon später. Jetzt möchte ich erst noch wissen, wieso du dieses falsche Zeugs erzählt hast. Das ist doch hirnrissig. Warst wohl sicher, dass ich nie die Wahrheit erzählen kann.“
„Nein, so war es nicht. Nicht ich habe diese Version erfunden, man hat sie mir in den Mund gelegt. Es sah alles danach aus, dass du als Pennerin das Opfer warst. Ich war noch so benommen und hab einfach nur genickt und Ja gesagt. Und dann konnte ich nicht mehr so einfach zurück.“
„Und was machen wir nun, wir beide?“
„Ich möchte nur ungern als Lügner dastehen, das wäre das Ende meiner Karriere als Politiker. Können wir das nicht anders aus der Welt schaffen?“
„Ich möchte Medienrummel ebenfalls vermeiden. Wird sowieso schon schlimm genug, wenn die erfahren, dass ich wieder unter den Lebenden weile.“
„Wie kann ich mich dafür erkenntlich zeigen. Sag eine Summe.“
„Geld interessiert mich nicht. Das kann ich mir erbetteln.“
„Was dann? Hab keine Scheu.“
„Was wir brauchen, ist ein Dach über dem Kopf. Du bist doch Politiker. Sorg dafür, dass wir ein Obdachlosenheim in der Stadt bekommen. Ist sowieso eine Schande, dass es noch keins gibt. Wenn du versprichst, dafür zu sorgen, werde ich dich nicht als Lügner bloßstellen. Werd‘ einfach sagen, ich kann mich an nichts erinnern.“
„Und wie kann ich sicher sein …?“
„Du hast mein Wort, so wie ich das deine. Abgemacht?“
„Abgemacht.“

So behielt die Stadt ihren Helden und erhielt darüber hinaus nach drei Jahren Genehmigungsphase und Bauzeit ein komfortables Obdachlosenheim. Auch für dieses Projekt erhielt Herr Schwiers beste Kritiken in der Presse. Darüber hinaus rechnete man es ihm hoch an, dass er darauf verzichtete, wie vorgeschlagen, dem Bauwerk seinen Namen zu leihen, und es stattdessen auf Emma-Richter-Asyl taufte.
Die drei Skinheads wurden nie gefasst.


© Marcel Porta, 2016
Version 2

Letzte Aktualisierung: 24.10.2016 - 22.13 Uhr
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