Alles fing damit an, dass Tom im Matheunterricht auf- und abrunden musste. Da hatte er plötzlich diese Idee, und sie lieĂ ihn nicht mehr los. Nur mit Computer-Ecki konnte er darĂŒber reden. Mit niemandem sonst. Schon gar nicht online. Es brauchte viel Ăberredungskunst, bis Ecki sich in das Freizeitbad bemĂŒhte.
âAlter, was kann so wichtig seinâ, begrĂŒĂte er den zwei Jahre JĂŒngeren, der ihm die schon lĂ€nger wartende Cola hinschob und gleich mit der TĂŒr ins Haus fiel: âHast du dir schon mal Gedanken ĂŒber KontoauszĂŒge gemacht?â
Ecki verschluckte sich, so blöd war die Frage.
Tom wartete geduldig ab, starrte ihn hochkonzentriert durch die dicken BrillenglĂ€ser an: âIch bin da auf 'was gestoĂen. Hochinteressant. Wieviele Nachkommastellen stehen auf KontoauszĂŒgen?â
âDu bist echt voll daneben. Zwei natĂŒrlich.â
Tom grinste zufrieden: âEben. Und jetzt sagâ mir doch mal bitte, wieviel 3,75 Prozent von z.B. 4.515,00 Euro sind.â
Ecki tippte die Zahlen und die Formel âplus Betrag durch Hundert mal Prozentâ in sein Smartphone: â169,3125 Euro. Ja und?â
âIst nur scheinbar einfach. Rundest du bei einer FĂŒnf auf oder ab?â
âAuf natĂŒrlich.â
âUnd was steht auf dem Kontoauszug? 169,31 Euro ja?â
Sehr langsam begann Ecki zu begreifen und strich sich die langen, dĂŒnnen Haare aus der Stirn.
âEcht geilâ, stöhnte er und hauchte, schon rechnend: âWo bleiben die weniger als ein Cent?â
âGenauâ, fixierte ihn Tom. âIch sagte ja, hochinteressant.â
âMoment mal: Aufrunden ja, aber was ist mit den Abrundungen? HĂ€lt sich das nicht die Waage?â
âBedingungsformel. GrundsĂ€tzlich aufrunden.â
Eckis Gehirn arbeitete mit Hochdruck:âWas schĂ€tzt du, wie viele solcher DatensĂ€tze laufen bei einer ganz normalen Bank tĂ€glich durch? Tausend? Das wĂ€ren dann bei den Zahlen 2,50 Euro â nicht gerade viel, im Monat weniger als 100 Euro.â
Tom konterte: âUnd genau deshalb merken die das nicht.â
Beide nuckelten an ihrer mittlerweile schalen Cola und sahen sich von Zeit zu Zeit rechnend in die Augen. Selten ganze SĂ€tze.
âKeine Publikation mit vielen Nachkommastellen.â
âWas nicht existiert, kann nicht vermisst werden.â
âIst nicht strafbar.â
Unisono spuckten sie ihr Fazit heraus: âWelche Bank?â
Tom war schneller: âHauptsache deutsch oder hast du Bock auf Englisch oder Französisch?â
Am nÀchsten Tag trafen sie sich wieder, diesmal bei den viel begafften Seehunden im Zoo. Es ging nicht mehr um das Ob, nur noch um das Wie. Nicht die geringste Spur durften sie hinterlassen. Tom war zu dieser Zeit schon ziemlich besorgt, aber Ecki beruhigte ihn:
âDie haben wahrscheinlich alle EDV von Anno Knax! Die sind einfach zu groĂ. Die können nicht mal irgendwas schnell Ă€ndern.â
Das ĂŒberzeugte Tom, in der Schule war es ja nicht anders. Nur veralteter Kram.
Die Hardwareprobleme waren ratzfatz gelöst: Beibehaltung der bisherigen GerĂ€te und IDâs und so tun, als sei gar nichts, d.h. regelmĂ€Ăig zu den gewohnten Zeiten die ĂŒblichen Seiten aufrufen.
âIch schreibâ uns 'ne verdeckte Datei, die spielt fĂŒr unsâ, erklĂ€rte Ecki.
Die gewohnten Smartphones nur noch fĂŒr Normales. Neue, geheime Handies mit Prepaid, und zwar so alt wie möglich. Je weniger der Chip kann, desto weniger kann er kontrolliert werden. Flohmarkt, da fragt niemand woher und wohin. Sogar ein gebrauchtes Tablet ergatterten sie.
âUnd wir holen uns 'ne alte Festplatte vom ElektromĂŒll, der nach Afrika soll. Die Leute löschen doch nie ihre Daten richtigâ, schlug Tom vor.
Ecki war begeistert: âVielleicht können wir 'ne ID klauen, um ein Konto einzurichten! Bringâ mit, was du kriegen kannst.â
Hochzufrieden lasen sie in Opas Schrebergarten â doch, auch dort gibt es Strom - eine Unmenge an Daten aus den MĂŒll-Festplatten heraus und lachten sich kringelig ĂŒber die NaivitĂ€t der Leute; sogar Ă€uĂerst private, pikante Bilder fanden sie. Jedenfalls lieĂen sich problemlos Avatare schaffen. Unter falschen Namen wurden sie die Enkel einer Omi, die jeden Sparpfennig ihren Lieblingen zukommen lieĂ. Die alte Dame eröffnete freundlicherweise sogar ein Auslandskonto fĂŒr ihre HerzblĂ€ttchen mit der Betreffzeile âZukunftssicherungâ. Einige Zeit stritten sich Ecki und Tom ĂŒber ein âsâ oder zwei âsâ, bis sie entschieden, dass die Oma Probleme mit der Rechtschreibung hat.
Das eigentliche Problem war erheblich schwieriger zu lösen. Tagelang musste Ecki in der Finanzbuchhaltung einer kleinen Bankfiliale herumstochern, bis er endlich herausbekam, dass alle dortigen Daten von einem bankeigenem Rechenzentrum generiert wurden. Von Buchhaltung hatten weder er noch Tom irgendeine Ahnung.
âWieso lernen wir das eigentlich nicht in Mathe? Isâ doch viel nĂŒtzlicher als irgendwelche Hyperbelnâ, empörte sich Tom.
Dann der Durchbruch.
âGeil. Die Bank war ja relativ easy, aber das RZ? Da sind echte Profisâ, freute sich Ecki. Endlich richtige Gegner!
âLassâ uns die Sache vergessen, war ja nur so âne Ideeâ, wollte Tom tatsĂ€chlich die Hackerei abbiegen.
âNever ever. Ich kommâ ĂŒberall rein, weiĂt du doch, brauchâ nur noch 'n bisschen Softwareâ, klapperte Ecki auf der Tastatur.
Zwei Tage spÀter war er im Rechenzentrum.
âDa! Da ist sie! Das ist die Auf- und Abrundungsformel!â So schrill hatte Tom Eckis Stimme noch nie gehört.
âHabâ ich dich! Du wirst nie wieder abrundenâ, brĂŒllte Ecki und tötete einen Teil der hinterlegten Formel.
âUnd jetzt legâ ich uns unter âAuszubuchende Postenâ ein Unterkonto eines Unterkontos an. So kleine BetrĂ€ge werden garantiert nicht kontrolliert.â Ganz sicher war er sich nicht, aber dann:
âHat er gefressen! Hat er tatsĂ€chlich akzeptiert! Wow, bin ich gut! Give me five! Jetzt noch die automatische Weiterleitung. Keine Ansammlung gröĂerer BetrĂ€ge. Wenn das Konto zu den PrĂŒfzeiten regelmĂ€Ăig dauerhaft auf fast Null steht, merkt kein Schwein was! Aktivieren geht aber erst nach dem nĂ€chsten Upload bei denen.â Ecki war zum ersten Mal richtig nassgeschwitzt, was Tom sehr beunruhigte.
So hatte alles angefangen. Genau so.
âBist du sicher, dass wir wirklich an alles gedacht haben?â Tomâs Brille beschlĂ€gt, so aufgeregt ist er.
âHundertpro. Start ja oder nein? War ja deine Ideeâ, antwortet Ecki. Seine langen, dĂŒnnen Haare kleben schweiĂnass an Kopf und Nacken.
âWenn du absolut sicher bist, dann okâ, antwortet Tom tapfer; er will nicht kneifen.
Ecki drĂŒckt entschlossen auf âEnterâ: âDie machen jetzt ihren Upload und wir sind dabei! Mann, wir sind echt dabei jetzt! Mitten drin!â
Sie keuchen, regelmĂ€Ăiges Atmen ist nicht mehr möglich. Wird die EDV der Bank ihren winzigen Eingriff bemerken?
Der Upload ist beendet. Gebannt starren Tom und Ecki auf den Bildschirm: Rasant sammeln sich auf dem Zwischenkonto Cents, mutieren zu ganzen EurobetrĂ€gen, in kurzer Zeit schon dreistellig. Ebenso schnell werden die Summen âkleiner EUR 99,00 gröĂer EUR 25,00â in Ausland transferiert. Oma sei Dank!
Kaum sind die ersten 100 Euro erzielt, tanzen die beiden mit Indianergeheul um das Tablet vom Flohmarkt. Sie können sich gar nicht mehr einkriegen. Nach einer Weile aber bleiben sie ernĂŒchtert stehen: Was sollen sie mit so viel Geld? Es hört nicht auf, es wird sekĂŒndlich immer mehr. Geld, das es eigentlich gar nicht gibt! Das es zu erklĂ€ren gilt.
âSo viel kann keine Oma auf der ganzen Welt sparen! Brichâ abâ, bittet Tom instĂ€ndig und trocknet seine Brille.
âGeht nicht. Die GroĂrechner haben 'ne Logikroutine. Jedes extreme Minus oder Plus löst ein Kontrollprogramm aus. Jetzt haben die sich an unsere KleinstbetrĂ€ge gewöhnt.â
âDann muss der ScheiĂ eben ganz schnell irgendwohin. Was nicht da ist, kann auch nicht auffallen. Und wenn wir nichts fĂŒr uns behalten, sind wir auch nicht strafbarâ, argumentiert Tom.
âStimmtâ, gibt Ecki nach lĂ€ngerem Nachdenken zu. âKein Eigennutz. Isâ aber unfair, wenn wir das nur bei einer Bank machen, finde ich.â
âKlarer Wettbewerbsnachteilâ, entscheidet Tom.
Seitdem bekommen die verschiedensten Organisationen und Einzelprojekte auf der ganzen Welt viertelstĂŒndlich kleine Spenden von Omi. Sogar deutsche Schulen und SchwimmbĂ€der werden bedacht. Die EDV weltweit hat bislang kein Problem damit, die BetrĂ€ge sind zu klein, um prĂŒfwĂŒrdig zu sein.
Letzte Aktualisierung: 24.11.2016 - 07.28 Uhr Dieser Text enthält 8316 Zeichen.