Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Eine klitzekleine Kleinigkeit | November 2016
Holla, die Waldfee
von Andreas Schmeling

Mein Name ist Holla und ich bin eine Waldfee. Ja, ja, lachen Sie nur. Ich kenne jede angeblich so witzige Bemerkung über meinen Namen. Und mit inzwischen 578 Jahren auf dem Buckel, hatte ich eine ganze Menge Zeit für das Anhören von dummen Sprüchen.
Wir Waldfeen können nämlich ziemlich alt werden. Wenn wir nicht aus Versehen von einem trotteligen Ork oder einem übermotivierten Pilzesammler totgetreten werden, schaffen wir locker mehrere Jahrhunderte. Übersehen werden und dadurch umkommen ist übrigens die häufigste nicht natürliche Todesursache unter uns Waldfeen. Das passiert schnell, wenn man nur um die 20 Zentimeter groß ist. Meine Urgroßtante Brunhilde von Zwackelmann ist dagegen in die Annalen der Waldfeen eingegangen, weil sie sich nicht hat tottreten lassen, sondern sich aus Versehen in rosa Brausepulver verzaubert hat. Was musste sie auch die Silben der Zaubersprüche durcheinanderbringen. Dumm, wenn die Waldfee mit der grünen Fee zu tief in das Absinthglas schaut…

Als ich geboren wurde, wie gesagt vor 578 Jahren, war in Europa gerade das Mittelalter zu Ende. Nun, jedenfalls nach der heute gültigen Zeitrechnung der Historiker. Die Menschen damals steckten noch tief und fest im Aberglauben. Ich frage mich manchmal, ob sich seitdem überhaupt viel geändert hat. Gut, die Menschheit benutzt jetzt Handys und Toilettenpapier, rast mit kleinen Blechkisten durch die Gegend (übrigens auch wieder so eine typische Todesursache für uns Waldfeen) oder glotzt den lieben langen Tag auf ihre Smartphones.
Aber in Sachen Verstand hat sich seitdem die menschlichen Vorfahren von den Bäumen geklettert sind, nicht viel verändert. Aber das wollte ich gar nicht erzählen, ich wollte auf etwas ganz Anderes hinaus.

Zunächst muss ich mich beschweren. Bitte, es nervt mich wirklich. Rufen Sie nie wieder: Holla, die Waldfee. Das ist total lästig für mich, denn es ist mein Anrufungszauber. Immer wenn jemand - nein, ich sag es jetzt nicht, sagt, spüre ich einen unendlichen Drang, zu der Person hinzujagen. Über Stock und Stein geht dann die Reise, über Felder, Wiesen und Autobahnen. Erwähnte ich eigentlich schon meinen schlechten Erfahrungen mit diesen kleinen, schnellen und unaufmerksamen Blechkisten? Egal, der Anrufungszauber zwingt mich, den Ausrufenden schnellstmöglich aufzusuchen.
Und wenn ich dann dahin gerast bin, was ist dann? Da stehen zwei Typen und der eine sagt: „Guck mal, mein neues, tolles, tiefergelegtes und extrem teures Luxusauto“. Daraufhin der Andere: „Holla, die Waldfee“.
Ich frage Sie jetzt ganz im Ernst: Was habe ich mit Superautos, überhöhten Preisen oder sonstigen, unerwarteten Überraschungen am Hut? Ich habe nämlich gar keinen Hut! Ich will auch gar keinen Hut, keinen Seniorenteller und schon gar nicht will ich mit derartigen Belanglosigkeiten belästigt werden!

Wenn Sie ihr Erstaunen, ihre Wut, ihr Unverständnis ausdrücken wollen, dann habe ich ein paar alternative Vorschläge für Sie. Suchen Sie sich einfach das für Ihren Bildungsstand passende heraus:
Ohje
Hört, Hört
Alter Schwede
Ich fass es nicht
Boah, eyh
Krass
Konkret krass
oder
Digger, konkret krass, Alder

Auch für religiöse Menschen habe ich Vorschläge:
Heilige Scheiße
Heiliger Strohsack
Heiliger Bimbam

Militaristen werden eher das
Heilige Kanonenrohr bestaunen

Cineasten bevorzugen vielleicht:
Ich glaub, mich knutscht ein Elch oder
Nein, doch, ohh

Kleine Kinder wollen dagegen bestimmt Bauklötze staunen, wohingegen die Physiker ihre Verblüffung am Manometer ablesen können.

In Küstennähe könnte man „Au ha“ sagen. Immer vorausgesetzt, man findet einen Norddeutschen, der zu solch umfangreicher Gefühlsäußerung überhaupt fähig ist!

Sie sehen, Sie sind nicht auf „Holla, die Waldf..“ angewiesen. Es gibt so viele Alternativen. Nutzen Sie diese bitte und erleichtern Sie mir meine Arbeit als Waldfee.

Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen, was Waldfeen überhaupt den ganzen Tag machen. Also zum einen sitzen wir rum und passen gut auf, dass uns niemand tottritt. Dabei lauschen wir, ob jemand unseren Namen ruft. Ansonsten machen wir weiter mit dem Rumsitzen. Ab und zu ist ja tatsächlich unsere Anwesenheit erwünscht. Wir Waldfeen helfen, wo wir können. Denn als Fee an sich und als Waldfee insbesondere sind wir liebenswerte, freundliche Wesen und Glücksbringer. Böse Feen gibt es nur im Märchen. Sie ahnen ja gar nicht, wie sehr die Brüder Grimm unserem Ruf geschadet haben. Lächerlich, diese ganze Geschichte um die verzogene Göre Dornröschen, völlig falsch wiedergegeben und total tendenziös aufgeschrieben.
Wissenschaftlich erwiesen ist dagegen unsere Funktion als Helfer in der Not zum Beispiel bei Peter Pan, Pinocchio oder den glückssuchenden Herrn Rossi. Dem Kasperl aus Räuber Hotzenplotz sind wir ewig dankbar, weil er die Fee Amaryllis befreit hat. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum der Herr Preußler mit keinem Wort erwähnt hat, dass Amaryllis nicht nur eine Fee, sondern sogar eine Waldfee ist.

Besonders große Exemplare unserer Gattung haben es sogar ins Fernsehen geschafft. In der Regel arbeiten wir dort als Wetter- oder Lottofeen, wobei das unserer Oberfee Morgana da drüber in Avalon nicht in den Kram passt. Aber die treibt sich sowieso lieber mit Rittern herum und hat für die Sorgen und Nöte der einfachen Waldfee kein Ohr.

Wenn Sie eine Fee für alles brauchen, rufen Sie mich ruhig an. Sie wissen ja nun, wie das geht. Ich werde dann sehen, was ich in Glücksdingen für Sie tun kann. Damit habe ich allerdings genug am Hals und kann mich nicht auch noch um diese ganzen Fake-Anrufungen vor lauter Erstaunen kümmern.

Ich bin übrigens nicht die einzige Waldfee, die sich über die vielen Anrufungszauber beklagt. Mein Halbbruder Hossa, der Waldfeerich, lebte ruhig und zufrieden hinter den sieben Bergen bis ein gewisser Rex Gildo seine Fiesta Mexicana besang. Seitdem ist Hossa, Hossa der Schlachtruf der Schlagerdeppen. Wissen Sie, was mein lieber Halbbruder zum Karneval zu tun bekommt? Im Sommer lebt er seit Jahren fast durchgehend am Ballermann, weil er dort ständig von Horden besoffener Kölner Kegler angerufen wird. Als ich ihn das letzte Mal am Brocken sah, war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Gut möglich, dass das dort unter den ganzen Schatten in der Walpurgisnacht nicht weiter aufgefallen ist, aber ich mache mir schon ein paar Sorgen um ihn. Wenn ich wieder am Ballermann vorbeikomme, muss ich ihm dringend einen schützenden Talisman geben. Vielleicht hilft aber auch eine Packung Ohropax, damit er dieses ganze Gekreische und Gegröle nicht mehr hört.

Allerdings profitieren einige von uns Waldfeen auch davon, dass sich die Sprache weiterentwickelt. In den 50iger bis 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts musste alles immer Husch Husch gehen. Da war meine Großcousine Husch, die Waldfee entsprechend beschäftigt. Seit einigen Jahren geht es etwas lässiger zu. Husch Husch ist nicht mehr an jeder Ecke zu hören. Die Leute fahren jetzt auch kaum noch mit Husch Husch, der Eisenbahn. Entweder sind alle in den kleinen Blechkisten unterwegs oder kommen nicht im Traum darauf, Husch und Bahn in einem Satz zu nennen.
In der Arbeitswelt und auf der Straße muss es allerdings weiterhin Husch Husch gehen. Aber kaum jemand benutzt zum Glück noch die Wörter Husch Husch, sondern alle sind on the run oder total busy.

Aber das wollte ich Ihnen eigentlich alles gar nicht erzählen, vielmehr wollte ich…
Ach nein, nicht jetzt! Es hat schon wieder jemand nach Holla der Waldfee gerufen. Schade, ich muss weg. Hoffentlich ist das nicht wieder so ein sinnloser Einsatz. Ärgerlich, aber vielleicht sind Sie ja auch demnächst wieder hier anzutreffen. Dann erzähle ich Ihnen endlich, was ich schon die ganze Zeit über sagen wollte.







Letzte Aktualisierung: 16.11.2016 - 19.33 Uhr
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