Der israelische Historiker Saul Friedländer ist am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Zu den Gästen aus Politik und Kultur gehörte auch Bundespräsident Horst Köhler. In seiner Dankesrede machte der Preisträger keine großen Worte, sondern ließ Zeitdokumente sprechen – Briefe, die seine jüdische Familie auf der Flucht vor den Nationalsozialisten geschrieben hatte.
Als 1942 die Massendeportationen ausländischer Juden aus Frankreich begannen, versteckten seine Eltern, die später in Auschwitz ermordet wurden, Saul Friedländer in einem katholischen Internat. "Meine große innige Bitte an Sie, gnädige Frau, ist es nun, sich unseres Kindes anzunehmen und ihm Ihre Patronage angedeihen zu lassen", zitierte Friedländer aus einem Brief, den seine Mutter Elli im August 1942 an eine französische Helferin schickte: "Wie er am besten zu schützen ist, weiß ich nicht, habe aber vollstes Vertrauen zu Ihrer Klugheit und Güte. Meines Mannes und mein Schicksal liegt nur mehr in Gottes Händen. Wenn Er will, das wir durchkommen, so werden wir das Ende dieser grauenhaften Zeit erleben. Wenn wir zugrundegehen müssen, so haben wir das eine große Glück, unser geliebtes Kind gerettet zu wissen".
Sechzig Jahre seien vergangen, seit diese und zahllose ähnliche Stimmen zu vernehmen gewesen seien, so Friedländer in der Paulskirche. "Wenn wir diesen Schreien lauschen, dann haben wir es nicht mit einem ritualisierten oder institutionalisierten Gedenken zu tun, und wir werden auch nicht durch kommerzielle Darstellungen des Geschehens manipuliert. Die Stimmen der Menschen bewegen uns unabhängig von aller rationalen Argumentation, da sie den Glauben an die Existenz einer menschlichen Solidarität stets von neuem einer Zerreißprobe aussetzen und in Frage stellen."
Die Sicht der Opfer auch in seine Geschichtsschreibung einzubeziehen, mit Briefen, Tagebüchern, historischen Dokumenten – nicht zuletzt dafür ist der Historiker heute in Frankfurt ausgezeichnet worden. "Saul Friedländer ist es gelungen, die tyrannisch-bürokratische Ordnung und die Verzweiflung derer, die ihr unterworfen waren, zu vereinen. Zugleich hat er das Schweigen der aus dem Dunkel der Vergangenheit auftauchenden Menge der Zuschauer, ohne die öffentliche Gewalt niemals geschieht, als einen handelnden Faktor der Geschichte belegt", sagte der Germanist Wolfgang Frühwald in seiner Laudatio.
Dass Saul Friedländers Werk an die Bedeutung des Gedächtnisses erinnere, machte Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder in seiner Rede deutlich: "Sich erinnern zu können, stellt eine der wichtigsten Dimensionen des Menschseins dar. Sie macht die Vergangenheit gegenwärtig, aus der wir herkommen, und lässt uns damit erfahren, wer wir eigentlich sind." Doch erst das geschriebene Wort sichere dem zerbrechlichen Gut der Erinnerung eine Dauer, "die über die Generationenfolge hinausgeht und die Tiefe unserer Geschichte vergegenwärtigt."
Quelle: Börsenblatt online
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