Honigfalter
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Spiekeroogyssee

Kapitel 05 – Der Bürgermeister

So, 31.05.2009, 16.30 Uhr (Pfingsten)

Sie warteten schweigend, bis der Regen aufgehört hatte.
Der Wind peitschte die verbliebenen Wolken über einen Himmel, als wollten sie sich für den nächsten sinnflutartigen Regen sammeln. Die Spiekerooger Rathaustür war verschlossen. Sie klopften, bekamen aber keine Antwort.
»Was sollen wir ihm erzählen?« fragte Lara, »irgendetwas sagt mir, dass er uns diese Geschichte nicht abnehmen wird.«

Sie suchten im ganzen Dorf nach dem Bürgenmeister und fanden ihn am späten Abend schließlich im Schankraum der »Linde«, einem alten Hotel, das so etwas wie der zentrale Treffpunkt der Inselgesellschaft geworden war. Der Bürgermeister saß mit den sieben Männern des Ältestenrats zusammen um einen großen Tisch. Sie tranken eine Art Bier, einen vergorenen Sud aus Hafer und Krebsschalen, und rauchten ihre Meerschaumpfeifen, die sie mit einer Mischung aus getrockneter Baumrinde und Seetang stopften. Ihr Gespräch verstummte, als Sven und Lara sich dem Tisch näherten.

»Bürgermeister«, sprach Sven, »Sie müssen uns anhören. Ich hatte gerade bei der Scheune eine Erscheinung.«
Er spürte seine Hoffnung zerplatzen wie die kleinen Bläschen in den abgestandenen Krügen.
»Ich muss mit IHM sprechen. Wo ist ER? ER kann uns helfen!« Der Bürgermeister verzog höhnisch sein Gesicht und sagte: »Ja, das glauben wir auch, dass ER uns helfen kann. Aber wir werden selber mit ihm sprechen.«
»Ich muss!«
Die Männer lachten.
»Es geht um unser Überleben!«
Noch mehr Lachen.

Lara stand, fassungslos und den Tränen nah, im Schatten eines rustikalen Kaminofens, der schon lange keine Wärme mehr in den kleinen Raum abgab. Das war bei diesen bierseligen Gemütern und den rauchenden Pfeifen aber auch gar nicht nötig.
Dies ist kein Ort für klare Gedanken, hier gibt es mit Sicherheit keinen Masterplan, dachte Lara beim Anblick der wichtig dreinschauenden Gestalten.
Wie konnten diese Männer, und plötzlich nahm sie auch Sven als solchen wahr, nur mit einer so penetranten Ignoranz aneinander vorbei reden? Ging es hier nicht um das Überleben aller Inselbewohner? Galt es nicht, alle Grenzen zwischen den Menschen zu überwinden und neu zu beginnen, ganz neu? Wie konnten sie stattdessen nur ihr Hirn mit diesem Gebräu ertränken? Es fiel ihr zunehmend schwerer, die Tränen der Wut zurückzuhalten und ihre Fingernägel gruben sich in die Handinnenfläche. Aber Sven war nicht besser!
Er faselte da, für Lara war es kaum zu ertragen, in seiner Erregung etwas von »Erscheinung« und »Rettung durch IHN«, und bevor er schildern konnte, was ihm tatsächlich widerfahren war, berief sich der Bürgermeister in seiner grenzenlosen Selbstherrlichkeit wieder mal auf einen Plan, wie er es immer tat, auch wenn ihm kaum jemand glaubte.

Es wurde höchste Zeit, dass eine Frau, und sei es auch eine sehr junge Frau, die Krusten aufbrach. Das einzige weibliche Mitglied des Rates war nicht anwesend und Sven schien ihr in dieser Situation nicht wirklich zukunftsfähig zu sein. Der Tod seiner Eltern hatte ihm so sehr zugesetzt, dass er immer wieder den Verstand verlor. Er war manchmal so voller Hass, der dann wie zum Ausgleich einen eigenartigen, beinahe mütterlichen Beschützerinstinkt in ihr weckte. Möglicherweise würde ihn die Wiederbegegnung mit IHM, dem mutmaßlichen Mörder seiner Eltern, wachrütteln, würde ihn aus der Tiefe seiner Trauer herausholen. Ein klärendes Gespräch unter Männern musste doch helfen; und dann die Königsdisziplin des christlichen Glaubens: Vergebung.

Aber was, wenn ER wirklich der Mörder war? Und ER auch Sven, ihren Sven, den potenziellen Vater ihrer Kinder umbrachte? Sollte der kleine Junge mit den dunklen Haaren - sie hatten ihm auf dem Weg hierher den Namen Mike gegeben - dann nur eine Fantasie bleiben? Sie war noch nicht 16 und hatte schon den Vater ihrer Kinder gefunden. Nein, sie würde ihre Zukunft nicht dem Stammtischgeplänkel alternder Dorfdeppen überlassen!

»Wer will mit mir sprechen?«
Der Satz, mit düsterer Stimme drohend langsam gesprochen von einem Mann, dessen Aura den Raum plötzlich mit Eiseskälte erfüllte, ließ alle Anwesenden erstarren. Lara machte instinktiv einen kleinen Schritt zur Seite, drückte ihren zitternden Körper an die hintere Wand und blieb regungslos stehen. Da stand ER und sein Blick war so finster wie die letzte Neumondnacht. Im fahlen Schein der Fischöllampe blitzte ein Messer auf, jemand schrie: »Oh, mein Gott!« und eine dunkle Stimme aus dem Hinterzimmer rief: »Gedenkt der Worte Sirach im Buch der Bücher: Halte dem nicht eine Sünde vor, der sich bessert, und denke daran, dass wir alle auch Schuld tragen.«

Lara spürte das dröhnende Pochen ihres Herzens bis unter die Kopfhaut, und ihre Nackenhaare richteten sich langsam auf.
Sie dachte nichts, fühlte nichts - schien sich selbst verlassen zu haben. Die Worte Sirach hallten in Ihrem Kopf. Sie trat vor, schob Sven hinter sich, ergriff seine Hand und durchschritt mit ihm den Raum, den Blick starr auf IHN gerichtet, während sie mit lauter, klarer Stimme den Bibel-Vers weiter zitierte:
»Mach dich nicht zum Diener eines Narren und nimm auf einen Mächtigen keine Rücksicht, sondern verteidige die Wahrheit bis in den Tod, so wird Gott der Vater für dich streiten.«

Die Anwesenden verharrten wie eingefroren. Es war Ralf gewesen, der sein Messer im Licht der kleinen Flamme hatte aufblitzen lassen. Vor einem Augenblick noch bereit für einen Mord, erschien sein Gesicht nun hinter dieser Lampe wie eine furchterstarrte Maske. Laras Worte und die Art, wie sie sie sprach, ebneten Ihnen den Weg. Sven, nicht fähig einen klaren Gedanken zu fassen, ließ sich von ihr führen. ER stand noch immer in der Tür und erwiderte Laras Blick auf seltsame Weise. Dann geschah etwas, das allen, die sich in der Schenke befanden, noch lange Stoff für hitzige Diskussionen liefern sollte: ER lächelte - kalt und wissend, nickte Ralf und dem Bürgermeister zu - und trat zur Seite. Nur Sekunden nach Lara und Sven verschwand er in der beginnenden Nacht.

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