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Spiekeroogyssee

Kapitel 14 – Die Geburt

Mi, 03.06.2009, 9.30 Uhr

Im Inneren des Kokons bekamen Lara und Sven nichts von der Kälte mit. Lara löste sich als Erste aus der Umarmung. Lange sahen sie sich in die Augen.

»Was jetzt?« Sven zeigte auf die blauen Wände. »Wir sitzen in diesem Osterei fest, während draußen alles den Bach runter geh... - HE, wieso wird es hier auf einmal so nass?«
Lara sah an sich hinab. »Das kommt aus mir. Hilfe!« Hastig riss sie sich Jeans und Slip herunter. Eine Schockwelle, wie ein elektrischer Schlag, fuhr ihr vom Bauch bis in die Fingerspitzen; sie stieß einen Schrei aus und fiel nach hinten.
Sven nahm ihre Hand. »Was hast du?«
»Ich ... weiß nicht. Es fühlt sich an, als müsste ich, aber anders, es ...«
Ein glühender Schmerz durchzuckte sie und sie bäumte sich auf. Pipi, sie musste Pipi, und so dringend, aber hier vor Sven? Egal, es ging nicht anders; sie ließ es laufen. Etwas drückte von innen gegen ihren Leib. Eine neue Schmerzwelle zwang sie, den Bauch anzuspannen und zu drücken. Sie zog scharf die Luft ein, ihre Scheide brannte, als hielte jemand eine Fackel dagegen.
Sven starrte auf eine Stelle zwischen ihren Beinen. »Ich glaub's nicht, da guckt ein halber Kopf raus.«
Der nächste Stich ließ sie noch kräftiger pressen und sie fühlte, wie etwas Glitschiges aus ihr herausschoss.
Sven bückte sich und hob es auf. »Das kann nicht sein! Neun Monate, neun Tage, und jetzt braucht diese blaue Lichtglocke gerade mal neun Minu...«
»NEUN?!«
»Ist doch egal! Eine Geburt geht nicht so schnell!«

Das Neungeborene öffnete den Mund und schrie.
Lara hob den Kopf. »Zeig es mir! Ist es Mike?«
Sven bog vorsichtig die Beine des Säuglings auseinander. Sein Mund klappte auf.
»Was ist los, Sven? Sag es endlich.«
»Es ist - ein Mädchen. Schau, es wächst schneller als ein Brötchen im Ofen aufgeht. Das ist unmöglich!«
Lara zuckte zusammen. Neue Wehen zogen durch ihren Körper. Diesmal ging es noch schneller und ihr Körper spuckte ein zweites Glitschiges aus wie einen Kaugummi. Sven legte das Mädchen auf Laras Bauch und in diesem Moment fühlte sie eine erste Welle von Liebe sie durchfluten, wie es in kitschigen Frauenzeitschriften beschrieben wurde. Sie legte ihre Hand auf das Köpfchen, hob den Oberkörper, um es zu küssen ... und erstarrte.

Schwarze Augen funkelten sie an; abgrundtief böse Augen. Das Mädchen drehte sich auf die Seite, langte zur Nabelschnur, riss sie durch und rollte sich von Lara hinab. Dann richtete es sich auf - es hatte mindestens die Größe eines einjährigen Kindes erreicht - machte zwei tastende Schritte in Richtung der blauen Wand, hieb mit der Faust ein Loch hinein und verschwand.
»Wieso ...?« Lara setzte sich. Sie nahm Sven das zweite Kind aus der Hand. Ein Junge. Jeansblaue Augen in einem Engelsgesicht.
»Mama«, flüsterte er.

Vor Schreck hätte sie ihn beinahe fallen gelassen.
Neugeborene sprechen nicht!, dachte sie im postnatalen Delirium.
»Ihr müsst meine Schwester stoppen«, quäkte das Baby, »sie will zu IHNEN und mit ihrer Hilfe die Insel vom Meeresgrund lösen. Wenn das geschieht, ist Spiekeroog endgültig verloren.«
Lara schlug sich vor Schmerz, Erschöpfung und Entsetzen die Hand vor den Mund.
»Sven«, keuchte sie, »du musst hinter ihr her. Du musst sie zurückholen, bevor ein Unglück geschieht.«
Sven warf einen Blick auf seinen immer größer werdenden Sohn, der inzwischen eher wie ein Schulkind als wie ein Neugeborenes aussah.
»Sie hat recht Vater. Du musst sie finden und unschädlich machen.«

Sven gab seiner schweißgebadeten Freundin einen schnellen Kuss, dann drehte er sich um und tastete mit den Händen die blaue Wand des Kokons ab. Wo war das Loch, das das Kind hineingeschlagen hatte? Endlich fand er es. Mit beiden Händen riss er die Öffnung weiter auf, immer weiter und weiter ... bis er endlich hindurchpasste.

Er fand sich im Apothekerhäuschen wieder und entdeckte Frau Neune, die zusammengekauert am Rand des Pentagramms hockte. Ihre Augen waren unnatürlich weit geöffnet und Sven befürchtete schon, sie wäre tot, als sie plötzlich ihre schwache Stimme erhob: »Sven, was ist geschehen? Was war das für ein Kind?«
»Lara hat Zwillinge zur Welt gebracht«, antwortete Sven.
»Oh Gott«, stöhnte Frau Neune, »ich habe es befürchtet. Der Junge ist Mike, dein Sohn, Sven. Das andere Kind ist ein Mädchen, stimmt’s? Es ist die Tochter von IHM, von Bernd. Sie ist die Ausgeburt des Bösen, du musst sie töten, Sven.«
Sven nickte. »Sie ist in wenigen Minuten so schnell gewachsen, wie ein Kind normalerweise in drei, vier Jahren. Wie kann das sein, Frau Neune?«
»Das kann nur eins bedeuten, Sven. Die Kugel der Zeit ist aus ihrer Achse geraten«, antwortete die Apothekerin. »Geh hinaus zu Bernd, er weiß nun, wo die Kugel ist. Lass dich zu ihr führen und versuche, sie zurück in ihre richtige Lage zu bringen. Bernd wird dir helfen, denn noch ist das Böse nicht in sein Bewusstsein gedrungen.«
Frau Neune sackte erschöpft zurück, das Sprechen bereitete ihr große Mühe.

»Was soll ich zuerst tun, Frau Neune? Die Kugel suchen oder das Kind?«
»Such zuerst die Kugel, Sven. Mit der Kugel wirst du das Wachstum des Mädchens stoppen. Es wird sonst zu mächtig. Du kannst es nur besiegen, wenn es noch ein Kind ist. Ist es erst erwachsen geworden, hast du keine Chance mehr.«
Die Morgendämmerung war zurückgekehrt und warf einen fahlen Schein durchs Fenster der kleinen Apotheke.
»Du musst dich beeilen, Sven«, rief Frau Neune.

Sven drehte sich um zur Tür und wollte gerade gehen, als plötzlich Lara vor ihm stand. Angekleidet, ohne das geringste Anzeichen einer soeben erst überstandenen Geburt. Der blaue Kokon war verschwunden, in der Mitte des Zimmers war mit einem Mal der magische Kreis des Pentagramms wieder zu sehen.
Frau Neune stand ebenfalls wieder auf den Beinen und hielt die Schale mit den Kräutern in der Hand, genau wie heute morgen, als das Ritual begann. Wieder griff Frau Neune nach den Händen von Sven und Lara und führte sie zum magischen Kreis. Sven schaute zum Fenster. Wieso war es wieder früher Morgen?
»Was bedeutet das?« stammelte er.

Weder Frau Neune noch Lara schienen ihn zu hören.
Wieder entzündeten sich die Kräuter im Pentagramm, wieder erschien die flammende Kugel und schwebte nach oben.
»Was ...«, begann Sven noch einmal, verstummte aber, als Frau Neune sich mit einem übermenschlichen Ruck aus ihrer zwanghaften Haltung löst und mit mühsamer, monotoner Stimme flüsterte: »Wir hängen in einer Zeitschleife fest. Die Kugel der Zeit hakt irgendwo.«
Sven stampfte zornig mit dem Fuß auf.
»Was soll das alles?« schrie er.
Auch Lara gelang es noch einmal, sich aus ihrem inneren, von der Zeit diktierten Zwang zu befreien. Sie legte ihre Hand sanft auf Svens Schulter und sagte: »Geh jetzt gleich mit Bernd die Kugel versenken. Wir ... treffen ... uns ... bald.«
Dann waren sie wieder der Zeitschleife unterworfen und schickten sich an, das Ritual willenlos zu wiederholen.

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