Sexlibris
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Wo ist die Grenze zwischen Pornografie und Erotik? Die 30 scharfen Geschichten in diesem Buch wandeln auf dem schmalen Grat.
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Spiekeroogyssee

Kapitel 09 - Das Buch

Mo, 01.06.2009, 11.00 Uhr

Sie kamen an einem sonderbaren Holzverschlag vorbei, den keiner der anderen Insulaner beachtete. Der Alte bat Lara und Sven, stehen zu bleiben. Als die Menschen sich entfernt hatten, zog er aus seinem verschlissenen Kittel ein Metallwerkzeug hervor, mit dem er die Tür des Verschlags ohne Probleme öffnete. Innen flammte ein phosphoreszierendes Licht auf. Vorsichtig traten die Drei ein und Mike schloss die Tür. Das weiße Licht, ähnlich dem, das über die Kugeloberfläche gelaufen war, zeigte ihnen eine Art Zahnarztstuhl, auf dessen Sitzfläche ein Helm mit vielen Kontakten lag.

Mike runzelte die Stirn. »Hab ich mir's doch gedacht!« In seiner Stimme lag eine Mischung aus Zorn und Resignation. »ER versucht es tatsächlich!« Seine abgearbeitete Hand strich über eine der Armlehnen, »Ihr seht hier einen Traum-Aufzeichner!«
Lara war es, die als Erste den Mut fand, sich die fremdartigen Dinge anzusehen.
»Was macht man damit?« fragte sie schüchtern und machte Anstalten, den Helm aufzusetzen.
Mike schlug ihr das Ding aus der Hand, fing es aber auf, bevor es auf den Boden fallen konnte.
»Bloß nicht!«, entfuhr es ihm. »Wenn wir den Aufzeichner nicht unter unserer Kontrolle haben, ist es viel zu gefährlich, damit zu arbeiten.«

Er deutete auf eine große Metallkiste an der Stirnwand des Holzverschlags. Der Sperrriegel bot seinem Werkzeug keinen nennenswerten Widerstand. Mike klappte den Deckel hoch und sah hinein. Auch das Innere der Kiste wurde von etwas versperrt: eine prunkvoll gearbeitete Eisenplatte, die den weiteren Zugang in die Kiste verwehrte. Dieses Mal sollte sein Werkzeug nicht ausreichen, um die schwere, mit Rosen verzierte Platte zu bezwingen. Vorsichtig tastete Mike die Verzierungen ab, wanderte dabei mit seinen Fingerkuppen von einer Metallrose zur nächsten, bis er spürte, dass einer der Rosenköpfe unter dem Druck seines Fingers seitlich nachgab. Mike schob den Rosenkopf langsam zur Seite, bis ein gewöhnliches Schlüsselloch sichtbar wurde. Sven und Lara sahen gebannt über Mikes Schulter.
»Natürlich«, erinnerte sich Lara. »Wo hast Du den Schlüsselring, den Du in der Verona gefunden hast?«
Hastig durchsuchte Sven seine Hosentaschen und zog den Schlüssel an dem Ring hervor.
»Mike, lass mich mal versuchen.«

Sven führte den Schlüssel in das Loch und drehte ihn behutsam nach rechts. Mit einem Ruck sprang das Schloss auf, und die Eisenplatte schwang wie von Geisterhand auf. Er blickte von Lara zu Mike, der ihm bedeutete, die Platte ganz hochzuklappen. Svens Hände zitterten, doch er hielt die oberen Kanten fest und drückte den Deckel mit einem Ruck nach oben. Der Anblick raubte ihnen den Atem: ein Buch mit Ledereinband, dessen Mitte mit arabischen Schriftzeichen versehen war, die Mike offenbar kannte.
»Das Buch der sieben Schlüssel«, flüsterte er und hielt Sven an den Handgelenken fest, »Es wurde hier versteckt, um dem Missbrauch des Traum-Aufzeichners vorzubeugen.«
Lara fasste Mike an den Schultern: »Soll das heißen, dass wir mit diesem Buch in der Lage sind, den Traum-Aufzeichner zu kontrollieren?«
»Wenn wir mithilfe des Buches den Traum-Aufzeichner in Gang setzen, werden DIE uns folgen und vernichten«, sinnierte Mike. »Es ist paradox: Mit dem Buch können wir zwar den Traum-Aufzeichner kontrollieren, aber das löst eine Kette von Ereignissen aus, die uns für immer zu ihren Gejagten macht.«

Er hielt inne und kniete sich resigniert neben die Kiste.
»Mike, Du musst uns sagen, was der Traum-Aufzeichner bewirkt«, drängte Sven. »Wenn DIE uns verfolgen und vernichten würden, weil wir ihn benutzen, muss sich dahinter etwas verbergen, das unglaublich wertvoll ist. Und ich bin viel zu neugierig, als dass ich auf die Enthüllung dieses Geheimnisses verzichten würde. Mike, sieh es doch mal so: Du wirst einmal als unser Sohn geboren. Ohne uns gäbe es Dich nicht ...«
»... das ist nicht ganz richtig. Aber das erkläre ich Euch später.« Mikes Gesicht schien mit einem Mal weiter zu altern, doch seine greisenhaften Gesichtszüge umspielte ein kindliches, beinahe schelmisches Lächeln.
»Also gut, aber lasst mich das Buch aus der Kiste nehmen, mich werden DIE nicht so schnell orten können. Seid Ihr bereit?«

Sven und Lara wagten vor Aufregung kaum zu atmen und nickten Mike bereitwillig zu. Mike beugte sich über die Kiste, griff mit beiden Händen nach dem Buch und zog es sacht heraus. Es war in erstaunlich gutem Zustand, so als wäre es konserviert. Mike schaute zu seinen jugendlichen Eltern auf, die darauf warteten, dass er endlich das Buch aufschlug und sie dem Mysterium um den Traum-Aufzeichner näher kamen. Erst jetzt bemerkten Sven und Lara einen Ring an Mikes linker Hand, dessen kugelrunder, blau gefärbter Stein zu leuchten anfing. Sven warf Lara einen ängstlichen Blick zu, den sie mit einem hilflosen, kaum merklichen Schulterzucken beantwortete. Mike schien sie beide völlig vergessen zu haben und starrte auf das wertvolle Buch in seinen Händen. Sein Gesicht, das eben noch greisenhaft gewirkt hatte, begann sich zu plötzlich zu glätten und der entschlossene Zug um seinen Mund wich einem weichen Lächeln.

»Mike? Was ist mit dir?«, fragte Lara beunruhigt. Er schien sie nicht zu hören.
»Mike!«, rief sie nun eindringlicher. Langsam hob dieser den Kopf und wandte sich wie aus einer anderen Welt kommend zu ihr. Erschrocken griff sie nach Svens Hand und presste ihre feuchten Finger um die seinen. Sie beobachteten beide gebannt die Veränderung, die mit dem alten Mann vor sich ging.
»Sieh nur«, wisperte sie Sven mit brüchiger Stimme zu. Mikes Kugelring glimmte in einem gleißenden Schein wie ein blauer ... wie DER blaue Asteroid. Dann füllte das Licht infernogleich den ganzen Holzverschlag aus. Schemenhaft sahen sie, wie sich seine Gestalt in sich selbst zurückzuziehen schien. All das vollzog sich in einer unwirklichen Geräuschlosigkeit. Sven verdeckte seine geblendeten Augen, Lara schrie auf und barg ihr Gesicht an seinem Rücken. Dann schauten sie auf.
Vor ihnen stand ein kleiner hagerer Junge mit dunklem, strähnigem Haar. Er mochte etwa viereinhalb Jahre alt sein. Zutraulich hielt er ihnen das Buch entgegen. »Da«, sagte er. Sven reagierte geistesgegenwärtig. »Danke, du halbe Portion«, erwiderte er leise und nahm den Einband. Das Kind huschte eilig durch die Tür des Holzverschlages ins Freie.
»Oh, Sven«! Was machen wir denn jetzt?«, jammerte Lara. »Wie sollen wir ohne Mike den Traum-Aufzeichner bedienen?«
»Warte!«, rief Sven ungeduldig. Das alte Buch zog ihn magisch an.
»Ich werde einfach nachsehen«, sprach er mehr zu sich selbst als zu Lara.
»Nein!«, Lara war außer sich. »Tu das nicht, wer weiß, was mit dir passiert.«
Aber es war zu spät.
Verwirrt blickte er auf die erste vergilbte Seite des Buches der Sieben Schlüssel. Dort stand ein Wort. Es waren keine arabischen Buchstaben. Er konnte das Wort mühelos entziffern: »Drehbuch« stand dort.
Svens Stimme klang andächtig, aber bestimmt, als er den Titel des Buches halblaut las: »Drehbuch!«

Es entstand eine fast feierliche Stille. Keiner von beiden rührte sich. Eine knisternde Atmosphäre breitete sich im Raum aus, bis Lara laut und mit rauer Stimme rief: »Drehbuch? Was denn für ein Drehbuch?« Die Gedanken rotierten in ihrem Kopf: Wie war das alles geschehen? Wie um alles in der Welt konnte sie die Zusammenhänge begreifen?
Ihre innere Aufruhr steigerte sich noch, als sie fassungslos zusah, wie gelassen Sven dem Buch seine Aufmerksamkeit widmete.
»Setz dich hin und blättere weiter!«, schrie sie, um ihrer Angespanntheit Luft zu verschaffen. Vielleicht würde ja die weiteren Seiten die Gewissheit verschaffen.
Sven erwachte durch ihren Schrei aus einem beinahe tranceartigen Zustand, sah sich suchend um und setzte sich mit einer katzenhaften Bewegung auf einen wackeligen Schemel. Sein Blick glitt zurück zu den magisch schön verzierten, mit Blattgold unterlegten Schriftzeichen.
Gerade als er mit seinem Zeigefinger die obere Ecke der ersten Seite berührte, um diese umzublättern, spürte er, dass irgendetwas draußen vor der Hütte war.
»Pst!«, wisperte er zu Lara. Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Ihre Blicke richteten sich auf die Tür. Stille.
Sven stand auf, reichte Lara vorsichtig das Buch und sagte: »Ich werde nachsehen.«
Ein Schauder überlief Lara, ein Gemisch aus Angst und Bewunderung machte sich in ihrem Herzen breit. Seine ängstliche, unentschlossene Verzagtheit von gestern war wie weggeblasen. Dieser Sven mit seiner zielstrebigen, zupackenden Art beeindruckte sie. Wie schön und sicher er sich bewegt, dachte sie. Festen Schrittes ging er zur Tür, zögerte noch einen Moment, stieß sie dann aber kräftig auf. Niemand war zu sehen. Aber eine schwarze Wolkenwand bewegte sich mit rasender Geschwindigkeit auf sie zu. Mit einem Ruck warf Sven die Türe zu und sprang zu Lara.
»SIE kommen! Ich bin sicher, dass SIE es sind. Frag mich nicht, woher ich das weiß, aber wir müssen sofort weg hier!«

Er lief zu dem kleinen Fenster in der Seitenwand, öffnete es.
Mit so viel Schwung, dass der morsche Rahmen zerbrach, warf er sich hinaus.
Lara fragte sich noch, WAS sie eigentlich gerade bewundert hatte, da hörte sie schon Svens durchdringende Stimme: »Los, komm!«
Lara reicht ihm das wertvolle Buch, nahm die Hand, die er ihr hinstreckte und stieg, nicht ganz so überstürzt, ebenfalls aus dem Fenster. Mit dem Buch unter dem Arm und seiner Gefährtin an der Hand rannte Sven los. Die Wolkenwand kam unaufhaltsam näher. Lara drehte sich immer wieder um.

SIE machten sich selbst Wolken zu eigen, um Menschen zu verfolgen? Welche Macht besaßen SIE? Laras Angst wich mehr und mehr einer aufkeimenden Wut. Ihr Kampfgeist erwachte, und das unerschütterliche Wissen, jetzt genau das Richtige zu tun. Fester griff sie nach Svens Hand, der ihren Druck erwiderte.
Da entdeckte sie in einiger Entfernung einen großen, mächtigen, wirklich alten Baum. Ausruhen wäre jetzt gut! Alles in ihr sehnte sich danach.

Auch Sven hatte den Baum gesehen, und steuerte bereits darauf zu. Die Linde war mächtig, sah so unverbrüchlich und stark aus und der Sturm rauschte gewaltig in den Blättern, in denen die wenigen Lichtstrahlen, die die Wolkenwand noch durchdrangen, wie Hoffnungsschimmer zu spielen schienen. Warum habe ich diesen Baum noch nie gesehen, fragte sich Sven, aber es war nur einer von vielen Gedankenfetzen, die ihm durch den Kopf schossen. Sein Herz pochte rasend, verzweifelt biss er die Zähne aufeinander, um noch schneller zu laufen. Lara schien glücklicherweise schneller laufen zu können als er, sie zerrte bereits an seinem Arm, während seine Füße ihm nicht mehr richtig gehorchten. Er strauchelte, blickte an sich herunter und sah grau-schwarze Nebelschwaden, die wie Tintenfischarme seine Fußgelenke umschlangen. Gleichzeitig spürte er eine Eiseskälte in seinem Rücken und fühlte die schwarze Wolkenwand wie einen Magneten an seinem Innersten zerren. Lara blickte ihn flehentlich an und rief etwas, das er im ohrenbetäubenden Donnergrollen nicht verstehen konnte. Aber er hatte von ihren Lippen den rettenden Gedanken ablesen können: »Lass das verdammte Buch fallen!«

Er tat es, und nun war es leicht, den Baum zu erreichen, der ihnen seine untersten Äste rettend entgegenstreckte. Es war, als höbe er sie zugleich in die Höhe, während sie selbst, ohne sich umzublicken, kletterten und kletterten, sich gegenseitig höher zogen und schoben; einander folgend und helfend als sei da ein anderes, das für sie dachte und sie führte. Durch die Krone sahen sie Licht. Und es wurde still. Das Grollen war dem leichten und fast melodischen Rauschen der Blätter des Baumes gewichen. Lara setzte sich ruhiger atmend auf einen Ast und lehnte sich an den rauen Stamm. Sven blieb auf dem nächsten Ast stehen und schaute zurück. Dann setzte er sich neben sie. Ihre Schultern berührten sich. Sie zitterten noch, als sie auf die Dünen, den Strand und das blaugrüne und aufgewühlt schäumende Meer heruntersahen.

War es das sanfte Nachschwingen der Zweige oder die Erschöpfung und Erleichterung nach der tödlichen Bedrohung oder die gemeinsam empfundene Verlorenheit über der verwunschenen Insel und dem Meer, das sie rasch in einen tiefen Schlaf sinken ließ.

In der Melodie des schützenden Lindenbaumes träumte Sven von blauen Murmeln, die er als Kind so geliebt hatte, und von dem schweren Buch, wie es im Sand versank und von Laras Lächeln, bevor sie einschlief und von Mikes Gesicht, dessen Züge und Augen auch hätten Laras sein können.
Lara träumte von bedrohlichen Maschinen, die von hasserfüllten, wütenden Menschen gesteuert wurden, die höhnisch lachten und von einem kleinen, neunjährigen Jungen, den sie verfolgten, der aber so behände in einen Baum flüchtete, dass sie ihm nicht folgen konnten.


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