Der Tod aus der Teekiste
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Urheber: Filter oder Schöpfer? 06.06.2012
In der Diskussion um das geistige Eigentum wird auch die zentrale Gestalt des Urhebers in Frage gestellt. Kritiker aus der sogenannten Netzgemeinde und aus den Reihen der Piraten lehnen den Begriff des Urhebers ab und beschreiben die Rolle des Autors als die eines Filters im Schwarm. Welche Folgen dieser terminologische Bruch hat, untersucht Michael Menard in seinem Beitrag für boersenblatt.net.

Geistiges Eigentum ist "ekelhaft", denn ein Urheber ist höchstens "ein Filter" (Julia Schramm, Piratenpartei, laut "FAZ" vom 27.4.2012). So gesehen, gehört das Urheberrecht in die Mottenkiste des Geniekults, schützt es doch Schöpfer eigenständiger Leistungen und keine Filter. Doch heute sieht die Welt anders aus! Kein Gedanke, der nicht irgendwo schon gedacht wurde, kein Werk, das sich nicht aus der Zusammenfassung all dieser Gedanken zusammensetzen ließe. Man braucht dazu nur ein Medium, das alle Gedankenschnipsel zusammenführt – und das ist das Internet. Dort gibt es weltweit einen kreativen Austausch, und der löst die alte Differenz zwischen Urheber und Konsument auf. Jeder gibt und jeder nimmt.

Wenn das stimmt, ist das Urheberrecht wirklich ein alter Zopf. Doch wird im Massenmedium Internet im strengen Sinn getauscht? Tausch findet seit Menschengedenken zwischen Personen statt, die etwas geben, weil sie dafür Gleichwertiges erhalten. Dafür braucht man ein Tauschmaß. Seit es den geldvermittelten Markt gibt, pendelt sich die Wertigkeit eines Produkts über dessen Preis ein. Vorher war Geben und Nehmen eher durch Tradition oder Machtverhältnisse bestimmt – was gebe ich für die Leistung des Medizinmannes? Welcher Anteil der Ernte steht dem Grundherrn zu? Wenn heute der Preismechanismus für geistige Leistungen überholt und durch den wechselseitigen Austausch ersetzt sein soll, dann muss ein neuer Maßstab für die Äquivalenz des Gebens und Nehmens her. Ohne den gibt es keinen Tausch.

Ein Vorschlag unter vielen ist die Preisermittlung über Klicks. Je mehr Klicks, desto mehr kostet das Angebot. Der hilft aber nicht weiter, denn auch er geht von einer Urheberschaft aus, deren Preis über die Klicks ermittelt werden soll. Bedingung eines freien Austausches ohne individuelles Urheberrecht ist die Gleichwertigkeit aller Beiträge.

Kühne These! Ändern sich die Menschen von heute auf morgen, weil sie andere Kommunikationsmöglichkeiten haben? Die Antwort geben die Marketingleute. Nein. Es gilt die 90-zu-neun-zu-eins–Regel. 90 Prozent der Teilnehmer in sozialen Netzwerken sind ausschließlich Konsumenten, neun Prozent tragen gelegentlich etwas bei, und ein Prozent macht regelmäßig etwas. So waren die Leute immer, so sind sie, und so werden sie immer sein. Außer, der Klick "Gefällt mir" wäre eine tauschwerte Leistung, und zwar nicht nur für den Betreiber der Plattform, der sein Wissen über den Klicker bei seinen Werbekunden zu Geld macht. "Wenn du für etwas nicht bezahlst, bist du nicht der Kunde, sondern das Produkt, das verkauft wird" (Eli Pariser, Filter Bubble – wie uns das Internet entmündigt). Der Hauptaustausch im Massenmedium Internet dürfte in der ewiggleichen Wiederkehr "verrückter Nachrichten", "unglaublicher Haustierfotos" und lustiger oder schockierender Amateurvideos bestehen. Bei individuellen Beiträgen überwiegen Kommentare zu kulturellen Erzeugnissen professioneller Künstler, also sekundäre Leistungen.

Zurück zum Bild des Urhebers als Filter. Wer es malt, wird diese Argumente nicht gelten lassen. Entweder wird Unbrauchbares aus dem Informationsstrom herausgefiltert. Oder es geht um eine viel höhere Filtrierleistung, in der Personen und deren individuelle Meinung keine Rolle mehr spielen, weil sie durch die Schwarmintelligenz ersetzt sind. Diese Leistung ist der Hintergrund des Filterbilds.

Kein Umschlag von Quantität in Qualität

Die Schwarmintelligenz oder die "Weisheit der Vielen" hat etwas für sich, das zeigt die Geschichte vom Ochsen auf dem Viehmarkt. Eine Reihe von Leuten versucht, dessen Gewicht zu schätzen. Der Durchschnitt ist zuverlässiger ist als die einzelne Schätzung, weil die einzelnen Fehler sich in der Masse ausgleichen. Daraus soll aber allgemein folgen, dass es in der Schwarmintelligenz aufgrund der großen Masse von Informationen zu einem Umschlag von Quantität in Qualität kommt. "Einige meiner Kollegen glauben, dass eine Million oder auch eine Milliarde Fragmente aus lauter Beschimpfungen am Ende eine größere Weisheit ergeben würden, als jeder wohl durchdachte Essay sie zu bieten vermag, sofern diese Fragmente nur durch ausgeklügelte Algorithmen rekombiniert würden." (aus: Jaron Lanier, Gadget – warum die Zukunft uns noch braucht", S. 162). Lanier, immerhin ein Pionier des Internet, bestreitet das. "Jedenfalls gibt es keinen Beleg dafür, dass im Bereich menschlichen Ausdrucks und menschlicher Leistung Quantität in Qualität umschlägt" (Lanier, S. 72).

Wer das behauptet, macht zwischen Information und kreativer Gestaltung auf Grundlage dieser Information keinen Unterschied mehr. Diese Gleichsetzung fußt aber auf einer falschen Verallgemeinerung. Die Weisheit der Vielen gilt nur, wo es um statistisch verwertbare Vorgänge geht, von der Gewichtsschätzung des Ochsen über Aktienkurse bis zur Prognose von Wahlentscheidungen.

Wer dem menschlichen Gehirn nicht mehr zutraut, degradiert es zur Durchgangsstation für Informationen. In dieser Funktion mögen Rechner besser sein, doch wie inhuman diese Meinung ist, zeigt der ethische Grundsatz "Benutze Menschen nie als Mittel für Deine Zwecke, sondern mache sie zum Zweck Deines Handelns". Der lässt sich nicht als statistische Zusammenfassung einer großen Zahl individueller Haltungen ermitteln, schon deshalb nicht, weil diese wohl eher eine andere Maxime nahelegen würden. Um ihn aufzustellen, bedarf es eines Denkers wie Kant, der sich weit über den Durchschnitt erhebt, und es bedarf einer Wertentscheidung. Die ist beiderseits notwendig, beim Autor wie beim Rezipienten.

Zur Entwicklung von Wissen und Kultur sind Menschen notwendig, die über dem Durchschnitt stehen, die mehr machen als Informationen zu empfangen, sondern die in der Lage sind, aus der Verarbeitung von Informationen Neues zu schaffen, das über die Summe der vorhandenen Informationen hinausgeht. Für diese geht der Grenznutzen der Schwarmintelligenz aber gegen Null. Aus welchem Grund sollten sie der Enteignung ihrer kreativen Leistung zugunsten des statistisch ermittelten Durchschnitts der Vielen zustimmen? Um auf ihr Niveau zu kommen, haben sie eine intensive Ausbildung durchlaufen und jetzt investieren sie – als Wissenschaftler, Buchautoren, Musiker – ihre Zeit in ihr Fachgebiet. Umgekehrt heißt das, sie können nicht mit etwas anderem Geld verdienen.

Wenn sie ihr Wissen dennoch unentgeltlich zur Verfügung stellen, ist das ihre freie Entscheidung. Ohne Urheberrecht wird aus der freien Entscheidung aber eine Zwangsabgabe. Die Ankündigung der Piraten fällt deutlich aus: Die Freiheit, selbst über die Verfügbarkeit seines Werkes zu entscheiden, akzeptieren wir nicht, "weil wir das Recht der Allgemeinheit auf unbeobachtete Kommunikation höher achten als das Recht, dass jede einzelne Kopie monetär vergütet wird" (Pressesprecher der Piratenpartei Hessen, Christian Hufgard, im Main-Taunis-Kurier v. 25.4.2012).

Die Interessenlage ist klar: Wer nichts zum Tauschen anzubieten hat, spricht anderen die kreative Leistung ab, um sie sich ohne Gegenleistung aneignen zu können. Die Urheber sind mit erstem Erfolg gegen die ruinösen Folgen dieses angekündigten Raubzugs aufgestanden. Eigentlich muss den Menschen nur deutlich werden, dass auch im Internetzeitalter eine uralte menschliche Erfahrung weiter gilt: wer auf Dauer Brot haben will, darf nicht das Saatgetreide aufessen!

Michael Menard ist Geschäftsführer der Region Norddeutschland des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

Quelle: Börsenblatt online

Links zu dieser Meldung:
www.boersenblatt.net

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