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Spiekeroogyssee

Kapitel 25 - Apothekenbesuch

„Frau Neune, ich begrüße Sie“, frohlockte Sven und runzelte die Stirn. „Woher kommt die Musik?“
„Ich habe im Keller einen Karton mit Batterien gefunden. Hier ist es so trostlos, etwas fröhliche Musik tut gut“, sagte Frau Neune und zeigte auf den DVD-Player.
„Sie mögen es etwas volkstümlicher?"
„Ja, das sind die Kirmesmusikanten. Haben wir früher oft gehört. Da hängen viele Erinnerungen dran. Diese fröhlichen Klänge. Aber mein Mnn ist ja auch schon tot. So ist es eben.“ Frau Neune schaute scheinbar ins Nichts. Sven fragte sich, ob sie im Keller nicht auch noch ein paar Getränke gefunden hatte. Zudem war sie gar nicht mehr so perfekt frisiert wie sonst. Sven bemerkte, dass es im Haus auch nicht mehr so ordentlich aussah.

„Die Leute draußen werden immer sonderbarer, wisst ihr“, sagte Frau Neune. „Es braut sich da etwas zusammen. Es gibt schon wieder neue Tote. Angeblich auch eine komplette Familie.“ Frau Neune brach ab, schaute entsetzt zu Lara. „Mädchen, was ist mit dir?“

Lara war weiĂź im Gesicht. Sie sank zu Boden.

Lara vernahm nicht mehr den Sinn der Stimmen um sie herum. Alle Svens, Frau Neunes, alle Kapitäne und Ratsmitglieder oder Sterbenden hatten hier an diesem Ort keine Macht über sie. Die Erinnerung an sie alle verblasste binnen des Bruchteils einer Sekunde.

Ihr Kopf war leicht wie eine Feder geworden und sie hatte gar nicht das GefĂĽhl, zu fallen, es war eher ein Schweben. Dieser Zustand war ihr mit jeder vorangegangenen Bewusstlosigkeit und jeder Phantasmagorie vertrauter geworden. Ohne Furcht gab sie sich der wohligen Orientierungslosigkeit hin. Sie bewegte sich in ihrem eigenen geistigen Inneren, dem riesigen unerforschten Raum, und erkundete die feinen Unterschiede der kaum merklichen Pulsationen, mit deren Rhythmen sie sich scheinbar mĂĽhelos treiben lieĂź.

Lara genoss dieses Empfinden, denn sie fühlte sich erneut seltsam verbunden mit etwas Größerem, wie sie es schon zuvor erlebt hatte. Alles war so selbstverständlich und natürlich, alles war im Fluss. Sie spürte das gewaltige Ansteigen von Energie und ihr Sinken. Und plötzlich wusste sie. Das Muster!

Es brauchte keinen Namen. Es war ihr eigenes, allgewaltiges Muster, das ihrem Atem und ihrem Wollen gehorchte. Ihr. Instinktiv erkannte Lara, dass nun keine Experimente mehr nötig waren. Es galt nun zu handeln. Sie konzentrierte sich, und mit einem Mal spürte sie wieder das deutliche Gewicht ihres Körpers.

Lara lag auf dem Holzboden der Apotheke. Sven und Frau Neune beugten sich gerade mit besorgtem Blick ĂĽber sie. In ihrem Kopf pochte hektisch eine Ader.
„Sie müssen es wissen“, dachte sie. Als sie gerade anhob zu sprechen, kam ihr Sven zuvor. „Wir haben gedacht…!“ Doch dann stockte er, als er Lara ungläubig anschaute. „Lara, deine Augen! Wie zum…? Deine Augenfarbe hat sich verändert!“

Lara zögerte, ganz offensichtlich einen kurzen Moment von dieser neuen Wendung aus dem Konzept gebracht, gewann aber sofort ihre Sicherheit zurück. Ohne einen Rest von Schwindel und Ohnmacht und mit einer Überzeugung in der Stimme, die weder Sven, noch Frau Neune, noch irgendeiner sonst auf der Insel von Lara kannten, rief sie:
„Ich verstehe es jetzt! Ich weiß, wo sich unsere Insel befindet!“

„Wa-s?“ Mit einem Schlag waren Svens insgeheim schon länger gehegte Befürchtungen um Laras Gesundheit wieder präsent, und der instinktiv gesuchte Blickkontakt mit Frau Neune schien zu bestätigen, dass auch dieser ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf schoss.

„Lara, bleib einfach ruhig liegen, irgendetwas ist wieder mit dir; Du musst dich ausruhen, bitte! ...Frau Neune, haben Sie nicht irgendetwas, um Lara zu helfen? Aber bitte, Sie müssen es wissen, wir sind beide überzeugt, Lara ist schwanger, es darf ihr nichts tun... und ihm...“

Der Blick von Frau Neune sprach Bände, schien in Sekundenbruchteilen all das auszudrücken, was Sie davon hielt, in der Situation, in der sich die Menschen auf Spiekeroog befanden ein Kind zu zeugen.
„Frau Neune, es ist wichtig, dass Mike geboren wird und er wird geboren, wir wissen es, wir haben ihn...“
„Schluss! Beruhigt euch, alle beide!“ Frau Neune hatte das konkrete Gefühl, dass ihr die Situation entglitt: „Wenn wir das alles hier überleben wollen, müssen wir einen kühleren Kopf bewahren. Und wenn wir es bis hierhin geschafft haben, sollten wir es doch wohl auch weiterhin schaffen, ohne in Panik auszubrechen.“
„Aber die Augen...“

„Ich bin Apothekerin; das ist zwar nicht Arzt, aber nicht so weit entfernt davon: Es hat schon immer Fälle gegeben, in denen es zu einer Veränderung der Augenfarbe gekommen ist. Durch Krankheit oder schweren Stress, zum Beispiel. Und gerade über letzteren brauchen wir uns ja wohl nicht zu beklagen; ich meine, davon haben wir ja wohl genug.“

Frau Neune fixierte Sven, der diesen Versuch einer rationalen Erklärung ganz augenscheinlich nicht akzeptieren wollte oder konnte. „Frau Neune, Sie glauben nicht, was uns in letzter Zeit alles passiert ist; ich weiß nicht mehr, was Realität ist oder ob wir in einem Traum sind, den wir selbst träumen oder...“

„Beruhige dich, Sven.“
Mit dieser neuen, ungewohnten Bestimmtheit in der Stimme wandte sich Lara an ihren Freund. Sie hatte ihren Oberkörper leicht aufgerichtet, stützte sich entspannt mit ihren Armen ab und konnte dabei ein leicht spöttisches Lächeln nicht ganz verkneifen, das Mund- und Augenwinkel umspielte und ihrem Ausdruck eine Entspanntheit verlieh, die zuletzt zu einem seltenen Gut geworden war.

„Lasst mich bitte ausreden, alle beide. Ich bin nicht krank und wenn meine Augen jetzt eine andere Farbe haben, nun, Frau Neunes Erklärung klingt für mich nicht schlecht. Viel wichtiger ist aber: Ich glaube, das alles hier ist jetzt wirklich bald vorbei. Es hat ein Muster, alles. Und sobald man es erkannt hat, fügt sich alles zusammen. Ich meine, ich kann noch nicht erklären, warum das mit uns passiert ist, aber ich habe jetzt eine klare Vorstellung von unserer Lage. Wo wir sind. Wo sich Spiekeroog befindet. Und die anderen. Das Festland. Hört zu.“

„ist ja gut“ sagte Sven, „das hatten wir schon. Seit Wochen finden wir immer wieder die scheinbar echte, unumstößliche Wahrheit, nur damit die dann gleich wieder verpufft ...“

Einen Moment lang sah es so aus, als ob Lara sich enttäuscht zurück auf den Boden fallen lassen würde. Doch die neu gewonnene Sicherheit setzte sich wieder durch. Mit ruhigen, absolut nicht mehr krank wirkenden Bewegungen stand sie auf und sah den anderen beiden direkt ins Gesicht.

„Meinetwegen“, sagte sie. „Denkt was ihr wollt. Im Moment spielt es keine Rolle, ob mir jemand glaubt oder nicht.“
Frau Neune seufzte tief auf. „ Mag sein, was will. Zum Glück gibt es im Leben ein paar unumstößliche Tatsachen. Eine davon ist, dass der Mensch ab und zu etwas essen und trinken muss, ob schwanger ist oder nicht.“

Sie warf Lara einen schwer zu deutenden Blick zu und holte aus einer Schublade einen kleinen Trockenkuchen, den sie mit einem kräftigen Messer in drei gleich große Stücke teilte. Dann bugsierte sie das Pärchen auf zwei Stühle und setzte sich selber auf den dritten.

„Oh, das sieht nach einer Kaffeestunde aus“, sagte Lara und sog mit gekräuselter Nase den Duft ein, der von nebenan kam. „Haben Sie anderen Besuch als uns erwartet und irgendwo ein paar braune Bohnen hervorgekramt oder was riecht da so gut in der Küche, Kaffee kann es wohl kaum sein, oder?“
Sven schnüffelte ebenfalls. „Riecht nicht schlecht.“

Frau Neune lächelte. „Den hatte ich eigentlich für mich gekocht, aber er wird auch für drei reichen. Nur – Kaffee ist es leider nicht!“
Was denn?“
„Geröstete Gerste mit Zichorie und ein paar anderen pflanzlichen Aromen. Seit wir hier auf der Insel in dieser Notlage stecken, fallen mir nach und nach all die Dinge ein, die meine Mutter mir ‚für den Notfall’ beigebracht hat. Sie war in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg groß geworden, da ging es den Menschen ähnlich wie uns jetzt. Früher nannte man dieses Getränk Blümchenkaffee oder Muckefuck.“

Sie verteilte die braune Flüssigkeit auf drei große Tassen und rührte anschließend noch etwas Weißes hinein. „Milchpulver“, erklärte sie. Eine Weile herrschte Ruhe und alle drei probierten den Ersatzkaffee und den Kuchen. Eine anheimelnde Atmosphäre breitete sich aus.

Sven seufzte tief auf. „Könnte es nicht immer so sein?“
Lara grinste ihren Freund an. „Immer nur gemütlich? Das glaubst du doch selbst nicht. Mir wäre das zu langweilig. Und dir auch, das weiß ich.“
Sie dachte eine Weile schweigend nach. “Wenn wir uns aus dieser Lage befreit haben, werden wir viel zu erzählen haben. Unser ganzes Leben lang, bis es unseren Kindern und Enkeln zu den Ohren raus kommt.“ Sie lachte. „Vielleicht schreibe ich dann ein Buch über das, was uns passiert ist.“

„Du sprichst ja gerade so, als wäre schon alles vorbei“, sagte Sven und schüttelte den Kopf. Er war immer noch beeindruckt von Laras neuer Ausstrahlung und konnte seinen Blick kaum von ihrem Gesicht lösen.

Auch Frau Neune schien es ähnlich wie Lars zu gehen, nur versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen. Nachdem sie alle drei ihren Teller und ihre Tasse geleert hatten, holte sie ihren Schreibblock aus der Schublade und machte sich ein paar Notizen.

„Was schreiben Sie da ?“ fragte Lara und versuchte etwas zu lesen. Aber Apothekerhandschriften waren offenbar nicht lesbarer als die von Ärzten.
„Ich schreibe Sachen auf, die ich bemerkenswert finde, wie zum Beispiel deine veränderte Augenfarbe nach der Ohnmacht. Mit Datum und Uhrzeit. Wer weiß, wozu das noch mal gut ist.“

„Wenn Lara tatsächlich einmal ein Buch über unser Spiekeroog-Abenteuer schreibt“, meinte Lars und lachte.
„Schön, dass ihr eure Lebensfreude wiedergefunden habt, Kinder“, freute sich die Apothekerin. Seit Lara wieder aufgewacht ist, habe auch ich das Gefühl, das in Wirklichkeit alles nicht so schlimm ist. Obwohl - die Tatsachen scheinen dagegen zu sprechen.“

„Was sind schon Tatsachen, das haben wir uns doch schon so oft gefragt“, meinte Lars und schaute nachdenklich aus dem Fenster.
„Tatsache ist, dass wir jetzt eine richtig nette Stunde hier bei Frau Neune erlebt haben und Tatsache ist ebenfalls, dass ich das unumstößliche Gefühl habe, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagte Lara noch einmal mit Nachdruck.

„Wenn ich nur wüsste auf welchem der vielen Wege, die wir ansatzweise schon beschritten haben, “ murmelte Sven aber er konnte diesen Gedanken nicht weiterverfolgen, denn auf dem Weg, der zur Apotheke führte, näherte sich eine Gestalt.

Diese trat an das Fenster und betrachtete die drei Freunde, die zu leblosen Figuren erstarrt waren. Staub hatte sich auf ihrem Haar, ihrer Kleidung abgesetzt, als wäre hier seit Wochen die Zeit stehen geblieben. Auch der Himmel stand still, die Bäume, Sträucher reglos wie aus Porzellan gegossen. Und kein Lufthauch, nichts. Die Welt war stehen geblieben.

Ein dunkler Rabe saĂź auf der Schulter des Fremden, stapfte mit seinen KrallenfĂĽĂźen auf und ab und plusterte sich auf.

"Drei Wochen schon", murmelte der Mann und sah seinem Vogel in die unergründlich blauen Augen, "drei Wochen, und es will nicht aufhören ..."

Als eine weitere Woche vergangen war, erhob sich der Rabe und flog davon. Auch der Mann verschwand, und das einzige, das Sven davon in Erinnerung blieb, waren die blauen Augen des Raben, blaue Murmeln. UnwillkĂĽrlich zuckte er zusammen ...

Murmeln – was war noch mal mit den Murmeln gewesen?

Er sah sich im Raum um und bemerkte links neben sich Lara, die sich reckte und streckte als wäre sie aus einem langen Schlaf erwacht. Er sah den Staub auf ihren Haaren und ihren Schultern und begann, sie sanft abzuklopfen. Lara lachte und klopfte ihn ebenso ab. Auf einmal hörten sie hinter sich ein Husten: Frau Neune hatte die ganze Staubwolke eingeatmet und drohte schon, blau anzulaufen, als sie an Sven und Lara vorbei zur Tür hinausstürmte.
Laras Augen leuchteten auf, als sie Sven ansah. Sie nahm seine Hand und zog ihn mit sich nach drauĂźen. Dort halfen sie Frau Neune und klopften sich ebenfalls weiter ab.
„Wir müssen zum Strand. Dort werden wir die Raben suchen. Sie können uns helfen.“

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